10 Gründe, die gegen einen Erfolg des 9-€-Tickets sprechen

Welche Vorzüge des Nahverkehrs werden vom 9-€-Ticket überzeugend rübergebracht? Welche Menschen werden hinterher ihr Auto verkaufen?

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Bei jeder Diskussion über Erfolg sollte man definieren, wann ein Erfolg eintritt. Sind gefüllte Züge während der Gültigkeit des Tickets als Erfolg zu bewerten? Sicher, aber wie nachhaltig wird das sein?

Vorab, als Bewohner einer Großstadt habe ich noch nie ein Auto besessen. Als Berufspendler in eine nahe Kleinstadt habe ich vor zwei Jahren für die Jahreskarte der DB 1700 € bezahlen müssen. Warum wird das Angebot aus meiner Sicht kein Erfolg sein können?

  1. Der Nahverkehr hat in den Augen der meisten Menschen sofort verloren, wenn sie sich ein Auto angeschafft haben. Diese Fixkosten haben sie dann nicht mehr im Blick, sondern nur noch den Spritverbrauch und die Bequemlichkeit. Nur wenige Menschen sind in der Lage, die Gesamtkosten abzuschätzen.
  2. Der Nahverkehr ist zu teuer. Mein obiges Beispiel kommt zustande, weil ich zwei Verkehrsverbünde und ein dazwischen liegendes Niemandsland in Anspruch nehmen musste.
  3. Die Tarifstruktur im Nahverkehr ist schwer zu durchschauen und in vielen Fällen nicht nachvollziehbar. Viele Menschen wenden sich mit Grausen ab und wollen sich damit nicht beschäftigen. Sie fühlen sich sofort betrogen, weil diese Struktur nicht nachvollziehbar ist. Wer sich nur innerhalb einer Tarifzone bewegt, ist gut dran. Aber schon ein Grenzgänger muss gegenüber dem Nutzer nur einer Zone wesentlich mehr bezahlen, bei meist geringerer Leistung (in Fahrtenlänge gemessen). Man kann das das sehr gut beobachten, wenn man sich die Bedienung der Fahrscheinautomaten anschaut.
  4. Der Nahverkehr macht zu wenige Angebote für Familien und Kleingruppen, die sich sich wirklich lohnen. Nicht nur eine 5-köpfige Familie ist bei der Bahnnutzung preismäßig und in punkto Bequemlichkeit im Nachteil. Das System Haustür-Ziel muss hier von den Anbietern mehr beachtet werden. Die Strecke zum Abfahrtspunkt und von der Endhaltestelle, sowie Umstiege sind Dinge, die bewältigt werden müssen. Selbst gute Angebote sind an den Automaten nur schwer zu finden. Wenn ich mit einer Kleingruppenkarte mit 5 Mitfahrern noch Fahrradkarten kaufen will, muss ich mich für jede einzelne Fahrradkarte durch 3 Menüebenen durchtasten.
  5. Hier in Dresden kostet eine Abomonatskarte 660 € für ein Jahr. Im Verbundraum des VVO sind es 1920 €. Warum schafft es das wesentlich größere Wien für seine Bewohner ein Jahresticket für 365 € anzubieten? Was verändert das 9-€-Ticket an diesen Preisen?
  6. Geringverdiener werden von den Tarifen zu wenig oder gar nicht berücksichtigt. Als Rentner kaufe ich mir kein Monatsticket, sondern bleibe mit dem Rad und zu Fuß mobil. Gelegentliche Einzelfahrten kosten für eine Stunde innerhalb der Stadt 2,30 €. Man setze das einmal in Relation zu den 9 €. Dieses Ticket führt deshalb höchstens zu Mitnahmeeffekten.
  7. Die Verkehrsmittel sind gegenüber dem Auto nicht bequem genug. Damit meine ich nicht solche unsinnigen Initiativen wie den Verkauf von Snacks und Getränken in den Zügen, sondern die Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit an 7 Tagen in der Woche im gesamten Jahr. Aber auch das Verhalten bei Verkehrsstörungen und Ausfällen spricht nicht für den Nahverkehr.
  8. Der Nahverkehr ist zu unflexibel hinsichtlich zu erwartender Nachfragesteigerungen.
  9. Die Mitnahme von Fahrrädern ist zu begrenzt. Man kann sich nicht darauf verlassen, wieder nach Hause zu kommen, ohne längere Wartezeiten wegen Überfüllung in Kauf nehmen zu müssen.
  10. Die Gesundheitsminister haben mit der Verlängerung der Maskentragepflicht dem Ticket einen Bärendienst erwiesen. In Sachsen ist man so "großzügig", eine OP-Maske zu gestatten. Wer kauft sich jetzt OP-Masken, wenn er noch einen Vorrat an FFP-2-Maske besitzt? Welcher Autofahrer wird begeistert sein, diese Maske jetzt wieder tragen zu müssen? Wer fühlt sich da nicht vergackeiert?

„Das Gegenteil von Gut ist nicht Böse sondern gut gemeint“. Das 9-€-Ticket wird zu Mitnahmeeffekten führen, die wegen der Überfüllung der Verkehrsmittel das Gegenteil der beabsichtigten Werbung für den Nahverkehr bewirken werden. Es wird viel Geld verbrannt, das besser in nachhaltige Strukturveränderungen investiert worden wäre. Hinterher werden wir denselben unbefriedigenden Zustand haben, wie vorher. Nur mit, wie schon angekündigt, noch höheren Preisen.

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