Die Pflicht ruft

AfD-Parteitag Alexander Gauland ist neuer Co-Parteivorsitzender der AfD. Wieder bedient er sich der Mär von der Pflichterfüllung. Die Presse folgt bereitwillig

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Versöhnt gar niemanden: Alexander Gauland
Versöhnt gar niemanden: Alexander Gauland

Foto: Alexander Koerner/Gettyimages

Über Alexander Gauland sind viele Erzählungen im Umlauf. Eine der beliebtesten geht ungefähr so: Der besorgte ältere Herr, eigentlich auf dem verdienten Altenteil bei einem Schoppen Wein im Lieblingsrestaurant anzutreffen, rafft sich noch einmal für Volk und Vaterland auf, so sehr blutet ihm das patriotische Herz. Verantwortung und Macht strebt dieser Gauland nicht an, sie wird ihm an- und nachgetragen. Dass Gauland nicht nur der bekannteste, sondern auch mächtigste Politiker der AfD ist, liegt nicht an ihm, sondern daran, dass ihm seine "Freunde" Spitzenämter und Kandidaturen aufgezwungen hätten.

Ab in den Bundestag

Schon im Vorfeld der Bundestagswahl war dieser interessante Narrativ zu beobachten. Neben Listenplatz 1 in Brandenburg kandidierte Gauland auch direkt im Wahlkreis Frankfurt (Oder) - Oder-Spree, wo er schließlich dem CDU-Kandidaten Martin Patzelt unterlag. Weder wohnt Gauland im Wahlkreis, noch ist er bisher durch besondere Nähe zu den Frankfurtern im äußersten Osten aufgefallen. Dass er als Direktkandidat aufgestellt wurde, ist allein der Not der "Freunde" vor Ort zu verdanken, die ihm die Kandidatur geradezu aufgezwungen hätten. Dass ein bekannter Name auf dem Stimmzettel zieht und die dünne Personaldecke der Partei überdecken hilft, davon kein Wort.

Der Mann war nacheinander Landesvorsitzender der AfD in Brandenburg, Fraktionsvorsitzender der AfD-Fraktion im dortigen Landtag, Spitzenkandidat zur Bundestagswahl, Fraktionsvorsitzender im Bundestag, währenddessen stellvertretender Parteivorsitzender der AfD auf Bundesebene und nun zusätzlich zum errungenen Bundestagsmandat und Fraktionsvorsitz Co-Parteivorsitzender. Zu wieviel kann man den alten Herrn noch zwingen?

Erwünschtes Image

Der Narrativ von der aufgezwungenen Pflicht spielt Alexander Gauland und dem rechtsextremen AfD-Flügel direkt in die Hände, umso tragischer, dass an ihm nach wie vor von vielen Journalisten und Beobachtern unhinterfragt gesponnen wird. Bei Markus Wehner in der FAZ geriet Gauland gar zum "großen Integrator", der das drohende Chaos bändigt. Doch auch jenseits der FAZ - die sich immer noch an die Vorstellung einer konservativen Alternative zur Union klammert und sie in Teilen der AfD verwirklicht sehen will - erfreut sich Gauland als Kompromiss- und Integrationsfigur großer Beliebtheit in der Berichterstattung.

Der Pflichten-Narrativ passt ja auch hervorragend zur preußisch-altersstandhaften Figur, die Gauland gerne für Journalisten und Partei-Freunde abgibt. In ihm rücken Motive vom gnädigen Gutsherren bis hin zu gütigen Vater- und Großvaterphantasien formschön zusammen. Eine Prise Tweed und die elende Hundekrawatte werden unvermeidlich untergerührt, und bitte sehr: Das Idealbild eines konservativen Altvorderen ist fertig. So geschehen und beschrieben in zahllosen Artikeln und Interviews, bis hin zum heute-journal vom Samstagabend.

Dabei geht diese Deutung des Geschehens von Gauland selbst aus. Er präsentiert sich im Interview mit SpiegelTV auf dem Bundesparteitag als derjenige, der trotz "Flügel"-Nähe auch für "liberal-konservative" Delegierte des Parteitags wählbar erschien. Und zahlreiche Beobachter übernehmen dies als gedrucktes Wort: Gauland als derjenige, der "liberal-konservative" und rechtsextreme Strömungen in der Partei zusammenhält.

Der Gauland-Pflichten-Narrativ übertüncht dabei, dass die AfD-Spalterei unterdessen zwischen rechtspopulistischen Nationalisten und neonazistisch angehauchten Völkischen stattfindet. Der katholische Publizist Andreas Püttman weist zu Recht darauf hin, dass die Rede von den "Gemäßigten" nichts anderes ist als ein Symptom einer immer weiter fortschreitenden Relativierung dessen, was die AfD zu einer gefährlichen rechtsextremen Partei macht.

Der starke Mann

Alexander Gauland versöhnt gar niemanden. Dass er in der Partei offenbar schalten und walten kann, wie ihm behagt, muss stattdessen sehr beunruhigen. Neben der Fraktion hat sich Gauland nun auch den Apparat der Bundespartei zugänglich gemacht. Vielleicht täte es allen Beobachtern gut, ihre Schockstarre im Angesicht des Provinzlers Björn Höcke zu überwinden, der – noch so ein beliebter AfD-Narrativ – gerne zum verborgenen starken Mann der Partei hochgejazzt wird.

Denn der starke Mann der AfD sitzt bereits als Fraktionsvorsitzender im Deutschen Bundestag und als bekanntestes Gesicht der Partei in den Talkshows des Landes. Er steht als Hetzer gegen die Fremden auf den Marktplätzen, auch dafür braucht es keinen Höcke. Was Gauland dort sagt, entspricht nicht irgendeinem imaginierten gemäßigten AfD-light-Programm, sondern repräsentiert mit etwas weniger Geschwurbel und Geraune das rechtsextreme Programm des "Flügels". Das erschließt sich jedem, der – wie ich – Gauland einmal live gesehen hat.

Diese Machtfülle sei ihm einfach so zugefallen, angetragen, aufgezwungen worden – so will er es uns jedenfalls weismachen. Für Gauland tragen darum auch die eine Mitverantwortung, die an diesem Image treudoof mitgearbeitet haben. Für Gauland mögen seine zahlreichen Ämter eine Bürde und Pflicht darstellen, doch kein Beobachter und Journalist hat die Pflicht, seiner Selbstdeutung auf den Leim zu gehen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Philipp Greifenstein

freier Journalist und Referent, Twitter: @rockToamna, Redakteur des Magazins für Kirche, Politik und Kultur "Die Eule"

Philipp Greifenstein

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