„Soziale Bewegungen scheitern ohne Geld“

Interview Matthias Fiedler ist Geschäftsführer der Bewegungsstiftung und glaubt, dass ethisch-nachhaltig angelegtes Geld ein Hebel für sozialen Wandel sein kann
Ausgabe 05/2015
„Bei uns haben Stifter keinerlei Einfluss auf einzelne Investitionen“
„Bei uns haben Stifter keinerlei Einfluss auf einzelne Investitionen“

Foto: Christian Werner für der Freitag

In einem Berliner Café sitzt Matthias Fiedler und hat nicht viel Zeit: Gleich trifft der Geschäftsführer der Bewegungsstiftung bei einem Kongress Aktivisten, Campaigner und Vertreter von Nichtregierungsorganisationen. Für sie ist Fiedler ein gefragter Gesprächspartner: Denn die mit dem Kapital der Bewegungsstiftung verdiente Rendite fließt in Kredite für Hausprojekte, Beteiligungen an Unternehmen wie Greenpeace Energy und Förderungen für Kohlekraftgegner oder kritische Kampagnen wie Pinkstinks.

der Freitag: Herr Fiedler, wenn ich viel Geld hätte und nicht wüsste, wohin damit: Warum sollte ich es Ihrer Stiftung geben?

Matthias Fiedler: Weil wir uns als eine Stiftung mit politischer Haltung verstehen. Wir wollen etwas in Bewegung setzen, den sozialen Wandel fördern. Unsere Stifterinnen und Stifter sollten idealerweise ähnlich denken.

Wie denken Sie denn?

Ohne soziale Bewegungen hätte es etwa die rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau, den Atomausstieg oder die Reduzierung auf den Acht-Stunden-Tag nie gegeben. Sie sind die Motoren sozialer Veränderungen. Da die meisten von uns selbst lange in Bewegungen aktiv waren, wissen wir, dass diese Arbeit scheitert, wenn es an finanziellen Mitteln fehlt.

Nehmen wir an, ich gebe Ihnen Geld. Was tun Sie damit?

Wir arbeiten mit genossenschaftlichen und alternativen Banken zusammen und legen das Geld ethisch-nachhaltig an. Aus den Erträgen fördern wir soziale Bewegungen und Projekte. Um die 15 Prozent des Stiftungsvermögens legen wir in Aktienfonds an. Etwa 20 Prozent gehen in Direktbeteiligungen und weitere 15 Prozent vergeben wir als Darlehen. Der Rest geht in festverzinsliche, sichere Anlagen. Einen bestimmten Prozentsatz des Geldes bekommen wir als Rendite zurück. Das geht dann direkt in den Fördertopf.

Wie hoch ist die Rendite?

Wir erzielen derzeit etwa drei Prozent, was sehr gut ist, gerade bei den gegenwärtig niedrigen Zinssätzen. Es wird ja oft behauptet, ethisch nachhaltige Geldanlage lohne sich nicht. Ein Trugschluss.

Was heißt „nachhaltig“?

Wir beziehen uns auf die Definition des Brundtland-Berichts der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung von 1987. Dort wird ein Prozess als nachhaltig bezeichnet, wenn heutige Bedürfnisse befriedigt werden, ohne zukünftigen Generationen die Chance zu nehmen, ihrerseits ihre Bedürfnisse zu befriedigen.

Und wie definieren Sie „ethisch“?

In unseren Anlagerichtlinien gibt es Positiv- und Negativkriterien. Investitionen in Atomkraft, Kohle, Kinderarbeit und Nahrungsmittelspekulationen sind absolut tabu. Wir schauen aber auch, ob Projekte oder Unternehmen in soziale und technische Innovationen investieren, soziale Standards einhalten und ob ein politischer Hebel erkennbar ist.

Wo konkret investieren Sie?

Häufig in Projekte oder Unternehmen, die Schwierigkeiten haben, auf dem normalen Kapitalmarkt Geld zu bekommen. Weil sie neu, weil sie innovativ sind. Das können alternative Wohnprojekte sein oder erneuerbare Energien. Gerade dort haben wir in den vergangenen Jahren sehr viel investiert. Wir sind aber nicht ausschließlich Idealisten. Wir achten auf die Wirtschaftlichkeit und prüfen die Zahlen sehr genau.

