LfV Hessen hatte Hinweise auf NSU-Mord

Staatskrise Heute bericht die Welt, dass das LfV Hessen und sein ehemaliger Mitarbeiter Andreas Temme vorab Hinweise auf den NSU-Mordanschlag auf Halit Yozgat in Kassel hatte.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

http://i62.tinypic.com/15xqnsz.jpg

NSU-Untersuchungsausschuss in Hessen:der Aufklärungswillen des Cem Özdemir

ARD hinterfragt Tiefen Staat im NSU-Komplex

NSU-Komplex: drei Jahre systematische Vertuschung

"Die "Welt am Sonntag" kann jetzt den Ablauf der Ereignisse vor und nach dem Mord in Kassel rekonstruieren und sich dabei auf Vermerke und Akten aus dem hessischen Innenministerium stützen, die bislang öffentlich nicht bekannt waren. Vor allem abgehörte Telefonate, die erst jetzt ausgewertet werden konnten, lassen den Mord von Kassel in einem anderen Licht erscheinen. Diese Protokolle und weitere, bislang unbekannte Details, werden in mehreren Beweisanträgen aufgeführt, die die Anwälte der Hinterbliebenen des Opfers Halit Yozgat, Thomas Bliwier, Bilsat Top, Doris Dierbach und Alexander Kienzle, am vergangenen Freitag beim Oberlandesgericht in München eingereicht haben. Die Nebenkläger wollen unter anderem beweisen, dass Andreas Temme nicht zufällig am Tatort war, sondern bereits vor dem Mord "konkrete Kenntnisse von der geplanten Tat, der Tatzeit, dem Tatopfer und den Tätern hatte".Und sie wollen anhand abgehörter Telefonate belegen, dass der Hessische Verfassungsschutz davon gewusst hat – und alles tat, die Polizei bei ihren Ermittlungen zu behindern und abzulenken. So habe ausgerechnet der mit der Betreuung des mordverdächtigen Kollegen betraute Geheimschutzbeauftragte des Verfassungsschutzes Hess in einem Telefonat wörtlich gesagt: "Ich sage ja jedem: Wenn er weiß, dass irgendwo so was passiert, bitte nicht vorbeifahren." (Welt Online 22.2.2015)

Diese neuen Hinweise bergen jede Menge Sprengstoff sowohl für das NSU Verfahren in München, den Hessischen Untersuchungsausschuss, die dortige schwarz-grüne Koalition, als auch die Bundesanwaltschaft, deren These der isolierten Kernzelle NSU immer unglaubwürdiger erscheint.

Andreas Temme, der zum Zeitpunkt des Mordes in einem Internet-Cafe nichts gesehen und gehört haben will, führte den V-Mann Benjamin Gärtner, der hervorragende Kontakte in die Kasseler Neonazi-Szene aber auch nach Thüringen hatte, wo er 2001 bei einer Aktion des Thüringer Heimatschutzes (THS) in Eisenach festgenommen wurde. Benjamin G. steht auf einer Liste von Personen, die laut BKA und BfV Kontakt zum NSU gehabt haben sollen. Eine Stunde vor dem Kasseler Mord telefonierten G. und sein V-Mann Führer Temme. Temme, ein Waffennarr und Sammler von NS-Devotionalien pflegte lose Kontakte zu den Hells Angels. Ein Informant erzählte dem BKA, er habe zu Beginn der 2000er Jahre in der Kneipe „Scharfe Ecke“ in Reinhardshagen mehrfach Uwe Mundlos gesehen. Der mutmaßliche Rechtsterrorist habe in der Kneipe Kontakt zu Rockern der „Hells Angels“ und Neonazis der „Blood and Honour“-Gruppe gesucht. In dieser Kneipe ist auch der Verfassungschützer Temme mehrfach gesichtet worden. Nur 450 Meter entfernt von der “Scharfen Ecke” befindet sich eine weitere Lokalität, in der sich die Reservistenkameradschaft Reinhardshagen monatlich trifft. Bei den Veteranen schoss Temme mit seinen zahlreichen Waffen. Der Geheimschutzbeauftragte des hessischen Verfassungsschutzes riet Temme telefonisch bei seiner Aussage vor der Polizei “so nahe wie möglich an der Wahrheit” zu bleiben.

