De Maizière:kein Kontakt des MAD zur NSU

Geheimdienst-Skandal Der Minister bedauert die "unsensible" Untätigkeit seiner Behörde und fühlte sich selber nicht zuständig den Untersuchungsausschuss über die Mundlos-Akte zu informieren.

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Bundesverteidigungsminister Thomas De Maizière bestritt im Dezember 2011, dass es einen direkten Kontakt des MAD zur NSU gegeben habe.

Thomas De Maizière, Sohn des ehemaligen Generalinspekteurs der Bundeswehr Ulrich de Maizière, war von 1999 bis 2001 Chef der Sächsischen Staatskanzlei, von 2001 bis 2002 Sächsischer Staatsminister der Finanzen, von 2002 bis 2004 Sächsischer Staatsminister der Justiz und von 2004 bis 2005 Sächsischer Staatsminister des Innern. Von 2005 bis 2009 war er Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramts. In dieser Funktion agierte de Maizière auch als Beauftragter der Bundesregierung für die Nachrichtendienste. Seit dem 3. März 2011 ist Drohnenbefürworter de Maizière ("Ethisch ist eine Waffe stets als neutral zu betrachten") Bundesverteidigungsminister und somit oberster Dienstherr des Amtes für den militärischen Abschirmdienst (MAD). Verteidigungsminister De Maizière nahm seine Behörde im Dezember 2011, also einen Monat nachdem der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) öffentlich bekannt wurde, in Schutz:

„Der MAD hatte keinen direkten Kontakt zu den dreien. Ein V-Mann des MAD hat berichtet, wo die Untergetauchten sich angeblich aufhalten.“ De Maizière fügte hinzu: „Diese Information ist den zuständigen Verfassungsschutzbehörden übermittelt worden. Sie ist mitnichten beim MAD liegengeblieben.“ Der MAD habe grundsätzlich auch die Aufgabe, die Bundeswehr vor Extremisten zu bewahren: „Was den erwähnten Vorgang angeht, so sind die meisten Unterlagen aufgrund gesetzlicher Fristen gelöscht worden.“ Die Rechtsextremisten, die aus Thüringen stammen und sich lange Zeit in Sachsen aufhielten, lebten in der Illegalität, als de Maizière in Sachsen zunächst Justiz- und später Innenminister war. De Maizière sagte der F.A.S.: „Der Fall war mir vollständig unbekannt. Es mag Kontakte zwischen Thüringen und Sachsen gegeben haben, als Minister hat mich das aber nicht erreicht.“ FAZ 03.12.2011

Seit heute wissen wir, dass der MAD sehr wohl zu mindestens einem Mitglied der Terrorzelle Kontakt hatte:

"In einer spontan einberufenen Pressekonferenz zeigten sich die Obmänner und -frauen der Fraktionen entsetzt und erzürnt. Sie hatten gerade erfahren, dass der Militärische Abschirmdienst (MAD) bereits im Jahr 1995 eine Akte über Uwe Mundlos angelegt hatte. Anlass dafür waren rechtsextremistische Aktivitäten während der Wehrdienstzeit des Neonazis. Um den Skandal perfekt zu machen, teilten die Parlamentarier mit, dass die Mundlos-Akte nicht nur dem MAD vorlag, sondern auch an das Bundesamt für Verfassungsschutz sowie die Landesämter in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt geschickt worden sei. Auch die Bundesregierung habe mindestens seit März Kenntnis von der Akte." Tageschau.de 11.9.2912

De Maizière sollte als oberster Dienstherr und Mitglied der Bundesregierung von der Akte gewusst haben.

"Im März 2012 wies der sächsische Verfassungsschutz den MAD darauf hin, dass 17 Jahre zuvor das Mundlos-Papier übersandt worden sei. In Sachsen lag nur noch das Übermittlungsprotokoll vor, die eigentliche Akte hingegen nicht mehr. Bei den anderen Ämtern fragte man offenbar gar nicht mehr nach, ob dort noch das gesamte Protokoll vorhanden sei. Dafür wurde das Verteidigungsministerium über den Vorgang informiert, das offenbar den möglichen Wert des Protokolls für den Ausschuss ebenfalls nicht erkannte. Zudem wurde nun bekannt, dass der MAD versucht hatte, Mundlos zu einer Zusammenarbeit zu bewegen. Er habe Anschlagspläne offenbaren sollen, lehnte dies aber ab, sagte der MAD-Chef. Von einem Versuch, Mundlos als Spitzel anzuwerben, könne aber nicht die Rede sein. Der MAD stellte sich in einer nicht-öffentlichen Runde des Ausschusses offenbar auf den Standpunkt, die Auskunft, es gebe keine Akten zu Mundlos, sei richtig gewesen, da das Protokoll bereits geschreddert worden sei. Offenbar sieht man es nicht als notwendig an, die Parlamentarier darüber zu unterrichten, dass es aber einmal Akten gab, die möglicherweise noch aufzufinden sind." Tageschau.de 11.9.2012

Der MAD und das Verteidigungsministerium wurden vom sächsischen Verfassungsschutz informiert. Die Akte in Sachsen existierte nicht mehr, der MAD verarbeitete sie zu Konfetti.

"Zudem ermittelte nach ARD-Informationen auch der Militärische Abschirmdienst (MAD) der Bundeswehr im Umfeld der drei Neonazis. Eine Verbindung könnte der Sprengstoff sein, den das Trio zum Bau von Rohrbomben eingesetzt hatte. Die Explosivstoffe könnten aus Bundeswehr-Beständen stammen. Laut "Focus" wurde der MAD kurz nach dem Untertauchen des Trios 1998 über dessen Aufenthaltsort informiert. Ein V-Mann des MAD habe diese Information damals an eine Außenstelle der Behörde in Leipzig weitergegeben - die Information sei aber in der MAD-Zentrale in Köln liegengeblieben." ARD 19.11.2011

Hier wird nun behauptet, die Information über den Aufenthalt der drei Neonazis sei beim MAD liegengeblieben.

"Laut einem Medienbericht ist ein Teil des 1991 aus einem Bundeswehr-Depot gestohlene TNT in der Garage von Beate Zschäpe aufgetaucht. Die Fahnder hätten mittlerweile herausgefunden, dass die Rohrbomben, die 1998 in einer von Beate Zschäpe angemieteten Garage gefunden wurden, mit dem TNT aus dem Bundeswehrdepot gebaut wurden, berichtet die „Bild am Sonntag“. Die Ermittler befürchteten jetzt, dass auch der Rest des Sprengstoffs in den Händen von Neonazis sein könnte. Die Untersuchungen zu dem Sprengstoffdiebstahl könnten auch im Zusammenhang mit einem Bericht stehen, wonach der Militärische Abschirmdienst (MAD) 1998 bereits den Aufenthaltsort von Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe gekannt haben soll." Abendblatt 27.11.2011

Moment. 1991 wurde der Bundeswehr Sprengstoff entwendet, der 1998 in Beate Zschäpe's Garage gefunden wurde. Eben jenes TNT, das vom LKA Thüringen unsachgemäß erfasst und offenbar zu früh vernichtet wurde. 1995 versuchte der MAD, Mundlos als V-Mann anzuwerben. 1998 wurde der MAD kurz nach dem Untertauchen des Trios über dessen Aufenthaltsort informiert und gab diese Information nicht weiter, bzw. übermittelte sie den zuständigen Verfassungsschutzbehörden, wie de Maizière letztes Jahr behauptete. Wenn De Maizière's Version stimmt, warum veranlasste niemand die Verhaftung der Neonazis ? Wenn die Informationen tatsächlich nicht vom MAD weitergeleitet wurden stellt sich widerum die Frage, warum dies nicht geschehen ist. Dass der MAD im Umfeld der NSU konkrete Ermittlungen verfolgte berichtete die FR bereits am 13.1.2012:

