Aufstehen bitte!

Protest im Flieger Was macht man, wenn der eigene Urlaubstrip für den Sitznachbarn zur Abschiebung wird? Ein Aufruf für mehr Zivilcourage
Ausgabe 52/2014

Wer dieser Tage dem Winter entfliehen will, der steigt ins Flugzeug. In den meisten Fällen wird man dabei nicht mit größeren ethischen Fragen konfrontiert. Aber es gibt Ausnahmen: Was macht man, wenn der eigene Urlaubstrip für den Sitznachbarn zur Abschiebung wird? Wie soll man reagieren, wenn im gleichen Flugzeug ein Mensch sitzt, der gezwungen wird, Deutschland in Richtung einer ungewissen, oft gefährlichen Zukunft zu verlassen?

Laut einer Anfrage der Linksfraktion sind im vorigen Jahr 7.289 Menschen auf dem Luftweg abgeschoben worden – nach Serbien, in die Türkei oder in den Irak. Viele dieser Abschiebehäftlinge saßen in regulären Passagiermaschinen deutscher Fluggesellschaften wie Lufthansa, Air Berlin oder Germanwings. „Schauen Sie nicht weg“, fordert deshalb die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl Fluggäste auf, die Zeugen solch einer Abschiebung werden. In einem eigens für diese Fälle entworfenen Infoblatt erklärt die Organisation, wie eine Abschiebung durch zivilen Ungehorsam verhindert werden kann, indem man sich weigert, seinen Sitzplatz einzunehmen, und so das Starten des Flugzeugs unmöglich macht. Oder auch, indem man das Flugzeugpersonal auf die Abschiebung hinweist.

93 von rund 7.000 Abschiebungen konnten in diesem Jahr verhindert oder zumindest verzögert werden. Weil sich die Abschiebehäftlinge selbst ihrer Zwangsausreise widersetzten, da Mitreisende den Mut fassten, sich gegen die Abschiebung auszusprechen. Oder weil das Flugzeugpersonal sich weigerte, zum Handlanger für eine immer drastischere Abschiebepolitik zu werden. Denn die Zahl der Abschiebungen aus Deutschland steigt: von 7.650 im Jahr 2012 auf 10.200 2013. Daran ändert auch der kürzlich eingeführte „Winterabschiebestopp“ nichts, auf den sich Schleswig-Holstein, Thüringen und Rheinland-Pfalz geeinigt haben. Die Bundesländer mit den meisten Abschiebungen – Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg – haben sich dem Abkommen bisher aber nicht angeschlossen.

Und so kann es sein, dass auch in der nächsten Maschine wieder jemand sitzt, der gezwungen wird, in eine ungewisse Zukunft zu reisen. Aufstehen im Flieger ist dann angesagt. Auch wenn nur eine von Tausenden Abschiebungen so verhindert werden kann, der Einsatz lohnt sich: Denn für die Betroffenen bedeutet ein Aufschub zumindest eine kleine Chance auf ein besseres und sicheres Leben. Wer das nicht sehen will, macht sich zu einem stillen Gehilfen der deutschen Asylpolitik.

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