Ein Kartenhaus stürzt ein

Roman Protasewitsch ist brutal aus einem Flugzeug herausgezerrt und verhaftet worden. Der letzte Diktator Europas hat ihn in seine Fänge bekommen. Beispielloser Akt der Luftpiraterie usw.

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Man könnte die Aufzählung endlos weiterführen, allein, mit der wirklichen Wirklichkeit hatte und hat das alles nichts zu tun. In einer fast absoluten Geschlossenheit haben uns die Medien ein Bild gezeichnet, welches durch die Fakten mittlerweile unhaltbar geworden ist. Politiker aller Parteien der westlichen Länder sind auf einen Betrug hereingefallen und haben entgegen aller rechtsstaatlichen Prinzipien bereits vor dem Ende einer unabhängigen Untersuchung Sanktionen verhängt. Wer wird sich dafür entschuldigen? Welches Medium wird eine umfassende Richtigstellung bringen? Die Antwort wird wahrscheinlich lauten müssen: Keiner und Keines.

Der Blogger MoonOfAlabama hat in dem Beitrag "Timeline, Narrative Control And Consequences Of The Ryanair Incident In Belarus" den Vorgang in einen größeren Zusammenhang gestellt und gezeigt, wie Aktivisten im Umkreis von Chodorkowski agiert haben, um Aufmerksamkeit in den Medien zu erreichen und die EU zu weiteren Sanktionen gegenüber Belorussland zu bewegen. Es ist ein fast perfektes "Wag the Dog"-Spiel. Der Hund ließ sich prompt vom Schwanz wedeln.

Minsk hatte sofort sehr viele Informationen herausgegeben, die von den Medien und westlichen Politikern praktisch ignoriert worden sind. Nicht nur, dass aus dem veröffentlichten (und von niemandem angezweifelten) Funkverkehr klar hervorgeht, dass sich der Pilot ohne Zwang dazu entschlossen hat, wegen der Bombendrohung nach Minsk zu fliegen. Nein, es wird lang und breit angezweifelt, ob es eine Mail vor der Kursänderung gegeben hat. Warum hat dann aber kein Journalist und kein Politiker nachgefragt, ob Vilnius, welches die fragliche Mail ja erhalten hat, seiner Pflicht nachgekommen ist, Minsk und die Maschine zu warnen? Im Gegenteil, es muss eine Mig 29 sein, die die RyanAir-Maschine zur Kursänderung zwingt. Dass dieses Flugzeug erst nach der Kursänderung aufstieg, geschenkt. Kaum in Minsk gelandet, soll Protasewitsch brutal von Schergen des Regimes aus dem Flugzeug geschleift worden sein. Dazu passt jedoch nicht, dass der mutmaßliche Drahtzieher Franak Viačorka ein Foto, das den quicklebendigen P. im Flughafenbus auf dem Weg zum Transitterminal zeigt, veröffentlicht (tweet at 12:35 UTC). Die Freundin von P. macht auch dort Fotos, die sofort auf Telegram gepostet werden. Ob die Minsker Behörden erst dadurch von der Anwesenheit des P. erfuhren oder bei der späteren Passkontrolle für das Boarding, ist höchstens eine Frage, ob sie die Drahtzieher so richtig auflaufen lassen wollten. Mit den versammelten westlichen MSM ist ihnen das gelungen, denn die brachten schon die Schlagzeilen von der Verhaftung, ehe diese überhaupt stattgefunden hatte. Auch Politiker entblödeten sich nicht, diesen "brutalen Akt" zu verurteilen, obwohl er noch gar nicht begangen worden war.
RFERL
13:26 UTC UTC

DW.com 13:34 UTC

The Washington Post 14:33 UTC

MTV (Finland) 14:55 UTC

BBC 15:09 UTC

Litauens Präsident Gitanas Nauseda 14:04 UTC

Wer an dieser Geschichte zweifelt, der sollte sich vorher einige Fragen beantworten.

Warum hat Vilnius nicht reagiert und warum werden sie dazu nicht befragt?

Was geschah in den 17 Minuten zwischen der Warnung und der Kursänderung?

Warum werden die Gesprächsprotokolle mit Vilnius und RyanAir nicht veröffentlicht?

Warum darf sich der RyanAir-Chef nicht äußern?

Warum gibt es keinen Journalisten, der diese und andere Fragen stellt und die Antworten veröffentlicht?

Es ist der westlichen Presse wieder einmal gelungen, auf der Grundlage unzureichender Fakten ein Narrativ zu erzeugen, welches sich nahtlos an Skripal und Navalny anschließt. Auch in diesen Fällen wurde offensichtlichen Ungereimtheiten nicht nachgegangen, aber die Namen können jederzeit als Beweis für "die abgrundtiefe Bösartigkeit" Putins und Lukaschenkos herangezogen werden, weil beim Publikum ein Pawlowscher Reflex ausgelöst wird.

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