Die Ermittlungen gegen Temme wurden nur deshalb eingestellt, weil eine Sperrerklärung des damaligen hessischen Innenministers Bouffier eine weitere Aufklärung der Tat verhinderte. Der Strafsenat am OLG München hat die vollständige Beiziehung der Ermittlungsakten im Fall Andreas Temme von der Generalbundesanwaltschaft abgelehnt. Die Bundesanwaltschaft legte die Akten nur unvollständig vor und beharrte hartnäckig darauf, dass weitere Akten zur Sache Temme zur Aufklärung des Sachverhalts nicht beitragen würden. Zudem lehnte der Senat die Beiziehung der unvollständigen Akten mit dem Verweis auf Irrelevanz ab. Am Tattag telefonierte Temme mit der rechtsextremen V-Person Benjamin G. G. bekam für das Verfahren in München einen Anwalt an die Seite gestellt. Auf Staatskosten:

” Der hessische Verfassungsschutz hat bestätigt, dass er beim Rechtsterrorismus-Verfahren in München den Anwalt für einen früheren Zuträger aus der rechtsextremen Szene bezahlt hat. Auch bei der Vernehmung durch das Bundeskriminalamt im Jahr 2012 habe die Behörde den Rechtsanwalt Volker Hoffmann für den früheren Rechtsextremisten Benjamin G. entlohnt, sagte ein Sprecher des Verfassungsschutzes der Frankfurter Rundschau am Donnerstag. Der Verfassungsschutz habe sicherstellen wollen, dass die „weit gezogenen Grenzen der Aussagegenehmigung“ nicht überschritten würden, teilte er zur Begründung mit. Benjamin G. sei es untersagt gewesen, „Aussagen zur Arbeitsweise“ der Behörde und „zum Zusammenarbeitsverhältnis der dortigen Mitarbeiter“ zu machen, erläuterte der Sprecher. Ein weiterer Grund für die staatliche Bezahlung des Anwalts sei es gewesen, „im Sinne Herrn G.s“ zu verhindern, dass er zum bloßen „Objekt des Verfahrens“ degradiert werde. Die Bezahlung von Anwalt Hoffmann habe sicherstellen sollen, dass G. „nicht aus finanziellen Gründen auf einen Anwalt verzichtet“, formulierte die Behörde.” (FR 6.12.2013)

Noch vor drei Jahren waren sich deutsche Journalisten nicht zu schade, die Verstrickung des Verfassungsschützers Andreas Temme in den Mord an Halit Yozgat ins Reich der Verschwörungstheorien zu verbannen:

Der Widerlegung solcher sogenannter Verschwörungstheorien, die im allgemeinen wenig differenziert betrachtet werden, widmete sich beispielsweise das NDR Magazin Panorama in einer Sendung vom 05. Juli 2012, über den Kasseler NSU-Mord an Halit Yozgat. Dort wurde dem ehemaligen Verfassungsschützer Andreas Temme und seiner Frau Gelegenheit gegeben, sich zu der Angelegenheit zu äußern. Schon die Anmoderation von Moderatorin Anja Reschke ersetzte Fakten durch Desinformation:

” Die Geschichte rund um die rechtsextreme Terrorzelle NSU und den Verfassungschutz. Nicht nur, dass unser Nachrichtendienst jahrelang nicht mitgekriegt hat, dass es dieses rechte Trio überhaupt gibt, nicht nur, dass Akten über die NSU geschreddert wurden, aus Versehen. Nein, jetzt liest man auch noch: hat ein Verfassungsschützer selbt einen NSU-Mord begangen. Steht heute in der renommierten Zeitung “die Zeit” und ebenfalls in Bild. Oha. Das klingt wie Hollywood. Zu doll um wahr zu sein. Panorama und die Süddeutsche Zeitung haben sich schon lange sehr ausgiebig mit diesem Fall beschäftigt und festgestellt, dass vieles was man zu so einer Verschwörung zusammenreimen kann, wohl eher reiner Zufall war.”

