Monokultureller Mord

Ökologie Fipronil macht nicht nur die Eier giftig. Es tötet auch Insekten. Was noch zum großen Insektensterben führt
Ausgabe 32/2017
Pestizide sind für Insekten eine große Bedrohung
Pestizide sind für Insekten eine große Bedrohung

Illustration: Susann Massute für der Freitag

Der Große Puppenräuber oder auch Calosoma sycophanta ist ein auffälliges Tierchen. Sein Panzer strahlt in allen Farben des Regenbogens – und für einen Käfer ist er mit fast drei Zentimetern recht groß geraten. Seine Tage verbringt er in Deutschlands Wäldern, immer auf der Suche nach Schmetterlingspuppen. Daher kommt auch sein Name. Wirklich gesehen haben ihn wohl nur die wenigsten Waldspaziergänger in den vergangenen Jahrzehnten. Denn der Große Puppenräuber ist auf dem Rückzug. Oder vielmehr sein Lebensraum, der Mischwald.

„Die Monokultur ist das größte Problem für unsere Insekten“, sagt Johannes Frisch, Entomologe, das heißt Insektenkundler, und Leiter der Käfersammlung am Berliner Naturkundemuseum. Er empfängt in seinem Reich, der größten Käfersammlung Deutschlands. Rund sechs Millionen Käfer liegen hier in acht Schränken aus hellem Holz. Jeder Schrank beherbergt Hunderte oder Tausende kleiner aufgespießter Körper in unzähligen Größen und Farben. Käfer sind Hirschs Spezialgebiet und Deutschlands Käfer sind seine speziellen Sorgenkinder. Aber nicht nur er macht sich Sorgen.

Besonders Norddeutschland

Bundesumweltministerin Barbara Hendricks warnte jüngst vor verheerenden Folgen des Insektensterbens für Vögel und Fledermäuse in ganz Deutschland – und trat damit eine Welle der Besorgnis los. Zumindest medial. „Schleichende Katastrophe. Bis zu 80 Prozent weniger Insekten in Deutschland“, titelte wenig später die FAZ. „80 Prozent weniger Insekten als 1982“: Spiegel Online. Rund 100 weitere Medien berichteten über Deutschlands mögliche Zukunft ohne Bienen und Mücken. Manch einer hielt das für überzogen. „Angeblicher Insektenschwund: Wie die Medien in die grün-rote Wahlkampffalle tappten“, schrieb ein Autor des Medienportals meedia.de. Er suchte nach einer Quelle oder Studie, auf die sich die Meldung bezog, und fand lediglich Mitteilungen des Entomologischen Vereins Krefeld und des Naturschutzbundes Deutschland. Rund 25 Jahre lang fingen und datierten die Vereinsmitglieder Insekten im Orbroicher Bruch, einem Naturschutzgebiet im Norden von Krefeld. Ihre Ergebnisse waren trotzdem eindeutig. Demnach sei die Biomasse um bis zu 75 Prozent zurückgegangen, das heißt: weniger Insekten, vor allem flugfähige, also Wespen, Bienen, Fliegen und Schmetterlinge. Das Interessante: Die Zahlen der Krefelder sind bereits seit 2013 bekannt. Wer ein bisschen sucht, findet die medialen Ausschläge des Themas im Netz. „Dramatisches Insektensterben“, warnte der Naturschutzbund schon im Januar 2016. Und auch die FAZ berichtet im selben Monat: „Immer weniger Insekten in Deutschland“. Für die Insekten heißt das: Ihr Sterben ist nichts Neues. Nur ist es jetzt gerade mal wieder auf der Agenda gelandet. Ist das jetzt gut oder schlecht, Herr Frisch?

„Für die Sache der Insekten ist das natürlich gut“, sagt Frisch, nun in seinem Büro. Die Zahlen der Krefelder kennt er. Für repräsentativ hält er sie allerdings nicht, zumindest nicht für ganz Deutschland. Da müsse man differenzieren, sagt Frisch. Im Süden, den bergigen Gebieten, den Wäldern, in denen es die industrielle Landwirtschaft schwerer hat, sich flächenmäßig auszubreiten, stehe es noch nicht so schlimm. Nur die Ebenen, die seien besonders betroffen von der abnehmenden Diversität der Insekten. Die Ebenen? Ist das nicht fast ganz Deutschland? Frisch lacht und erzählt von einer Fahrt, die er kürzlich durch Norddeutschland machte. „Der größte Maisacker Deutschlands“, wie er die Region nennt. „Da lebt so gut wie nichts mehr.“

Deutschland beherbergt rund 33.000 verschiedene Insektenarten. Wie viele davon akut gefährdet sind, oder kurz vorm Aussterben – dazu gibt es keine genauen Zahlen. Laut der Roten Liste des Bundesamts für Naturschutz sind von rund 8.000 untersuchten Arten etwa fünf Prozent bereits ausgestorben oder verschollen, sieben Prozent vom Aussterben bedroht. zehn Prozent sind stark gefährdet, zwölf Prozent gefährdet und weitere vier Prozent vermutlich gefährdet. Somit sind rund 38 Prozent der in der Roten Liste geführten Insekten ausgestorben oder vom Aussterben bedroht.

Die monokulturelle Land- und Forstwirtschaft nimmt aber nicht nur dem Großen Puppenräuber den Lebensraum. Frisch erzählt von Feldern, die wie am Schnürchen gezogen sind. Auf denen sei kein Platz mehr für Hecken, Wildblumen oder Totholz. Auf hunderten Hektar prall gelbem Winterraps finden Insekten keine Nahrung mehr, wenn die Blüte vorbei ist. „Da verhungern buchstäblich ganze Bienenvölker.“ Frisch ist jetzt etwas entrüstet. Sein Leben sind die Käfer. Gerade kommt er aus Java zurück. Er schläft wochenlang im Zelt, im Dschungel, nur um Käfer zu studieren. Dass seine Forschungsobjekte und im Allgemeinen alle Insektenarten in Deutschland so einen schlechten Stand haben, regt ihn sichtbar auf. In den Wäldern sei es das Gleiche, sagt Frisch. „Überall nur Fichte.“ Und alles werde ständig aufgeräumt, alles Alte weggeschafft, sogar bei den Alleen an den Landstraßen. Der Versicherungsschutz, sagt Frisch. Gerade für die Käfer sei das verheerend. Ohne alten Baumbestand finden Puppenräuber und andere holzbewohnende Insekten keine Brutplätze.

Ein weiteres Problem sind Pestizide. Wer Insekten loswerden will, der spritzt beispielsweise Imidacloprid auf seine Felder. Imidacloprid gehört zu den Neonicotinoiden – das sind Nervengifte. Seit den 1990er Jahren sind sie in der Landwirtschaft verbreitet und stehen im Ruf, für das massenhafte Sterben von Insekten verantwortlich zu sein. Im Frühjahr 2008 starben in Baden-Württemberg rund 7.000 Bienenvölker. Die Zulassung für das Mittel, das vermutlich das Bienensterben auslöste, wurde Mitte Mai 2008 vom deutschen Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit gestoppt. Wenige Wochen später wurde das Verbot aber teilweise wieder aufgehoben. Und noch ein anderes Mittel ist für Bienen gefährlich: das gerade Schlagzeilen machende Fipronil. Es handelt sich ebenfalls um ein Nervengift, das vor allem in der Tiermedizin gegen Flöhe und Zecken eingesetzt wird – aber auch in der Landwirtschaft zum Einsatz kommt. Fipronil wurde jetzt nachgewiesen in Eiern aus Belgien und den Niederlanden, obwohl die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit es schon 2013 als „akutes Risiko für Honigbienen“ eingestuft hatte. Im Jahre 2014 verbot die EU den Einsatz von Fipronil für die Behandlung von Mais- und Sonnenblumensamen. Für andere landwirtschaftliche Zwecke ist der Wirkstoff jedoch auch weiterhin erlaubt.

Blütenbestäuber in Not

Besonders betroffen vom Gift sind die Blütenbestäuber – Schmetterlinge oder eben Bienen. Doch ohne Bienen kein Honig und vor allem keine Bestäubung. Dass es ohne Insekten nicht geht, hat vor kurzem auch die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen hervorgehoben. „Der Rückgang der Insekten hat erhebliche Auswirkungen auf Nutzpflanzen, die weltweit zu über 80 Prozent insektenbestäubt sind. Da auch ein sehr großer Anteil der Nahrungs-Nutzpflanzen auf Tierbestäubung angewiesen ist, haben Bestäuber einen großen Einfluss auf die weltweite Lebensmittelproduktion. Außerdem sind Insekten von hoher Bedeutung als Nahrungsgrundlage für Vögel, Fledermäuse und andere Wirbeltiere.“

Ohne Insekten keine Nahrungskette. „Ich weigere mich, Insekten nur als Vogelfutter zu betrachten“, sagt Frisch. Auf seinem Bildschirmschoner spulen sich großformatige Fotos von Wiesen, Wäldern und Käfern ab. Klar seien Insekten eine wichtige Proteinquelle für Vögel, räumt Frisch ein. Aber auch Insekten äßen Insekten, nicht nur Vögel.

Die jüngste Agrarreform sieht vor, dass jeder Landwirt mit mehr als 15 Hektar Land fünf Prozent seiner Ackerfläche als ökologische Vorrangflächen ausweist. Konkret heißt das: keine Pestizide, keine Zwischenfrüchte, stattdessen Brachflächen, Unterholz oder Tümpel. Der Bund für Umwelt und Naturschutz zweifelt den Sinn dieses „Greenings“ an. Nur um ein Prozent habe sich die für den Naturschutz wertvolle Fläche erhöht. Dem gegenüber stünden 1,5 Millionen Euro Ausgaben.

Forscher Frisch wünscht sich für den Großen Puppenräuber und all die anderen gefährdeten Insekten mehr politisches Gehör. Dauerhaft, nicht nur in Empörungswellen. „Weniger Gift, mehr Auflagen für die Landwirte.“ Sonst werde das Insektensterben einfach weitergehen, sagt Frisch. Ob die aktuell wieder einmal große Sorge um die Insekten es diesmal bis nach der Bundestagswahl schafft, zeigt sich wohl erst im nächsten Jahr. Für den Großen Puppenräuber wird es knapp.

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