Und wenn das Zebra ganz weiß wäre?

Puzzle Johanna Straubs Debüt-Roman "Das Zebra hat schwarze Streifen, damit man die weißen besser sieht"

Philippa, geboren in den Siebzigern, ist Kind, aber auch Opfer einer postmodernen Gesellschaft. Gängige Gesellschaftsstrukturen lösen sich auf, verbindliche Wertvorstellungen werden abgelehnt. Als sich die Eltern der Roman-Heldin trennen, besucht diese gerade einmal die Grundschule. Sie und ihre jüngere Schwester Pauline leben von nun an bei ihrer Mutter, die die beiden Mädchen von der Trennung unbeeindruckt wähnt. Anstatt ihren Töchtern beizustehen, stürzt sie sich in die Arbeit, und Philippa und ihre Schwester finden sich plötzlich nicht nur ohne Vater, sondern überraschend auch ohne Mutter wieder. Während sich Pauline hilfesuchend an Philippa klammert, trifft diese eine folgenschwere Entscheidung. Nie möchte sie so flatterhaft wie ihr Vater werden, nie so abhängig wie ihre Mutter. Ihre Vorstellungen setzt Philippa von nun an selbstbewusst um. Selbst die Abtreibung ihres ersten Kindes beschließt sie allein und trennt sich von ihrem damaligen Freund, um nach Kanada zu gehen und sich so ein eigenes Ultimatum zu setzen. Ihr nächster Partner muss die Liebe ihres Lebens sein, möchte sie nicht wie ihr Vater enden. Denn, so ihr Motto: "Zum dritten Mal die große Nummer ist nur legitim, wenn die zweite entweder gestorben ist oder einverstanden."

Von ihrer bisherigen Arbeit als Kurzfilmmacherin geprägt, hat Johanna Straub mit ihrem Debütroman eine Art Puzzle geschaffen. Anstatt Philippas Lebensgeschichte selbst zu beschreiben, lässt sie zwölf, Philippa nahe stehende Menschen kurze Episoden aus ihrem gemeinsamen Leben erzählen. Und obwohl sich Philippa als ausgesprochen selbstsichere Frau in das Gedächtnis ihrer Mitmenschen gebrannt hat, zeigt das fertige Puzzle ein ganz anderes Bild. Einzig Philippas Enkelin vermag die innere Zerrissenheit ihrer Großmutter zu erahnen; dieses Gefühl, das Ziel genau zu kennen, es aber nie ganz zu erreichen. Es ist ein Phänomen dieser Zeit, das Johanna Straub beschreibt. Nie standen dem Menschen so viele Türen offen, nie musste er sich so früh für eine von ihnen entscheiden. Glaubte der Mensch ehemals an Vorsehung, so nimmt er sein Leben nun selbst in die Hand - und beginnt mit dem Durchschreiten einer dieser Türen die Jagd nach seinem ganz persönlichen Glück.

Unaufdringlich setzt sich Johanna Straub auch mit der Ursache für Philippas Rastlosigkeit auseinander. Als Trennungskind versucht sie, ihr Leben besser zu gestalten als ihre Eltern. Wie, das weiß sie nicht. Jedoch glaubt sie zu wissen, wie sie es auf keinen Fall angehen darf und ergibt sich so in eine Form der Selbstgeißelung. In einer Gesellschaft, in der die Zahl der Eheschließungen rapide abnimmt, die Anzahl der Scheidungen aber steigt und in der der Begriff "Familie" immer dehnbarer wird, ist immer mehr Kindern ein solches Leben bestimmt. Von ihrer Mutter in der Annahme allein gelassen, dass sie die Trennung entlaste, muss Philippa sich ihren Ängsten darüber hinaus selbst stellen.

Und doch hat Philippas lebenslanger Kampf sogar etwas Gutes. Wenngleich sie zu diesem Zeitpunkt bereits gestorben ist, so kann sie ihrer Enkelin dennoch vermitteln, was Partnerschaft, ja was Familie bedeutet. Denn den Kampf um ihre eigene Familie hat Philippa nie aufgegeben.

Die 1970 in Hamburg geborene Autorin schildert den Weg der Hauptdarstellerin sehr nüchtern. Die Sprache ist reduziert, durchzogen von unvollständigen Sätzen und frei von unnötigen Beschreibungen, das Geschehen wirkt unspektakulär. Es ist aber gerade dieses Alltägliche, das der Geschichte ihre Relevanz verleiht. Vergeblich sucht der Leser nach künstlich erzeugter Spannung. Es ist ein Schicksal, das jeden ereilen kann und vor allem auch immer mehr Kinder ereilt. Allein hierin liegt das eigentliche Drama begründet.

Es ist eine leise Kritik, die Johanna Straub an einer Gesellschaft übt, die ihren Kindern kaum noch Halt anbietet. Sie lässt jedoch die Frage offen, ob es Philippa besser ergangen wäre, hätten sich ihre Eltern nicht getrennt.

Johanna Straub: Das Zebra hat schwarze Streifen, damit man die weißen besser sieht. Roman. Liebeskind, München 2007, 205 S., 16,90 EUR


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