Was der Panorama Beitrag verschwieg: Das vom heutigen hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU) seinerzeit geführte Innenministerium in Wiesbaden verhinderte eine Befragung des rechten V-Mannes (laut SZ/Tanjev Schultz ein “ziemlich kleines Licht” ) und anderer Informanten. Er untersagte es der Polizei, die V-Leute selbst zu vernehmen. Das ” Wohl des Landes Hessen “ sei gefährdet. Die Quelle wurde später lediglich durch den Landesverfassungsschutz selbst vernommen, nachdem Fragen der Polizei übersandt worden waren. Diese Vernehmungen erbrachten jedoch „keine weiterführenden Erkenntnisse“, berichtete die Staatsanwaltschaft. Eine Vorgesetzte von Andres T. rief den vom Dienst freigestellten Mitarbeiter an, um ein Treffen auf einem Autobahn-Rasthof zu vereinbaren.

” Der „Spiegel“ zitiert in seiner aktuellen Ausgabe einen Verfassungsschützer, wonach derlei Geheimhaltung für „das Wohl des Landes Hessen“ bedeutsam gewesen sei. Der Mord an Halit Yozgat sei demgegenüber nicht so wichtig gewesen.” HNA 9.9.2012

Anstatt solche Hintergünde zu beleuchten präsentierten Panorama Redakteure am 13. Juli 2012 eine reißerische Abhandlung zum Thema Verschwörungstheorien mit der Überschrift “NSU-Morde: Fakten und Fabeln” :

” [Bildunterschrift: Trenchcoat, Lederhandschuh und Aktenkoffer gehören zu fast jeder guten Verschwörung. ]Nichts regt die Phantasie so schön an, wie die Beschäftigung mit dem Geheimen: Deswegen blüht in der Literatur das Genre des Agentenromans, und in unserem journalistischen Gewerbe das Genre der Verschwörungstheorie. Im Agentenroman ist immer alles möglich, auch und gerade das Undenkbare. Gerne werden auf den letzten zehn Seiten aus Helden Bösewichter, aus Regierungen kriminelle Organisationen – eine völlig neue schillernde Welt entsteht. Das ist sehr unterhaltsam, ebenso wie die journalistische Verschwörungstheorie immer unterhaltsam sind. Denn nichts ist banal, nüchtern und langweilig – alles ist wahnsinnig merkwürdig und atemberaubend unglaublich. In Zeiten der NSU-Affäre etwa werden aus langweiligen Verfassungsschutzbeamten mordende Zombies, aus katastrophaler Unfähigkeit wird bösartige Vertuschung, aus Dummheit Verschwörung. Dafür gibt es viele Beispiele aus jüngerer Zeit. Mittlerweile – siehe unsere Umfrage – ist das entsprechende Gedankengut auch schon Allgemeingut. Alle Verschwörungstheorien folgen übrigens demselben dramaturgischen Muster: Vermeintliche Ungereimtheiten bei Nebensächlichkeiten werden grotesk überhöht, die naheliegenden Hauptfragen geschickt umgangen.”

Sowohl für den Panorama-Beitrag vom 5.7.2012 als auch für den Süddeutschen Artikel ist der NSU-Buchautor (“Die Zelle”) John Goetz als Redakteur mitverantwortlich.

Befragt nach der Ermordung des Kasseler Internet-Cafe-Besitzer Halit Yozgat und dem Umstand, dass der ehemalige, hessische Verfassungsschützer Andres Temme, der zur Tatzeit am Tatort war und vom Mord nichts bemerkt haben will, erklärt ein weiterer, sogenannter investigativer Journalist namens Leyendecker aufgebracht:

” Das is ausermittelt. Das ist nun wirklich damals ausermittelt, das ist jetzt noch mal ausermittelt. Der saß da, das is auch ne Figur wie eigentlich aus ‘nem Roman, hat früher Mein Kampf intensiv gelesen. Es passte scheinbar alles. Aber es ist ausermittelt, er hat mit dieser Tat, wenn Sie gucken, die Mörder kamen aus Dortmund, es wäre möglich gewesen, dass sie in Münster gemordet hätten, dass sie woanders, er hat mit dieser Tat nicht zu tun gehabt. (…) Was ausermittelt ist und das ist ausermittelt. Und dann kann ich nicht mit ‘ner Verschwörungstheorie noch mal um die Ecke kommen.”

