Guido Westerwelle, Ein Bedeutender Liberaler

Nachbetrachtung: Kein Nachruf auf Guido Westerwelle. Sondern eine Nachbetrachtung auf den Politiker, nebenbei ein kleiner Nachruf auf die Nachrufe.

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Lange habe ich gezögert, bevor ich mich doch durchrang, zu verlautbaren etwas zu Guido Westerwelle nach seinem traurigen Ableben. „De mortuis nil nisi bene“, ein bewährter, nicht eben neuer Grundsatz. Tote können zu Angriffen keine Stellung nehmen, nicht sich wehren, etwas klar stellen, oder sich entschuldigen. Allerdings, der Grundsatz gilt nur eingeschränkt; nicht unumschränkt für Personen, die zu einem Fall für die Öffentlichkeit geworden waren. Extremfall, wer würde dieses Prinzip zu Gunsten eines Richard Nixon, eines Mao Tse-tung, oder eines Fritz Haarmann ins Feld führen? Für Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens gilt der Grundsatz nur begrenzt, vor allem wenn sie noch sehr präsent sind. Allerdings, man sollte keine Aspekte bemühen, die nicht schon in der Diskussion waren. Schon gar nicht aus dem Privatleben ausgraben, was peinlich sein könnte.

Weiterhin der Grundsatz sagt, wenn man über einen Verstorbenen spricht, dann „nur in guter Weise“. Was eben nicht besagt, man solle etwas Gutes über ihn erfinden, Lobhudeleien sind genau so unangebracht wie Schmähungen. Insofern nur kann ich JR's China Blog nichts als recht geben: „Es gibt Nachrufe, die gehen einfach nicht“.

Peinlich schon die floskelhaften Beileidsbekundungen in Leserkommentaren, „Mein Mitgefühl gilt den Angehörigen und seinem Lebensgefährten.“ Würde jede Person, die ein schlimmes Ende findet, Leid in mir erwecken, obwohl keinerlei persönliche Beziehung ich zu ihr pflegte, ich käme aus dem Auswringen meines Taschentuchs nicht mehr heraus. Der wohl peinlichste von allen offiziösen Nachrufe ist der seines alten – von mir ansonsten durchaus geschätzten – schärfsten parteiinternen Kritikers – Wolfram Kubicki: „Er war die Freiheitsstatue der Republik“

Wobei jedem einfällt - abgesehen von der Überhöhung – für wessen Freiheit sich der Verstorbene vornehmlich, wenn nicht ausschließlich, eingesetzt hat. Sollte er sich aber z. B. gegen den faktischen Arbeitszwang für Harzer verwahrt haben, wäre mir das – pardon – entgangen.

Auffällig auch an den Nachrufen, dass wie bei kaum einem anderen „das Menschliche“ in den Vordergrund gerückt wurde, was er privat für ein feiner Kerl gewesen sei. Grundsätzlich würde ich JR's China Blog recht geben, bei einem Politiker - wie auch sonst bei einer Person des öffentlichen Lebens – „kommt es aber auf das an, was einer bewirkt hat“!

Schließlich stelle ich mir bei solch einem Menschen nicht die Frage, ob ich etwa gern mit ihm in Urlaub gefahren wäre. Wenn nun aber bei einem Politikernachruf gebetsmühlenhaft „das Menschliche“ heruntergerattert wird, heißt das kaum verhohlen, als Politiker war er nicht gerade eine Leuchte.

Das Positivste, was zu Westerwelle angemerkt werden konnte, war eine seltsame Kritik: „Die Libyen-Entscheidung blieb an ihm haften.“ (Severin Weiland) Absonderlich, wo doch inzwischen so gut wie Einigkeit herrscht, dass die Kreuzzüge in den arabischen Raum verheerende Folgen zeitigten. Allerdings ist das Verdienst Westerwelles an der Stimmenthaltung im Lybienkonflikt zu relativieren. Natürlich war dies keine einsam kühne, unzweifelhaft weise Entscheidung eines Außenministers, sondern ging auf einen Kabinettsbeschluss zurück.

Im übrigen hat er geschafft, was nur wenige im äußeren Amt („der Außenminister vertritt uns in der Welt“, weswegen ein Genscher, ein Fischer noch immer, und heute ein Steinmeier sich allgemeiner Beliebtheit erfreuen) vollbracht haben, durch schwere Fehlgriffe Kopfschütteln zu ernten: „Assad muss weg“. Und, Verbrüderung mit dem Weltklasseboxer, aber Amateurpolitiker Klitschko in der Ukraine. - In der Außenpolitik sollte man nie mit der Opposition eines anderen Staates – mag sie noch so sympathisch sein – fraternisieren. Zu tun hat man es auf unabsehbare Zeit mit den Machthabern. Man erweckt bestenfalls falsche Hoffnungen bei der Opposition, eher aber klebt man ihr an, sie werde „vom Ausland gesteuert“. Darüber hinaus, Westerwelles Spektakel war zusätzlich ein Affront gegen Putin, ohne den eine Lösung des Ukraine-Konflikts unmöglich war und ist.

