Regelverstoß als unique selling proposition

TV-Werbung Ende August 2012 startete Daimler seine Kampagne zur Markteinführung der neuen A-Klasse. Crossmedial. Mit Bilderwelten, die einiges mehr erzählen, also sonst üblich.

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"Die Printanzeigen und TV-Spots zeigen auf ungewöhnliche Art und Weise die Besonderheiten des kompakten Mercedes-Benz." (Daimler Media)

Ungewöhnlich sind insbesondere die TV-Spots (www.youtube.com/user/MercedesBenzTV) tatsächlich - aber keineswegs aufgrund ihrer Film- und Bildästhetik. Sie verliert sich in einer sehr rasant geschnittenen, auf Effekte abzielenden Videoästhetik (aus den Anfängen diese Jahrhunderts) mit - zugegebenermaßen - zeitgemäßer wirkenden Anleihen aus den Bereichen 3D-Animation und Grafik Design sowie bei den surrealen Bilderwelten von Science-Fiction Filmen. Der Dubstep Sound á la Skream (Damien Damien - Y Shape) treibt die durch die Montage erzeugte Geschwindigkeit konsequent weiter voran, wirkt alles in allem aber auch ein wenig angestaubt.

Das Ungewöhnliche der Clips liegt jedoch auf einer anderen, tieferen Bedeutungsebene, im Subtext der Spots. Es sind die Konnotationen der bedeutungstragenden Bilder und Bildsequenzen, die kaum mehr ikonischen, sondern in weiten Teilen vor allem symbolischen Charakter haben. Hinzu kommen die (film-)sprachlichen Mittel und Motive. In diesen spiegeln sich nicht nur die Adjektive der neuen A-Klasse (Schnelligkeit, Innovation, Dynamik usw. usf.) wider, sondern auch ein moralischer Relativismus als mithin unique selling proposition (USP).

"Der Spot 'Parking' thematisiert", wie Daimler Media schreibt, "zum Beispiel die Mercedes-Benz App 'Parkplatz-Finder' im COMAND Online-System. Gezeigt wird eine fahrende A-Klasse, die plötzlich mitten im Raum stehen bleibt. Eine attraktive Frau steigt aus und markiert sich eindrucksvoll ihre eigene Parktasche um das Fahrzeug." (Daimler Media)

Nebenbei: Das kurze Zitat zeigt eindrucksvoll (sic!), wohin es führt, wenn sich PR-Redakteure gedankenlos den Wording- und Texting-Paradigmen der Marketing-Schreibe unterwerfen.

Aber zurück. Der TV-Spot visualisiert bei einer eingehenderen Betrachtung nicht die smarte Parkplatz-Finder-App, sondern den Regelverstoß als Lebensgefühl. Parken. Wie und wo man will. "Mitten im Raum" - wie es dann auch konsequenterweise in der Pressemitteilung heißt (s.o.); im öffentlichen, wäre zu ergänzen.

Einen ähnlichen Befund liefert auch der Blick auf den Spot "Crashtest" ("Performance"). Hier die Geschichte:

"Ein Crashtestdummy (versucht) verzweifelt, einen Auffahrunfall mit der A-Klasse zu inszenieren. Doch der Fahrer weicht allen Hindernissen, die sich in den Weg stellen, rechtzeitig aus." (Daimler Media)

Zunächst erscheint das Crashtestdummy-Motiv eher hausbacken und erschreckend konventionell. Da haben Cyril Guyot, der die TV-Spots fotografiert hat, und Jung von Matt, die für die gesamte Kampagne verantwortlich zeichnen, sehr tief in die Mottenkiste gegriffen - was sowohl bei dem sonst sehr talentierten Werbefilmer Guyot als auch bei Jung von Matt mehr als verwundert. Zumal. Von (subtiler) Provokation - was Jung von Matt immer ausgezeichnet hat - kann in der gesamten Kampagne keine Rede sein. Devianz hat nichts mit Provokation zu tun.

Denn was hier gezeigt wird, ist nicht einfach ein Rollentausch zwischen Dummy und Mensch (Am Steuer: Nico Rosberg), sondern gleichsam die "Ausweitung der Kampfzone" (Michel Houellebecq). Denn der Dummy im Spot bleibt nicht auf seine eigentliche Funktion als willenlose Puppe beschränkt, anhand deren die Auswirkungen von Verkehrsunfällen auf den menschlichen Körper untersucht werden können. Er wird zu einem Handelnden. Er bewegt sich. Er ärgert sich. Vor allem aber ist er gefährlich. Angriffslustig. Gewalttätig.

Im Mittelpunkt des Spots stehen so nicht mehr (nur) die Sicherheitsausstattung der neuen A-Klasse oder die Bremsen und das Fahrwerk, sondern der Kampf zwischen dem humanoiden Dummy gleichsam als Prototyp der breiten Masse von Autofahrern und dem Mercedes A-Klasse-Fahrer. Zunächst - im TV-Spot - virtuell. Dann real. Auf dem Asphalt. Für dieses Gefecht sind die Käufer der neuen A-Klasse gewappnet. Ganz und gar. Den Kürzeren ziehen die anderen. Zumal: Die Kameraperspektive verrät, von wem die Gefahr ausgeht.

Die konnotativen Bedeutungsebenen der beschriebenen TV-Spots können (und müssen) als Teil der Kommunikations- und Marketingstrategie zur Markteinführung der neuen A-Klasse betrachtet werden - im Ergebnis einer (das dürfen wir unterstellen) gründlichen Zielgruppenanalyse. Dabei geht es um ein Produkt- und Markenimage, dass neue Ziel- und Käufergruppe ansprechen und erschließen soll. Ein Image, das mit dem Lebensgefühl und dem sozialen Handeln übereinstimmt sowie über ausreichend identifikatorische Momente verfügt, um die Kaufentscheidung positiv zu beeinflussen.

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