"Aus der vom BfV verfassten „Chronologie der Erkenntnisse und operativen Maßnahmen nach Abtauchen der NSU-Mitglieder“ geht noch eine Merkwürdigkeit im Fall Jürgen H. hervor. Demnach wurde H. am 15. September 1999 vom Militärischen Abschirmdienst (MAD) befragt. Dabei gestand er laut BfV-Bericht „seine Kuriertätigkeit für die Flüchtigen ein“. Er habe in dieser Befragung weiterhin angegeben, „von Beamten des LKA (vermutlich Thüringen) befragt worden zu sein, wobei er lediglich bestätigt habe, was die Beamten des LKA ohnehin schon gewusst hätten“ .Unklar ist, warum der MAD H. überhaupt befragte. Zwar führt der für Abwehraufgaben zuständige Dienst Aufgaben einer Verfassungsschutzbehörde aus, diese beschränken sich aber ausschließlich auf den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung, dem der MAD auch direkt unterstellt ist. Wie aber passt das zusammen mit der Ausspähung der Jenaer Neonaziszene? Mitte November 2011 war zudem bekannt geworden, dass ein V-Mann des MAD kurz nach dem Abtauchen des Nazi-Trios 1998 deren neuen Aufenthaltsort an die MAD-Stelle 71 in Leipzig gemeldet habe. Die Information sei jedoch liegen geblieben. War Jürgen H. aus Jena dieser V-Mann? Der MAD lehnt jede Stellungnahme ab."

Wie passt das alles zusammen, eine berechtigte Frage. Wenn sich der MAD laut Gesetz nur mit aktiven Angehörigen der Bundeswehr befasst und Mundlos 1995 aus dem Dienst ausschied, warum konnte der MAD 1998 den Aufenthaltsort der Terrorzelle an die Verfassungsschutzbehörden übermitteln ? Warum wurde NSU-Kurier Jürgen H. 1999 vom MAD vernommen ? Und warum war der MAD überhaupt an der Operation Rennsteig beteiligt, wenn die Infiltration von rechtsextremen Organisationen nicht zu seinem Aufgabenbereich gehört ?Wie konnte de Maizière, der ehemalige Chef der Sächsischen Staatskanzlei, der ehemalige sächsische Innenminister, der ehemalige Beauftragte der Bundesregierung für die Nachrichtendienste und der amtierende Verteidigungsminster, im Dezember 2011 behaupten, es habe keinen direkten Kontakt des MAD zur NSU gegeben ? Warum korrigierte de Maizière nicht zumindest seine Einschätzung bezüglich des direkten Kontaktes des MAD zur NSU, die er wenige Monate zuvor kundtat ? Da de Maizière durch seine Ämter im Bund und in Sachsen mit allen involvierten Diensten, die im Umfeld der Neonazis agierten, verflochten ist, hätte er bereits im November 2011 für Aufklärung sorgen müssen. Warum muss erst im März 2012 eine Anfrage des sächsischen Landesamtes für Verfassungschutz erfolgen, bevor die bizarre Suche nach der MAD/Mundlos-Akte beginnt. Warum veranlasste de Maizière nicht umgehend, dass alle relevanten Informationen des MAD dem Untersuchungsausschuss zur Verfügung gestellt wurde ? Wenn der MAD im Zusammenhang mit der Infiltration des NSU, bzw. des Thüringer Heimatschutzes immer wieder mit dem Verfassungsschutz kooperierte, einen Kurier des Zwickauer Trios befragt hatte, angeblich 1998 den Auenthalt der Terroristen kannte, warum fragte er dann nicht eigeninitiativ nach geteilten, kopierten, vernichteten Akten nach ? Zur Erinnerung: als Beauftragter der Bundesregierung koordinierte und intensivierte de Maizière die Zusammenarbeit der drei Nachrichtendienste des Bundes. Nun fühlte er sich als oberster Dienstherr des MAD nicht verpflichtet, den Untersuchungsausschuss zu einem der schlimmsten Terrorverbrechen in der deutschen Geschichte, über eine Akte zu informieren, die seine Behörde zu einem mutmaßlichen Täter angelegt hatte. Unsensibel, unglaublich oder bösartig ?

"Ich halte es für unglaublich, für unsensibel, wenn nicht bösartig, dass uns über ein halbes Jahr lang verschwiegen worden ist, dass es einen Kontakt zwischen einem Terrorverdächtigen und dem MAD gab. Das halte ich für einen ziemlichen Skandal", sagte Vorsitzende des Bundestags-Untersuchungsausschusses, Sebastian Edathy." Tagesschau.de 12.9.2012

Einen Tag nach dem die MAD-Story öffentlich wurde äußert sich plötzlich das Bundesverteidigungsministerium und gibt bekannt, was längst klar sein sollte. Der Verteidigungsminister hat seit Monaten (Mitte März 2012) vom Kontakt des MAD zum NSU-Terroristen Mundlos gewusst. Den Mitgliedern des Untersuchungsausschusses des Bundestages wurde die Akte vorenthalten. Noch im Sommer sei den Ausschussvertretern mitgeteilt worden, der MAD habe keine Unterlagen zu Mundlos. Es folgen die üblichen Entschuldigungen, Bedauern über Versäumisse und eine geniale Ausrede für das Schweigen von de Maizière: ES WAR EINFACH NICHT SEIN JOB!

"De Maizière räumte Versäumnisse im eigenen Haus ein. Bedauerlicherweise habe das Verteidigungsressort es vor wenigen Monaten unterlassen, den NSU-Untersuchungsausschuss gezielt auf die Unterlagen hinzuweisen, teilte das Ministerium mit. Ein Sprecher wies aber den Vorwurf zurück, de Maizière habe den Untersuchungsausschuss des Bundestags nicht darüber informiert. Die Zusammenarbeit mit dem Ausschuss sei nicht Aufgabe des Ministers, "sondern das ist Angelegenheit des steuernden Referates gegenüber dem Ausschuss". Der Minister sei in dieser Hinsicht nicht "sein erster Referent des Hauses, sondern er ist immer noch der Minister". Zeit 12.9.2012

Eine Neonazi-Bande, die vom Verfassungschutz mit zahlreichen V-Leuten infiltriert wird, zieht mordend durchs Land und der ehemalige Beauftragte der Bundesregierung für die Nachrichtendienste, der jetzige Dienstherr des MAD, welcher die Arbeit des Untersuchungsausschuss des Bundestags boykottierte (Versäumnisse) schickt einen Sprecher vor, der ihn für nicht zuständig erklärt ?

Aber es kommt noch besser. In einem Tagesschau.de Artikel ist zu der "Aufklärung über die Aktenpanne" folgendes zu lesen:

"De Maizière selbst ließ nach Angaben der Nachrichtenagentur dpa erklären, es sei bedauerlich, dass sein Haus dem Untersuchungsausschuss nicht gezielt einen Hinweis auf die Akte gegeben habe. Er teile die Auffassung des Ausschussvorsitzenden Sebastian Edathy (SPD), dass dies "unsensibel" gewesen sei. Grundsätzlich stellte sich der Verteidigungsminister aber hinter den ihm untergeordneten MAD. Laut Gesetz befasse sich der Dienst nur mit aktiven Angehörigen der Bundeswehr. Mundlos habe im März 1995 seinen Grundwehrdienst beendet. Wann die Löschung der Akten erfolgt sei, lasse sich heute nicht mehr rekonstruieren. Es sei aber weit vor dem Aufdecken der NSU-Verbrechen gewesen, hieß es aus dem Verteidigungsministerium."

Sorry folks, das war wohl etwas unsensibel. Und da fehlende Sensibilität gerne Schlampigkeit nach sich zieht, lässt sich natürlich nicht mehr rekonstruieren wann die Löschung geschah. Muss ewig her sein, geht ja auch niemanden was an und das kann ein Geheimdienst selbstverständlich unbürokratischer handhaben als ein Einwohnermeldeamt.

Kritik an der mangelnden Kooperation des MAD mit dem NSU-Untersuchungsausschuss wurde übrigens bereits im Juli 2012 laut:

" Nun gerät der MAD allerdings auch in der NSU-Affäre stark in die Kritik: Es geht um den Vorwurf, ob der Dienst sich weigere, dem Ausschuss Akten zukommen zu lassen."Die Aktenlieferungen des MAD sind nach wie vor unzureichend", sagte der Obmann der FDP im Untersuchungsausschuss, Hartfrid Wolff, der "Welt". Der Ausschuss habe zwei Aktenordner vom MAD bekommen, "doch davon ist das meiste geschwärzt, heißt, der Erkenntnisgewinnung ist gleich null. Das können wir natürlich nicht hinnehmen, vor allem nicht nach der Aktenlöschung des BfV." Wolff sagte, der MAD sei als Teil der Operation "Rennsteig" gefordert, seinen Beitrag zur Aufklärung zu leisten. Der FDP-Politiker kritisierte dabei auch den Verteidigungsminister: "Ich denke, das sollte auch im Interesse des Verteidigungsministeriums liegen." Auch Clemens Binninger, Unions-Obmann im Ausschuss, forderte den MAD zur besseren Zusammenarbeit auf: "Die Akten des MAD insbesondere zur Operation ,Rennsteig' sind für uns unverzichtbar." Er sei aber sicher, "dass der MAD konstruktiv mit dem Untersuchungsausschuss zusammenarbeiten wird". NSU-Ausschuss-Mitglied Christian Ströbele (Grüne) forderte: "Verteidigungsminister de Maizière muss jetzt ein Machtwort sprechen und veranlassen, dass der MAD dem Untersuchungsausschuss umgehend und vollständig sein Zusammenwirken mit Nazi-V-Leuten offenlegt." Welt 4.7.2012

"Zwischen 1996 und 2003 hatten das Bundes- und das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz sowie der Militärische Abschirmdienst (MAD) im Umfeld des "Thüringer Heimatschutzes", bei dem das NSU-Trio bis zum Abtauchen 1998 mitgemischt hat, mehrere Informanten — sogenannte V-Leute — im Einsatz. Aus den Akten geht hervor, dass "insgesamt acht V-Leute tatsächlich geführt wurden. Jedoch nur eine Akte sei vollständig vorgefunden worden. Die restlichen Akten waren der "überraschenden Vernichtung im November 2011 zum Opfer gefallen."SPD-Sprecherin Eva Högl bezeichnete die Aktenvernichtung als "unglaublichen Skandal". Es müsse geklärt werden, ob es "Dusseligkeit" oder "Vorsatz" war. Aus Sicht von Clemens Binninger (CDU/CSU) ist dieser Vorgang geeignet, "das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden zu erschüttern". Der Unionsobmann warnte indes davor, nur Fromm zum "Sündenbock" zu machen. Für die FDP sagte Hartfrid Wolff, mit den Akten sei auch das "Vertrauen in den Aufklärungswillen des Verfassungsschutzes geschreddert worden". Petra Pau (Die Linke) meinte, die Vernichtung der Dokumente allein könne Fromms Rücktritt wohl nicht rechtfertigen: "Was geschah noch?" Die Linken-Obfrau warf dem MAD vor, seine Akten zum NSU bisher nicht an den Ausschuss zu übermitteln. Das sei ein "Skandal". Bundestag.de 5.7.2012

Hier noch zwei weitere Meldungen aus dem Sachsensumpf, die bei der Fülle der beinahe täglich publizierten Skandalberichte über sogenannte Pannen deutscher Geheimdienste, untergegangen sind. Sie verdeutlichen, dass ab 2000 parallel zur Operation Rennsteig eine weitere Aktion im Neonazi-Umfeld der NSU geplant war, bei der V-Leute angeworben werden sollten. Beteiligt waren mehrere Landesämter des Verfassungsschutzes, vermutlich auch das sächsische , das ab dem Jahr 2004 dem Innenminister de Maiziére unterstand. Die Operation Rennsteig geschah mit Beteilung des MAD.

"Der Verfassungsschutz hatte neben der bereits bekannten Operation "Rennsteig" eine weitere große Überwachung von Neonazis in Thüringen geplant. Das geht aus einer vertraulichen Dokumentenübersicht hervor, die MDR THÜRINGEN vorliegt. Nach Recherchen von MDR THÜRINGEN ist eine Liste mit über 120 Rechtsextremisten erstellt worden, die als potentielle V-Leute oder Informanten angeworben werden sollten. Die Operation mit dem Decknamen "Treibgut" sollte parallel zur Operation "Rennsteig" ab dem Jahr 2000 die Neonazi-Szene in Thüringen und in den angrenzenden Bundesländern durchleuchten. Neben dem Thüringer Verfassungsschutz sollten auch das Bundesamt für Verfassungsschutz und weitere Landesämter beteiligt werden. Warum die Operation letztlich nicht gestartet wurde, ist unklar. Ihre Spur verliert sich in den vorliegenden Akten. Die Operation "Rennsteig" lief zwischen 1997 und 2003. Das Bundesamt für Verfassungsschutz, die Landesämter aus Thüringen und Bayern sowie der Militärische Abschirmdienst wollten damit die Neonazi-Szene in Thüringen und Nordbayern aufklären. Bei der Aktion waren auch mehrere V-Leute auf den "Thüringer Heimatschutz" angesetzt, aus dem das spätere Terror-Trio NSU hervorging. Nach dem Auffliegen der Terrorzelle im November 2011 wurden Teile der Operationsakten im Bundesamt für Verfassungsschutz vernichtet. Nach Bekanntwerden der Schredderaktion trat der damalige Präsident des Bundesamtes, Heinz Fromm, zurück." MDR 9.9.2012

"Eine vermeintliche Spur des Zwickauer Neonazi- Trios in die sächsische Staatskanzlei hat am Freitag für Wirbel gesorgt. Nach einem Bericht der „Dresdner Neuesten Nachrichten“ hatte das Bundeskriminalamt (BKA) schon 2007 einen Mitarbeiter der Staatskanzlei im Verdacht, Hintergründe zur beispiellosen Mordserie des Trios mit Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe zu kennen. Grund: Zwischen August 2006 und März 2007 soll es von einem Rechner der Staatskanzlei auffällig häufig Zugriffe auf eine Internetseite des BKA zu diesem Thema gegeben haben. Sachsens Regierungssprecher Christian Hoose gab am Freitag Entwarnung. Der Generalbundesanwalt habe versichert, dass die Spur „abgeklärt und völlig unverfänglich“ sei. Die „Dresdner Neuesten Nachrichten“ zitierten aus einem Beschluss des Amtsgerichtes Nürnberg vom 27. August 2007. Möglicherweise war das Gericht seinerzeit wegen des Datenzugriffs involviert. Dem Vernehmen nach ist das aber aus den Akten nicht erkenntlich. „Es ist davon auszugehen, dass die Zugriffe jeweils von derselben Person ausgingen, die ein besonderes Interesse an dem Stand der Ermittlungen hat.“ Die Richter wollten nicht ausschließen, dass der betreffende Mitarbeiter „selbst Erkenntnisse zu den Taten“ besitzt. Er habe nicht nur auffällig oft auf die besagte Internetseite zugegriffen, sondern dies auch gern außerhalb der normalen Arbeitszeit getan - in den späten Abendstunden oder am Wochenende, hieß es mit Verweis auf das BKA. Sachsens Innenministerium sah sich in den vergangenen Monaten wiederholt dem Vorwurf ausgesetzt, die Aufklärung zu den Verbrechen der Gruppierung Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) zu behindern. Innenminister Markus Ulbig (CDU) wies solche Anschuldigungen stets zurück. Nach einer Aktenpanne im Landesamt für Verfassungsschutz hatte dessen Präsident Reinhard Boos Mitte Juli überraschend sein Amt aufgegeben." Sächsische Zeitung 17.8.2012

Die Richter wollten 2007 nicht ausschließen, dass der betreffende Mitarbeiter der Sächischen Staatskanzlei „selbst Erkenntnisse zu den Taten“ besaß und der Generalbundesanwalt versichert, dass die Spur „abgeklärt und völlig unverfänglich" ist ? Was gab es auf der Internetseite des BKA zu "diesem Thema" zu lesen ? Auf welche Erkenntnisse zu welchen Taten bezog sich die Bemerkung des Amtsgerichtes Nürnberg ?

"Der begründete Verdacht, dass ein kriminelles Netzwerk sogar den Staat gefährdet, ist immer auch ein Fall für Staatsanwaltschaft und Polizei. De Maizière hätte also auf jeden Fall die Ermittlungsbehörden informieren müssen. Doch er glaubt sich auf der sicheren Seite. Der Verfassungsschutz hätte von sich aus die Staatsanwaltschaft benachrichtigen müssen. Aber als Dienstherr ist er verantwortlich. Prof. Peter-Alexis Albrecht, Strafrechtsexperte Universität Frankfurt/Main: „In dem Moment, wo der Chef, der Minister, informiert ist, muss er handeln und kann die Sache nicht erkenntnismäßig zurückgeben, schon gar, wenn es darum geht, dass Repräsentanten des Staates im Verdacht von derartig gravierenden Straftaten stehen.“ Dem Ex-Landes-Innenminister droht ein Gerichtsverfahren wegen Strafvereitelung im Amt. Da war er nur für einen regionalen Geheimdienst verantwortlich. Heute ist er Kanzleramtsminister, zuständig für alle deutschen Geheimdienste. Für Berliner Parlamentarier ist er jetzt untragbar. Der Skandal ist in Berlin angekommen. Auch wenn er es nicht wahr haben möchte, er steht im Mittelpunkt des Skandals. Thomas de Maizière, heute Staatsminister im Kanzleramt und damit der oberste Kontrolleur aller Geheimdienste". ARD Kontraste Sendung vom 28. Juni 2007

Update 13.12.2012

Die Grünen behaupten, sie wollen den MAD nun abschaffen und kritisieren de Maizière zaghaft:

"Der Vorgang hat eine Tragweite, bei der es nicht genügt, wenn Thomas de Maizière lediglich von bedauerlichen Versäumnissen spricht», sagte Roth. «Der MAD hat ausgedient.» Das Zurückhalten von sensiblen Informationen nähre die Befürchtung, dass sich bei den deutschen Geheimdiensten ein Staat im Staate herausgebildet habe." Der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy :"Mit Statements der Regierung gebe ich mich nicht zufrieden" . Der Ausschuss wolle die zuständigen Vertreter des MAD und des Verteidigungsministeriums in einer Sondersitzung im Oktober selbst befragen. Edathy warf Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) Versäumnisse vor. "Er hätte veranlassen müssen, dass der Ausschuss informiert wird", sagte der SPD-Politiker. Pläne, den Minister selbst in den Ausschuss zu laden, gebe es derzeit aber nicht." Abendblatt/dpa 13.9.2012

Gestern beantwortete Ausschuss-Mitglied Petra Pau die Frage, ob de Maizière geladen werde etwas konkreter: " Das war sowieso vorgesehen, später, er wird als Kanzleramtschef, Innen- u Verteidigungsminister gefragt werden müssen." Twitter 12.9.2012

Update 13.9.2012

Sebastian Edathy erläutert auf Nachfrage der Journalistin im ARD-Morgenmagazin, den Vorschlag der Sprecher der Fraktionen, den Vorgang (MAD Kontakte zu Mundlos) auf einer Sondersitzung im Oktober aufzuarbeiten. Edathy im Wortlaut:

Dieses Wissen ist uns vorenthalten worden. (...) Ich hatte gestern auf Wunsch von Herrn de Maizière die Gelegenheit mit ihm zu sprechen. (...) Er hat sich ein Stück weit entschuldigt. Er hat gesagt, es sei unsensibel gewesen uns nicht zu unterrichten. Nur sehen sie, ich glaub das reicht nicht ganz aus. Es kann nicht sein, dass die Spitze der Bundesregierung in Person der Bundeskanzlerin, seit Monaten sagt, wir tun alles um die Aufklärung zu befördern, wir tun alles was wir tun und leisten können um die Arbeit des Untersuchungsausschusses zu unterstützen und dann sitzt man sechs Monate auf einer Information, die für uns relevant ist, nach der wir gezielt gefragt haben, wo immer gesagt worden ist wir haben keine Erkenntnisse. Das geht so nicht. Das ist Blockieren das ist Ausbremsen unserer Arbeit und das werden wir uns nicht gefallen lassen. [Frage Christiane Meier:]Werden Sie Herrn de Maizière vorladen? [Edathy:] Wenn die sonstigen Mitarbeiter des Ministeriums im Oktober uns nicht befriedigend Auskunft geben können behalten wir uns das natürlich vor."

Und es geht weiter im Minutentakt mit Schlägen in die Magengrube, einem weiteren Schock, einer neuen Dimension des Skandal um die Nicht-Weitergabe und Vernichtung von Akten, dem schlimmsten Fall von Aktenvernichtung und dem Rücktritt von Sachsen-Anhalts Verfassungssschutz-Chef Volker Limburg.

"Der NSU-Aktenskandal weitet sich aus. Berliner Landesbehörden haben offenbar Hinweise zum Aufenthaltsort der NSU-Terroristen aus dem Jahr 2002 nicht weitergegeben. Der Bundesverfassungsschutz soll noch mehr brisante Akten vernichtet haben, als bislang bekannt. Unterdessen nahm der Chef des Landesverfassungsschutzes von Sachsen-Anhalt, Limburg, seinen Hut. (...) "Da ist leider auf der ganzen Linie eine Praxis des Geheimhaltens, Vertuschens und des Aktenschredderns festzustellen. Das ist absolut unmöglich." Möglicher Weise habe man Thomas S. "durch die Vernichtung von Akten schützen wollen". (...) Eva Högel fordert, der Minister müsse jetzt Auskunft über folgende Fragen geben: "Wann lagen welche Akten wo vor? Warum wurden sie dem Untersuchungsausschuss nicht zeitnah übermittelt? Warum hat der Bundesminister der Verteidigung noch Anfang Juli erklären lassen, dass es keinerlei Kontakt zu Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gegeben habe?". Grünen-Politikerin Claudia Roth geht noch weiter. Gegenüber tagesschau.de forderte Roth indirekt den Rücktritt des Ministers:"Entweder fehlte dem Verteidigungsminister jede Sensibilität für die Brisanz der Information, oder de Maizière hatte einen konkreten Grund, weswegen er die Weiterleitung der Information nicht angeordnet hat. Beides wäre für einen Verteidigungsminister, der Verantwortung nicht nur für seine Behörde, sondern auch für die Bundeswehr und ihre Soldaten übernehmen muss, verheerend." Tagesschau.de 13.9.2012


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