Die Resolutionen des UN-Sicherheitsrates 1993

Konflikt um Berg-Karabach Worum geht es in den vier Resolutionen des UN-Sicherheitsrates von 1993 und was verlangen sie von den Konfliktparteien: Eine zusammenfassende Darstellung

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

I. Einführung

Die Resolutionen des UN-Sicherheitsrates sind verbindliche Dokumente, die in der Regel auf der Grundlage von Kompromissen und der Berücksichtigung der Interessen der unmittelbar betroffenen Parteien sowie der Großmächte erarbeitet werden. Aus diesem Grund legen die UN-Mitgliedstaaten ihren Fokus auf die Umsetzung dieser Resolutionen. Dabei steht der Begriff "Umsetzung" nicht nur für die vollständige, sondern auch für die rechtzeitige (und nicht verzögerte) Umsetzung aller Bestimmungen der jeweiligen Resolution. Eine selektive Wahrnehmung der Resolutionen und ihre verspätete Umsetzung könnten ihre Wirksamkeit nahezu zunichtemachen.

Im Fall des Konflikts um Berg-Karabach gibt es vier Resolutionen des UN-Sicherheitsrates (Nr. 822, Nr. 853, Nr. 874 und Nr. 884).

Die Umsetzung der Resolutionen wird von Baku häufig gefordert, allerdings ausschließlich im Hinblick auf den sofortigen, vollständigen und bedingungslosen Abzug "der Besatzungstruppen aus den sieben Regionen" Aserbaidschans und die Rückkehr der Flüchtlinge dorthin. Andere Forderungen aus diesen Resolutionen werden dabei ignoriert oder verheimlicht, da sie das umstrittene Hauptproblem und die Ursache des Konflikts, nämlich die Bestimmung des Status von Berg-Karabach, betreffen.

Auch der Deutsche Bundestag bezieht sich oft auf diese Resolutionen, um ihre eigenen Meinungen mit den Forderungen dieser Dokumente zu rechtfertigen. Es ist jedoch wichtig, die grundlegenden Anforderungen des UN-Sicherheitsrates und deren Umsetzung durch die Konfliktparteien unter Berücksichtigung der Besonderheiten und des Verlaufs dieses Konflikts umfassend zu beachten.

Eine angemessene Auslegung der Resolutionen des UN-Sicherheitsrates ist ohne Berücksichtigung der Situation, in der sie angenommen wurden, nicht möglich. Alle Resolutionen wurden mitten im Krieg zwischen dem 30. April und dem 12. November 1993 verabschiedet, als die Feindseligkeiten im Sommer und Herbst 1993 ihren Höhepunkt erreichten. Daher ist es verständlich und logisch, dass die wichtigste Forderung aller Resolutionen die Einstellung der Waffengänge war.

II. Die Hauptforderungen der Resolutionen des UN-Sicherheitsrates

1. Einstellung der Waffengänge und feindlichen Handlungen

Der UN-Sicherheitsrat:

„verlangt die sofortige Einstellung aller Feindseligkeiten und feindseligen Handlungen, mit dem Ziel, eine dauerhafte Waffenruhe herzustellen“ (Res. 822);

„fordert die beteiligten Parteien auf, dauerhafte Waffenruhevereinbarungen zu schließen und einzuhalten“ (Res. 853);

„fordert die beteiligten Parteien auf, der Waffenruhe Wirksamkeit und Dauer zu verleihen, die infolge der direkten Kontakte herbeigeführt wurde“ (Res. 874);

„verlangt von den beteiligten Parteien die sofortige Einstellung der bewaffneten Feindseligkeiten und feindseligen Handlungen“ (Res. 884).

2. Humanitäre Aspekte

Der UN-Sicherheitsrat:

„fordert ungehinderten Zugang zu der Region, insbesondere zu allen von dem Konflikt betroffenen Gebieten für die internationalen humanitären Hilfsmaßnahmen, damit das Leid der Zivilbevölkerung gemildert werden kann“ (Res. 822 und 853);

„wiederholt seine früheren Aufrufe zur Wiederherstellung der wirtschaftlichen Verbindungen sowie Verkehrs- und Energieverbindungen in der Region“ (Res. 853);

„fordert Beseitigung aller Behinderungen der Nachrichten- und Verkehrsverbindungen“ (Res. 874). Aserbaidschan nutzte von Beginn des Konflikts an eine totale Blockade von Berg-Karabach und Armenien. Darüber hinaus unterbrach Baku die Kontakte zu Armenien und vor allem zu Berg-Karabach in allen Bereichen.

3. Rückkehr zu den Verhandlungen

Der Sicherheitsrat:

„fordert die beteiligten Parteien nachdrücklich auf, die Verhandlungen zur Beilegung des Konflikts im Rahmen des Friedensprozesses der Minsker Gruppe der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa sofort wiederaufzunehmen und alles zu unterlassen, was einer friedlichen Lösung des Problems hinderlich ist“ (Res. 822);

„fordert die Beteiligten nachdrücklich auf, alles zu unterlassen, was einer friedlichen Lösung des Problems hinderlich ist, und die Verhandlungen innerhalb der Minsker Gruppe sowie durch direkte Kontakte untereinander mit dem Ziel einer endgültigen Regelung weiterzuführen“ (Res. 853);

„fordert die beteiligten Parteien auf, der Waffenruhe Wirksamkeit und Dauer zu verleihen, die infolge der direkten Kontakte herbeigeführt wurde. Welche mit Hilfe der Regierung der Russischen Föderation in Unterstützung der Minsker Gruppe der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa hergestellt wurde“ (Res. 874);

„fordert die beteiligten Parteien mit Nachdruck auf, die Waffenruhe, die infolge der direkten Kontakte zustande gebracht wurde, welche mit Hilfe der Regierung der Russischen Föderation zur Unterstützung der Minsker Gruppe herbeigeführt wurden, umgehend wiederherzustellen und ihr Wirksamkeit und Dauer zu verleihen und sich auch weiterhin um eine Verhandlungslösung des Konflikts im Kontext des Minsker Gruppe auf ihrem Treffen vom 2. bis 8. November 1993 in Wien geänderten Fassung zu bemühen“ (Res. 884).

4. Einstufung als Kriegspartei

Der UN-Sicherheitsrat:

„höchst beunruhigt… durch örtliche armenische Streitkräfte“ (Res. 822);

„fordert die Regierung der Republik Armenien nachdrücklich auf, weiterhin ihren Einfluss geltend zu machen, um zu erreichen, dass die Armenier der Region Berg-Karabach“ (Res. 853 sowie Res. 884);

„mit dem Ausdruck seiner ernsthaften Besorgnis über die Verschlechterung der Beziehungen zwischen der Republik Armenien und der Aserbaidschanischen Republik und über die zwischen ihnen bestehenden Spannungen“ (Res. 853);

„mit dem Ausdruck seiner ernsthaften Besorgnis darüber, dass… das Andauern der Spannungen zwischen der Republik Armenien und der Aserbaidschanischen Republik den Frieden und die Sicherheit in der Region gefährden würden“ (Res. 874 sowie Res. 884).

5. Rückzug aus den "besetzten Gebieten"

Die Forderung nach Rückzug aus den Gebieten wird in alle vier Resolutionen erwähnt. Baku behauptet, dass alle Resolutionen einen bedingungslosen Rückzug verlangen. Das stimmt aber nicht: einen „bedienungslosen Rückzug“ forderte nur die Resolution 853 vom 29. Juli 1993.

Wie kam es dazu, dass das Wort "bedingungslos" aus den Resolutionen 874 und 884 verschwunden ist? War es ein Zufall oder ein Versehen? Natürlich nicht. Wahrscheinlich wurde es aufgrund wiederholter Versäumnisse einer der Konfliktparteien gestrichen, die Hauptanforderung zu erfüllen - nämlich die sofortige Einstellung aller Feindseligkeiten. Denn wer könnte einen Abzug der Streitkräfte erwarten, ohne die Waffengänge zu beenden? Die Forderungen, "sofort aus den bestimmten Gebieten zurückzuziehen", ohne andere Probleme zu berücksichtigen und sie mit ihren Verpflichtungen zu verknüpfen, erwiesen sich als unerfüllbar. Selbst die Ko-Vorsitzenden der Minsk-Gruppe der OSZE (Russland, die Vereinigten Staaten und Frankreich), die die Konfliktparteien bis heute auffordern, die Grundlagen eines für alle Seiten akzeptablen Abkommens zu finden, setzen keine unbedingten Forderungen - sie setzen vielmehr auf Frieden.

III. Fazit

Obwohl die Konfliktparteien die Waffenruhe gemäß der Resolution 874 des UN-Sicherheitsrates bindend akzeptierten ("UN-Sicherheitsrat begrüßt und empfiehlt den Parteien den „Geänderten Zeitplan für dringende Maßnahmen zur Durchführung der Resolutionen 822 und 853 des Sicherheitsrats“), wurde der Krieg dennoch fortgesetzt.

Insbesondere die aserbaidschanische Seite verletzte diese grundlegende Anforderung aller Resolutionen und trägt eine besondere Verantwortung dafür, da genau dieses Verhalten dazu führte, dass die meisten anderen Forderungen der Resolutionen nicht umgesetzt wurden. Es ist wichtig zu betonen, dass die armenische Seite, speziell das offizielle Stepanakert, kein Interesse an der gewaltsamen Lösung des Konflikts hatte. Für die armenische Seite wäre es nicht im Interesse gewesen, einen Krieg gegen den deutlich größeren Staat zu führen. Berg-Karabach strebte anfangs eine gewaltlose Wiedervereinigung mit Jerewan an (dies wurde in der Karabach-Bewegung von 1988 deutlich) und später, im Jahr 1991, die Anerkennung als eigenständiges Land.

Die negative Einstellung der aserbaidschanischen Regierung zur Hauptanforderung der Resolutionen des UN-Sicherheitsrates wurde weiterhin deutlich. Die darauffolgenden Resolutionen 853 und 874 wurden völlig ignoriert, und auch die letzte Resolution 884 forderte erneut eine "sofortige" Einstellung der Waffengänge, wie es bereits in der ersten Resolution 822 der Fall war.

Die Tatsache, dass jede der Resolutionen die fortlaufende Eskalation der Feindseligkeiten, wiederholte Verstöße gegen den Waffenstillstand sowie Raketenangriffe und Artilleriebeschuss von zivilen Siedlungen verurteilte und die Einhaltung des humanitären Völkerrechts forderte, zeigt klar, dass die zuvor verabschiedeten Resolutionen des UN-Sicherheitsrates nicht umgesetzt wurden.

Die einzige erreichte Errungenschaft war die unbefristete Vereinbarung über den Waffenstillstand, die am 12. Mai 1994 zwischen Baku, Stepanakert und Jerewan unterzeichnet wurde. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass dieser Waffenstillstand nicht aufgrund der Erfüllung der Resolutionsbestimmungen des UN-Sicherheitsrates zustande kam, sondern vielmehr aufgrund militärischer Niederlagen und des Zusammenbruchs der Kampffähigkeit der aserbaidschanischen Streitkräfte sowie durch starke Bemühungen der Russischen Föderation. Die Waffenruhe wurde nicht rechtzeitig und nicht aus gutem Willen umgesetzt, da feindliche Handlungen und Feindseligkeiten auch nach Unterzeichnung des Waffenruheabkommens nicht vollständig eingestellt wurden. Die Verkehrs-, Energie- und Wirtschaftsblockaden wurden ebenfalls nicht beendet. Es ist erwähnenswert, dass alle Vereinbarungen zur vorübergehenden oder humanitären Waffenruhe im Jahr 1993 zwischen Baku und Stepanakert geschlossen wurden, während Jerewan nicht daran beteiligt war.

Aus den Formulierungen der Resolutionen des UN-Sicherheitsrates geht deutlich hervor, dass die Verhandlungen zur friedlichen Beilegung "innerhalb der Minsker Gruppe" sowie "durch direkte Kontakte untereinander" durchgeführt werden müssen. Unter "direkten Kontakten" wurden jeweils Kontakte zwischen Baku und Stepanakert verstanden.

Der Kernpunkt der Verhandlungen war immer die Frage nach dem Status von Berg-Karabach, was für die aserbaidschanische Seite ein absolutes No-Go war.

Obwohl die genannten Resolutionen an die Realitäten der damaligen Zeit gebunden waren, können sie dennoch als nützliche Richtlinie zur Lösung des Konflikts dienen. Allerdings erfordert es ernsthafte Anstrengungen und intensive Verhandlungen, um eine neue Resolution des UN-Sicherheitsrates zu erreichen, die die historische Versöhnung zwischen Aserbaidschanern und Armeniern unterstützt.

Die internationalen Vermittler sollten einer der völkerrechtlich anerkannten Parteien - nämlich Baku, da Jerewan bereits einverstanden ist - folgende Frage stellen: Sind sie bereit, den Status von Berg-Karabach als kontroverses Thema anzuerkennen? Dies wäre der erste Schritt, um von den derzeitigen Ultimativforderungen abzuweichen und die schwerwiegenden Folgen des bewaffneten Konflikts zu überwinden sowie einen weiteren Schritt in Richtung einer endgültigen und gerechten Beilegung des Konflikts zu gehen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden