Die neue Adresse der amerikanischen Botschaft in Moskau lautet?

55,75566 ° N, 37,58028 ° E Straßennamen werden häufig emotional aufgeladen. Außerdem unterliegen sie der politischen Mode. Zwei Beispiele aus jüngster Zeit in einem fernen Land sowie eigene Erfahrungen sollen hier beschrieben werden.

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Seit dem 22. Juni 2022 (!) lautet die offizielle Bezeichnung: "Platz der Volksrepublik Donezk 1". Wie kam es dazu? Die russische Duma gab den Anstoß. Da selbst in Moskau schon das Internet Einzug gehalten hat und die Stadtverwaltung nicht mehr auf dem "Perekrischka" schläft, gibt es hier die Möglichkeit, online abzustimmen. Etwa 280000 Moskauer Bürger beteiligten sich und 45 % stimmten für den oben angeführten Namen. Das Ganze hat natürlich eine Vorgeschichte, die in einem Spiegelartikel auch genannt wird. Bereits 2018 wurde die Straße, in der die russische Botschaft in Washington liegt, in "Boris Nemtzov Plaza" umbenannt. Damit soll dem Menschen gedacht werden, der 2015 in Moskau erschossen worden ist. Die Russen nahmen es gelassen hin. Ganz anders die Amerikaner, die auf ihrer Website jetzt die abstrakte Zahlenfolge der GPS-Koordinaten als Adresse angeben. Man darf gespannt sein, wie sich die Britische Botschaft verhält, deren Adresse jetzt nach der Volksrepublik Lugansk benannt werden soll.

Als Dresdner ist mir dieses Thema natürlich nicht unbekannt. Nach der Wende wurden hier zahllose Straßen und Plätze mit alten und neuen Namen versehen. Nur drei Beispiele, die in der gleichen Liga anzusiedeln sind, wie die oben erwähnten.

- Der "Platz der Einheit" wurde nach der Wiedervereinigung Albernerweise in Albertplatz umbenannt.

- Die Dimitroff-Brücke traf es hart, jedenfalls aus der Sicht des sächsischen Volksmundes. In dieser Mundart entsprach der Name der Gewohnheit von August dem Starken, wenn mit seiner Kutsche über die Brücke fuhr, huldvoll auf hübsche Frauen in der jubelnden Volksmenge zu zeigen und zu sagen: "Die mit droff". Jetzt heißt die Brücke nur noch dröge "Augustusbrücke".

- Besonders knifflig war die Umbenennung von Straßen, die es vor der DDR noch nicht gab. Die "Konstantin-Fedin-Straße" in einem neu gebauten Viertel wurde deshalb in "Bulgakowstraße" umbenannt. Unbestätigten Gerüchten zufolge wissen auch heute 99 % der Bewohner nicht, wer die beiden Personen waren.

Damals gab es noch kein flächendeckendes Internet in Dresden, so dass sich die Mitwirkung der Bürger darauf beschränkte, ihre Personaldokumente ändern zu lassen. Im Zuge der Eingemeindung erlitten einige Bürger dieses Schicksal wegen Doppelbenennungen mehrmals.

2016 hatte auch in Dresden bzw. Pirna das Internet gesiegt. In Pirna wurde gerade ein neues Finanzamt fertiggestellt. Dem damaligen Finanzminister Georg Unland gefiel aber nicht, dass auf dem Briefkopf seiner Behörde der Name "Clara-Zetkin-Straße" auftauchen sollte. Schon frühzeitig setzte er sich nach Gutsherrenart mit der Stadtverwaltung wegen einer Umbenennung ins Benehmen. Was das Rathaus schon versprochen hatte, wurde vom Ältestenrat abgelehnt. In der Sächsischen Zeitung erschien der Artikel "Wie Georg Unland Clara Zetkin besiegen will", in dem es weiter heißt:

»Mit einem Trick versucht Sachsens Oberfinanzaufseher nun erneut, doch noch an eine neue Adresse für das Pirnaer Finanzamt zu kommen. Über den Staatsbetrieb „Staatliches Immobilien- und Baumanagement“ (SIB), der das Finanzamt für den Freistaat baut, ließ das Ministerium einen Antrag ins Pirnaer Rathaus lancieren. Darin wird die Namensgebung für einen Vorplatz des Neubaus als „Waisenhausplatz“ beantragt. Unter dieser Adresse wolle das Amt künftig arbeiten. Wegen der noch 2016 bevorstehenden Eröffnung bitte man um eine kurzfristige Entscheidung.

Ob das funktioniert, war zunächst höchst fragwürdig. Denn bei dem neuen Platz handelt es sich lediglich um eine kleine Grünfläche mit Sandstein-Einfassung, die zur Clara-Zetkin-Straße zeigt. Solchen Flächen Straßennamen zu verpassen, ist unüblich – denn dann könnte jeder Vorgartenbesitzer seine Scholle nach Gutdünken benamsen und ins öffentliche Straßenregister eintragen lassen.«

Wie man auf der Website des Pirnaer Finanzamtes sehen kann, musste sich Unland doch noch den Bürgern geschlagen geben. Welchen mentalen Schaden der Finanzminister erlitt, ist nicht bekannt.

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