Matthias Fiedler, 46, hat Germanistik studiert und nach seiner Promotion elf Jahre lang in Irland gelebt. Dort arbeitete er unter anderem als Direktor des irischen Dachverbands für Globales Lernen. Seit 2012 ist er Geschäftsführer der Bewegungsstiftung mit Sitz im niedersächsischen Verden an der Aller. Die Bewegungsstiftung, 2002 gegründet, verfügt derzeit über ein Kapital von 5,8 Millionen Euro und erhält zusätzlich Spenden – im vergangenen Jahr waren dies etwa 350.000 Euro

Wer entscheidet, ob eine Investition ethisch, nachhaltig und wirtschaftlich richtig zu sein scheint?

Zuerst sieht sich unsere Finanzverwalterin die Unterlagen an und bespricht sich mit mir als Geschäftsführer. Dann erstellen wir eine Vorlage, die geht in den Anlageausschuss, in dem Finanzexperten und Stifter sitzen. Der Ausschuss gibt eine Empfehlung ab, entschieden wird dann in unserem Stiftungsrat, möglichst im Konsens.

Kann ein Stifter mitentscheiden, wie sein Geld angelegt wird?

Nein, direkten Einfluss auf einzelne Investitionen haben die Stifterinnen und Stifter bei uns nicht. Das geht auf unsere Gründungsidee zurück. Wir glauben, dass privates Kapital, das Gutes tun soll, in kollektive Entscheidungsprozesse überführt werden muss. Sonst entsteht das Problem, dass man mit privatem Reichtum, quasi illegitim, gesellschaftlichen Einfluss nehmen kann. Das wäre dann wie bei der Bill & Melinda Gates Foundation, die die politische Agenda der Weltgesundheitsorganisation mit beeinflusst. Solch direkten Einfluss soll es bei uns nicht geben.

Was sind das für Menschen, die Ihnen Geld geben?

Das ist eine sehr heterogene Gruppe von heute über 150 Stifterinnen und Stiftern. Es gibt die 1968er-Generation, die gemerkt hat, dass es einen Zusammenhang zwischen der Bewegungsstiftung und der eigenen politischen Biografie gibt. Dann gibt es eine Gruppe von jungen Erbinnen und Erben zwischen 30 und 50 Jahren und darüber hinaus alles dazwischen. Allen gemeinsam ist, dass die Stiftung ihnen ein Umfeld bietet, in dem sie sich als Vermögende und Linke austauschen können.

Wie viel muss man aufbringen, um bei Ihnen Stifter zu werden?

Der Einstiegsbetrag liegt bei 5.000 Euro – man muss nicht superreich sein.

Superreich sind auch die wenigsten sozialen Initiativen. Ich nehme an, auf Ihrem Schreibtisch stapeln sich die Kreditanfragen.

Wir bekommen zwischen 30 und 40 pro Jahr, haben aber nur 20 Kredite zu vergeben. Und wir bekommen viele Anfragen für Direktbeteiligungen. Einige müssen wir ablehnen, weil sich bei der Prüfung herausstellt, dass unsere Kriterien nicht erfüllt werden. Dunkelgrüne Finanzprodukte sind etwas, was man noch suchen muss.

Dunkelgrüne Finanzprodukte?

Damit meine ich nachhaltige Investmentfonds oder Investitionen in Unternehmen, die unseren Kriterien entsprechen. Manchmal sieht ein Fonds oder ein Unternehmen auf den ersten Blick gut aus. Bei der Prüfung stellt sich aber heraus, dass sie in Geschäftsfeldern investieren, die wir ausschließen. Zu 100 Prozent saubere Produkte gibt es noch zu selten.

Woran liegt das?

Das ist eine simple Angelegenheit von Angebot und Nachfrage. Würden mehr Menschen ihr Geld nach sehr strengen Kriterien nachhaltig investieren wollen, dann legten auch mehr Leute entsprechende Produkte auf. Aber man muss an beiden Enden arbeiten: die Nachfrage steigern und die Finanzanbieter in die Pflicht nehmen, um mehr Angebote zu generieren.

Ethisches Investment ist jedenfalls immer noch eine Nische.

Nein, das nicht. Aber man kann auch nicht sagen, dass es einen großen Anteil am Finanzmarkt hat. Es ist sehr schwierig, das in Zahlen zu fassen, denn es kommt ja immer darauf an, wie man ethisch-nachhaltiges Investment definiert. Wenn man Fonds dazu zählt, die ein paar Negativkriterien definieren, liegt das Segment im zweistelligen Bereich. Wenn man aber wirklich nur die Produkte zählt, die sich im dunkelgrünen Bereich bewegen, dann sind wir im einstelligen Bereich.

Kann man da wirklich politische Veränderungen erwarten?

Das ist sicher ein dickes Brett, das wir bohren müssen. Davor kann man aber auch nicht zurückschrecken und sagen: Das machen wir nicht, das ist uns zu viel. Wir können natürlich nur Impulse setzen. Ich merke aber, dass das Interesse an dem Thema seit zwei, drei Jahren stark zunimmt, gerade auch im Stiftungsbereich. An dieser Entwicklung haben wir einen Anteil.

Haben nicht viele Vermögende gar kein Interesse an sozialer Veränderung, weil die ihren Status gefährden könnte?

Da kann ich nur für unsere Stifterinnen und Stifter sprechen und die Frage mit einem klaren Nein beantworten. Die Menschen, die sich bei uns engagieren, wissen, dass sozialer Wandel notwendig ist, und wollen mit ihrem Geld dazu einen Beitrag liefern. Gerade als Vermögende spüren sie eine besondere Verantwortung.

Sie glauben, man kann mit Geld die Welt verändern.

Ich glaube, dass ethisch-nachhaltiges Investment ein politischer Hebel sein kann. Unser Portfolio ist natürlich nicht eins zu eins für Privatanleger übertragbar, aber wir zeigen, wo man Geld anlegen kann, um damit sowohl Rendite als auch sozialen Wandel zu erreichen. Genau das brauchen wir doch: mündige Anleger, die tatsächlich ethische, nachhaltige Produkte einfordern.

Geben Sie den Stiftern nicht einfach nur ein gutes Gefühl?

Nein, ganz im Gegenteil. Unser Schlüsselkonzept ist Transparenz, zu 100 Prozent. Man kann auf unserer Internetseite jede einzelne unserer Investitionen nachvollziehen und wir stehen auch unter sehr genauer Beobachtung unserer Stifterinnen und Stifter.

Dann müsste Ihnen doch entgegenkommen, dass die Bundesregierung gerade mit einem neuen Gesetz Aktionäre vor dubiosen Finanzprodukten schützen will.

Oh, die erste Fassung dieses Kleinanlegerschutzgesetzes war eine Katastrophe! Glücklicherweise haben es Betroffene wie das Mietshäuser Syndikat mit einer sehr intelligenten Kampagne geschafft, wichtige Ausnahmen im Gesetz zu verankern. Aber der Entwurf jetzt birgt immer noch große Gefahren.

Wo liegt das Problem?

Viele kleine, innovative Projekte haben Schwierigkeiten, am herkömmlichen Kapitalmarkt Geld zu bekommen. Durch die verschärfte Regulierung des neuen Gesetzes könnten sie in Zukunft überhaupt nicht mehr an nötige Kredite kommen – auch nicht mehr am sogenannten Grauen Kapitalmarkt. Dabei gäbe es ohne den grauen Kapitalmarkt zum Beispiel viele Fotovoltaikanlagen, Windparks und die Energiewende in ihrem heutigen Ausmaß nicht.

Dass Finanzgeschäfte stärker reguliert werden sollten, ist heute doch weithin Konsens.

Das sehe ich anders. Aber einige Aspekte des Gesetzes sind auch gut, wie neue Transparenzregeln und Regeln für die Bewerbung eines Finanzproduktes. Ich glaube jedoch nicht, dass man die Anleger durch mehr Regulierung gänzlich vor schwarzen Schafen schützen kann. Das kann man nur, wenn man mündige Anleger hat.

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