Ein kleinerer Klops, als Westerwelle bei einem BBC-Reporter den Mangel deutscher Sprachkenntnisse bemäkelte. Grundsätzlich war dies nicht so furchtbar, wie er selbst hinterher meinte einräumen zu müssen, sich entschuldigend mit Übermüdung und Alk: Man darf langjährige angloamerikanische Korrespondenten durchaus mal merken lassen, dass das Erlernen der jeweiligen Landessprache keine Unzumutbarkeit ist. Aber, als Außenminister sollte man insofern sich der Eleganz der Diplomatie bedienen, „durch die Blume“ reden, und nicht wie ein Oberlehrer. - Pikanterweise hatte Westerwelle 2001 dem geneigten Publikum in bestimmter Weise verraten, dass er ein toller Hecht ist, weil er in einem tollen Land geboren wurde: „I`m Proud To Be A German“! Also genial „die wohlfeilste Art des Stolzes“ (Schopenhauer), die „Tugend der Bosheit“(Wilde) weltmännisch auf Englisch zum besten gegeben.

Wodurch etwas deutlich wurde: Er war alles andere als „ein begnadeter Redner und so schlagfertig, wie nur wenige seiner Politikerkollegen“, so eben z.B. bei Julian Heißler.

Schlagfertig erschien er nur, soweit er auf vorhersehbare Situationen stieß. Dazu ein persönliches Erlebnis mit ihm: Es war ein Auftritt in Oldenburg zur Zeit seines Spaßwahlkampfes, Westerwelle, der Oberclown: „Es gibt diese Mittagstalkshows, wie sie so eine Bereicherung des kulturellen Lebens sind.“ (Gemeint waren Formate wie die u.a. seiner guten Bekannten Vera int Veen, moralische Anstalten der Nation – zählend zum, hä, hä, hä, „Unterschichtfernsehen“) Um im nächsten Moment ein strenges Gesicht sich abzumühen, die Lippen auf einander beißend: „Da treten immer wieder junge Leute auf, die ganz offen sagen, sie hätten keine Lust sich zu verändern, um eine Lehrstelle zu kriegen. Die muss man spüren lassen, es ist Jugendlichen durchaus zuzumuten, in einen anderes Landesteil umzuziehen!“

So etwas sagte ein Mensch, der in Bonn geboren wurde, dort zur Schule ging, dort studierte, nie in seinem erlernten Beruf arbeitete, sondern gleich in die Politik ging in seinem Heimatort, wahrscheinlich hat Mama ihm weiterhin noch die Hemden gebügelt. - Zurück nach Oldenburg: Mein Kumpel rief dazwischen: „Diese Talkshows sind Fakes!“ Guido: „Nein, die sind keine Fakes!“ Mein Kumpel: „Doch, die sind Fakes. Genau wie ein gewisser Herr Westerwelle!“ Westerwelle: „Nein, Guido ist kein Fake. Den gibt es nur im Original.“

Nach der Veranstaltung ging mein Kumpel, fein verkleidet als „Besserverdiener“, zu dem Original: „Herr Westerwelle , ich möchte mich entschuldigen für meinen unpassenden Zwischenruf. Natürlich sind Sie alles andere als ein Fake.“ Westerwelle großzügig die Schultern zuckend. Mein Kumpel: „Aber eines noch, irgendwie besteigen Sie doch jede Sau, die man durchs Dorf treibt.“ Unsere so schlagfertige Rampensau, mit völlig entgleistem Gesicht stammelnd: „Das wird schon so sein, das wird schon so sein.

So war Guido. Er hatte sich eine Reihe von mäßigen Jokes zurecht gelegt, der Mutterwitz eines Gysi oder Fischer, die eiskalte Souveränität eines Kohl ging ihm ab: Ein Dieter Bohlen der Politik.

Privat mag er ein netter Kerl, eine „rheinische Frohnatur“ gewesen sein. Als Politiker ließ er davon wenig durchblicken. Wenn es ums Eingemachte ging, er sich als „Kapitän“ zu bewähren hatte, „Auf jedem Schiff, das dampft und segelt .....“, „Ihr kauft mit den Schneid nicht ab,“ wirkte er verkrampft, unsicher und verbissen.

Gar nicht zu reden davon, wenn wirklich Ernsthaftes anstand, “Spätrömische Dekadenz“. Zwar hatte er sich spät, zu spät – nach fünf Jahren - ein Bedauern über diesen Fehlpass abgezwängt, er habe "nicht Menschen kritisiert, die ein schweres soziales Schicksal haben", sondern ausdrücken wollen, "dass wir uns nicht nur an der Verteilungsgerechtigkeit orientieren dürfen, sondern auch die Leistungsgerechtigkeit im Blick behalten müssen".

Eine flaue Ausrede. Wie steht das dazu, dass er seiner Zeit gepredigt hatte: Niemand errege sich über „Bürger, die für ihre Arbeit weniger bekommen, als wenn sie Hartz IV bezögen. Was sagt eigentlich die Kellnerin mit zwei Kindern zu Forderungen, jetzt rasch mehr für Hartz IV auszugeben? Wer kellnert, verheiratet ist und zwei Kinder hat, bekommt im Schnitt 109 Euro weniger im Monat, als wenn er oder sie Hartz IV bezöge.“ Was selbstverständlich nicht hieß, dass er einer so bedauernswerten Arbeitskraft riete, ergänzendes Hartz IV mit Aufschlag zu beantragen, schon gar nicht, dass er das von ihm so gehätschelte Gastgewerbe für höhere Löhne gewinnen wollte.

Guido machte irgendwann seinen halbherzigen Rückzieher, weil ihm der Sturm heftig ins Gesicht geblasen war, den er entfachen wollte als selbst ernannter Vertreter kleiner, aber arbeitsamer Leute. Denn auch später zelebrierte er in Talkshows als Evergreen: „Man muss an diejenigen denken, die jeden Morgen aufstehen, ihren Kindern das Frühstück machen, (vergessen hat er, „den Kindern Ritalin geben“) sie zur Schule bringen, dann acht Stunden arbeiten.“

Dass niemand ihm mal folgendes unter die Nase gerieben hat, spricht nicht gerade für die politische Kultur in diesem unseren Land. „Was denkt eigentlich die von Ihnen, Herr Westerwelle, bemühte Kellnerin mit zwei Kindern, wenn: Die ihren Job los geworden ist, weil ihr Brötchengeber pleite gemacht hat. Die auch nach einem Jahr nix in ihrem Beruf gefunden hat, weil sie zu abgearbeitet aussieht. Die ihre Spargroschen los geworden ist an die Deutsche Vermögensberatung AG, bei der Sie, Herr Westerwelle, sich als Beiratsmitglied ein kleines Zubrot zu ihren sonstigen bescheidenen Einkünften mühevollst erarbeiten?“

Nun sollte man sich nicht dazu versteigen, Guido Westerwelle sei der Haupt- gar Alleinschuldige am Niedergang der FDP. Genau genommen war er nur der letzte Nagel zum Sarg der Liberalen. Denn als politische Bewegung war der Liberalismus schon lange entbehrlich. Sein wesentliches Anliegen, demokratisch-rechtsstaatlicher Kapitalismus, ist schon seit unvordenklichen Zeiten durchgesetzt, keine Partei will diesen ernsthaft in Frage stellen. Gestritten wird nicht mehr um das ob, sondern lediglich noch um das wie.

Nach dem Krieg hatte die FDP noch eine gewisse Basis. Einerseits Auffangbecken für Exnazis, zum anderen für bürgerlich Antiklerikale, die nicht von der fixen Idee runterkamen, die SPD wolle ernsthaft das schöne Deutschland sozialistisch umbasteln. Praktisch bewährte sie sich als Pendlerpartei, meist die konservativ erstarrte CDU, zeitweise aber auch die sich modern gebenden Sozen bevorzugend. Allen Ernstes wurde für sie geworben „FDP, um Schlimmeres zu verhindern“!

Irgendwann hatte sie dies dürftige Kapital verbraucht, bei jeder Wahl kam sie ins Zittern. Also begann sie den Kapitalismus in ein mystisches Licht zu tauchen: Für fast alles an Übeln des Kapitalismus ist seine unzureichende Durchführung verantwortlich. In der Opposition: „Ja, auch wir haben gesündigt. Aber wenn wir wieder ran kommen, dann werden wir kompromisslos ......“. Zudem, Erfolg ist weniger eine Frage realer Voraussetzungen und Umstände. Sondern des „Selbstbewusstseins“. Glaubt man nur lautstark an den eigenen Erfolg, so muss er sich einfach einstellen. Diesen Katechismus repräsentierte unübertrefflich Guido Westerwelle, insofern war er der letzte wirklich große Liberale. Die FDP nach ihm riecht mittlerweile nicht nur eigenartig, sie ist verstorben. Allerdings existiert sie noch weiter, als – was es nur in der Politik gibt - als gequälte wie quälende Untote.

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