Mehr als peinlich wird der hessische NSU/Verfassungsschutzskandal nun auch für die Grünen. Kurz nachdem die Welt heute darüber berichtete, dass der Verfassungschutz und sein ehemaliger Mitarbeiter Andreas Temme vorab Hinweise auf den NSU-Mordanschlag auf Halit Yozgat in Kassel hatte, meldet sich Cem Özdemir auf Twitter:

“@welt Abgründe. #NSU-UA #Hessen muss lückenlos aufklären. Ohne Tabus. Schulden wir den Opfern & unserer Demokratie.”

Der Welt sagte er heute:

"Da tun sich weite Abgründe auf. Der Mord in Kassel ist alles andere als aufgeklärt."

Nach lückenloser Aufklärung sieht das Agieren von Özdemirs Kollegen in Hessen weiterhin nicht aus. Weder CDU noch Grüne hatten im Landtag für den Ausschuss gestimmt. Die Begründung von Jürgen Frömmrich, Ausschuss-Obmann der Grünen Fraktion:

“Mir ist noch nicht klar, wie wir mit denselben Zeugen und denselben Akten zu neuen Erkenntnissen kommen sollen“

Anstatt nun neue, ungeschwärzte Akten anzufordern und neue Zeugen vorzuladen bevorzugten es die hessischen Grünen bislang den berüchtigten Linksextremismus Forscher Rudolf van Hüllen einzuladen, der fast 20 Jahre war er beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in den Abteilungen Linksextremismus und Linksterrorismus tätig.

Wenn Özdemir eine schonungslose, lückenlose Aufklärung der Abgründe in Hessen fordert, warum äußert er sich bislang nicht zu dem geringen Aufklärungseifer seiner hessischen Parteifreunde?

Die Abgründe bei den Ermittlungen zum Kasseler Mord tun sich schon länger auf. Warum geht Özdemir erst jetzt, also nach den neusten Veröffentlichungen in der Welt in die Offensive und erklärt den Yozgat Mord für nicht aufgeklärt?

Am 2.12.2014 stellte ich Herrn Özdemir auf abgeordnetenwatch.de folgende Fragen und schrieb ihn diesbezüglich am 6.12.2014 unter folgenden Mail Adressen (cem.oezdemir@gruene.de cem.oezdemir@bundestag.de presse@gruene.de) an:

“Der hessische Verfassungsschützer Andreas T., der 2006 zum Zeitpunkt des Mordes an H.Yozgat in einem Internet-Cafe nichts gesehen und gehört haben will führte den V-Mann Benjamin G., der Kontakte in die Kasseler Neonazi-Szene aber auch nach Thüringen hatte, wo er 2001 bei einer Aktion des Thüringer Heimatschutzes in Eisenach festgenommen wurde. G. steht auf einer Liste von Personen, die laut BKA und BfV Kontakt zum NSU gehabt haben sollen. Eine Stunde vor dem Mord telefonierten G. und sein V-Mann Führer. Staatsanwaltschaft und Polizei sind durch den Verfassungsschutz massiv behindert worden. Das Landesamt hat Einfluß auf das Aussage von T. genommen, Akten sind geschwärzt, Unterlagen über Informationen von V-Leuten werden nicht herausgegeben. Unterstützen Sie die Entscheidung der hessischen Grünen der Einsetzung eines Untersuchungsauschusses nicht zuzustimmen? Halten Sie die Aussagen von T. für glaubwürdig? Ist der Yozgat Mord für Sie aufgeklärt?”

Ich habe bis heute keine Antworten von Cem Özdemir erhalten.

Am 29.12.2014 erreichte mich folgende Mail aus dem Bundestagsbüro von Cem Özdemir:

“Sehr geehrter Herr Roberts,

vielen Dank für Ihre Mail. Ihre Frage haben wir erhalten. Bis zu einer Beantwortung durch Herrn Özdemir muss ich Sie jedoch aufgrund der sehr großen Anzahl von Mails, Briefen und anderen Anfragen an Cem Özdemir noch um etwas Geduld bitten."

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gold Star For Robot Boy

War is Peace Freedom is Slavery Ignorance is Strength

Gold Star For Robot Boy

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden