Ein Akt der Solidarität?

Barrington Eine Erklärung geht um in der Welt.

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Da haben sich nun einige Wissenschaftler ein Herz gefasst und eine Erklärung in die Welt gesetzt. Damit soll jetzt endlich dem ganzen Ungemach, welches dieses SARS-COV-2 genannte Virus verursacht, aus der Welt geschafft werden. Inzwischen haben, Stand 13.10.2020, unterschrieben:

Concerned Citizens: 416,690

Medical & Public Health Scientists: 9,137

Medical practitioners: 23,603

Gemessen an der Weltbevölkerung und an der Einfachheit, seine Unterschrift abzugeben, wenig beeindruckend.

Aber auch hier in dFC bewegen diese Worte doch einige Teilnehmer. 310 Diskussionsbeiträge unter einem 3 Tage alten Blog sind ja nicht nichts.

Man kann in der Erklärung schöne Worte lesen. Diese werden dann auch fleißig zitiert:

"Der einfühlsamste Ansatz, bei dem Risiko und Nutzen des Erreichens einer Herdenimmunität gegeneinander abgewogen werden, besteht darin, denjenigen, die ein minimales Sterberisiko haben, ein normales Leben zu ermöglichen, damit sie durch natürliche Infektion eine Immunität gegen das Virus aufbauen können, während diejenigen, die am stärksten gefährdet sind, besser geschützt werden. Wir nennen dies gezielten Schutz (Focused Protection).

Die Verabschiedung von Maßnahmen zum Schutz der gefährdeten Personengruppen sollte das zentrale Ziel der Reaktionen des öffentlichen Gesundheitswesens auf COVID-19 sein. Zum Beispiel sollten Pflegeheime Personal mit erworbener Immunität einsetzen und häufige PCR-Tests bei anderen Mitarbeitern und allen Besuchern durchführen. Der Personalwechsel sollte minimiert werden. Menschen im Ruhestand, die zu Hause wohnen, sollten sich Lebensmittel und andere wichtige Dinge nach Hause liefern lassen. Wenn möglich, sollten sie Familienmitglieder eher draußen als drinnen treffen. Eine umfassende und detaillierte Reihe an Maßnahmen, darunter auch Maßnahmen für Mehrgenerationenhaushalte, kann umgesetzt werden und liegt im Rahmen der Möglichkeiten und Fähigkeiten des öffentlichen Gesundheitswesens.

Diejenigen, die nicht schutzbedürftig sind, sollten sofort wieder ein normales Leben führen dürfen."

Usw. usw. Stellt man dann die Frage, wie die Schutzmaßnahmen (warum lässt mich das Wort an ganz bestimmte Dinge denken?) konkret umgesetzt werden können, erhält man wieder nur wolkige Sätze. Keiner der Diskutierenden hat sie mit wirklichem Leben und mit Zahlen hinterlegen können.

Hat denn irgendjemand eine Vorstellung, was die Umsetzung dessen bedeuten würde? 'Risikogruppe' klingt so gut, dass manche davon wie besoffen reden, als könnte man so einfach die Guten ins "normale Leben führen" und die Schlechten ins..., davon reden wir mal lieber nicht.

Das Wort "Herdenimmunität" wird zur Monstranz und genau wie in religiösen Zusammenhängen nicht mehr hinterfragt. Da geistern Zahlen durch die Gemeinde. 60 % reichen aus, ein anderer Wissenschaftler spricht davon, dass möglicherweise 30 % reichen werden. Nichts genaues weiß man nicht. Aber man folgt der Herde. Der besagte Wissenschaftler, John P.A. Ioannidis, hat Zahlen geliefert, die sich jeder ansehen sollte. Er spricht von 2 – 5 Jahren bis zur Vollendung des vollen Epidemiezyklus', die seine Simulationen ergeben haben. Dabei würde es zu 8,76 Mio. Toten im ungünstigsten Fall kommen. Aber auch die 30 % würden noch zu 4,38 Mio. Toten führen. Der Schutz der Risikogruppen könnte diese Zahlen auf 2,28 Mio. bzw. 1,58 Mio. Tote drücken. Wie der auch immer zu gewährleisten wäre, teilt er jedoch nicht mit. Frei nach dem Motto 'Meine Lösung, Euer Problem!'.

Bei der ganzen Diskussion um die Herde fällt jedoch hinten runter, dass Herdenimmunität nicht mit individueller Immunität gleichzusetzen ist. Das Problem verlagert sich einfach nur und kann bei aller Unwägbarkeit der Dauer der Immunität und der Heterogenität der Ausbreitung auf der Welt zu den immer gleichen Problemen führen. Jede Reise eine Expedition ins Abenteuer. Nervenkitzel kostenlos dabei. Ganz nebenbei schreibt Ioannidis den Liebhabern der Influenza noch ins Stammbuch, dass in die Zeit der COVID-19-Epidemie bis 2024 nach üblichen Maßstäben "nur" 2,5 Mio. Menschen daran sterben würden. Wie Influenza und SARS-COV-2 koexistieren werden, weiß er aber heute auch noch nicht. Er schreibt jedoch:

"Vorläufig gibt es einige Hinweise darauf, dass die Grippe unterdrückt zu werden scheint, solange die COVID-19-Pandemie aktiv ist.

Wenn dies zutrifft, könnte dies auch auf die Wirksamkeit von Hygiene, Masken und nicht-pharmazeutischen, sozial distanzierenden Maßnahmen gegen Influenza zurückzuführen sein. Darüber hinaus besteht eine Perspektive darin, dass es einen Pool von gebrechlichen, anfälligen Personen gibt, die einem hohen Risiko ausgesetzt sind, an Atemwegsviren zu erliegen. So kann auf eine weniger schwere Saison eine schwerere folgen und umgekehrt. Außerdem würden Influenza und SARS-CoV-2 um den gleichen Pool anfälliger Personen konkurrieren.

(Übersetzt mit www.DeepL.com/Translator (kostenlose Version))

Soviel zur Wirksamkeit der sehr moderaten Maßnahmen hier in Deutschland.

Mit ganz elementarer Mathematik kann man aber auch die Differenz 2020 - 80 berechnen. Das Ergebnis 1940 ist das ungefähre Geburtsjahr dieser "Hochrisiko"-Menschen, die "geschützt werden sollen". Falls dann noch minimale Geschichtskenntnisse dazu kommen, dann sollte schnell klar werden, dass es die Generation ist, die unverschuldet ihre Kindheit in Krieg und Nachkrieg verbringen musste, die Generation, die in den 50ern dieses Land, ob in Ost oder West, zu dem gemacht hat, was es heute ist. Ich möchte lieber nicht deutlich sagen, was ich von den Jammerlappen halte, die die gegenwärtigen Einschränkungen hier in Deutschland für das schlimmste Übel halten, weil sie sich offensichtlich nicht mehr in die Situation derjenigen versetzen können, über die sie jetzt so einfach bestimmen wollen.

Könnte es vielleicht sein, dass viele der Befürworter dieser Deklaration gar nicht merken, wie ein neoliberales Dogma tief in ihnen verankert ist? In anderen Zusammenhängen geht die Kritik daran hier in der dFC leicht von den Lippen: "Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren." Vielleicht fällt den Befürwortern bei intensivem Nachdenken sogar ein, dass Solidarität auch ihnen einmal zugute kommen könnte. Eine Last gemeinsam zu tragen ist etwas ganz anderes, als sie nur den anderen aufzubürden, zumal diese sich kaum wehren könnten.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
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