Behiye rennt

Im Kino "Zwei Mädchen aus Istanbul" von Kutlug Ataman versucht, hippes Straßengefühl und anspruchsvolles Drama zu verbinden

Knallrote Haare hat Behiye, eine der beiden Heldinnen des Films Zwei Mädchen aus Istanbul, genau wie damals Lola. Behiye rennt ebenfalls, sie hat jedoch im Gegensatz zur berühmten Protagonistin des deutschen Films kein Ziel. Behiye flüchtet von zu Hause, wo eine immerfort jammernde Mutter, ein terrorisierender Bruder, ein passiver Vater sowie die endlose Dienstmädchentätigkeit das junge Mädchen in Rage bringen. Rebellisch und intelligent, Bücher klauend und fluchend wütet sie gegen die Launen des achtzehnten Lebensjahres. Die Begegnung mit der gleichaltrigen Handan, explosionsartig, gibt ihrem Leben den gesuchten Sinn. Es ist vor allem Eigenwille, das die prompt erblühende Freundschaft zwischen den beiden zu Tage fördert. Denn die puppenhaft zarte Handan stammt im Gegensatz zu Behiye aus einer behüteten Welt. Die neue Freundin sorgt für Behiye, bekocht und beschützt sie, gibt ihr kluge Ratschläge - allesamt Dinge, die sie vergeblich von der eigenen Mutter erwartet hatte. Die beiden Mädchen beschließen nach Australien zu fahren, um Handans vor langer Zeit verschollenen Vater ausfindig zu machen - ein verzweifelter Versuch von zwei komplexen Charakteren, dem jeweils verhassten Leben zu entfliehen.

Regisseur und Drehbuchautor Kutlug Ataman ist dem hiesigen Publikum mit seinem vor einigen Jahren in Berlin entstandenen Film Lola und Bilidikid bekannt geworden. Atamans mit Digitalkamera gedrehter neuer Film ist in technischer Hinsicht erneut ein Beleg für sein Talent, das sich ebenso in diversen internationalen Preisen für seine Videoinstallationen manifestiert. Seinem flottem Schnitttempo zum Trotz zieht sich Zwei Mädchen aus Istanbul, der in der Türkei von einigen Kritikern als erster wahrhaftiger Jugendfilm lanciert wurde, durch sich wiederholende Schimpftiraden und Wortwechsel unnötig in die Länge. Dabei hätte der Film in der Türkei durchaus das Zeug gehabt, aufgrund seines Wagemuts und der Vitalität, die er ausstrahlt, das zu erreichen, was seinerzeit den Erfolg von Lola rennt hierzulande ausmachte. Die Einzigartigkeit, die in der Wechselbeziehung zwischen der Neuen Mitte Berlins und der Dynamik junger Schauspieler in dem deutschen Film bestand, ähnelt sehr der zwischen den Straßen des hippen Istanbul und der Frische dieses neuen türkischen Films. Bemerkenswert ist in Zwei Mädchen aus Istanbul beispielsweise die Filmmusik, die einerseits mit schnellem Rap und andererseits mit wehmütigen Schlagern den widersprüchlichen Milieus und Gefühlszuständen feinsinnig gerecht wird. Dass das Durchschnittsalter im Filmteam nur 22 betrug, oder dass zum ersten Mal in der Türkei landesweit Castings mit über 1.000 tausend Mädchen veranstaltet wurden, um die beiden Hauptdarstellerinnen zu finden, spricht ebenfalls für das jugendliche Potenzial des Films.

Trotz alledem konnte Zwei Mädchen aus Istanbul nur einen mäßigen Erfolg im Herkunftsland verbuchen. Genau wie dem Roman der Schriftstellerin Perihan Magden, auf dem der Film basiert, haftet auch dem Film das Manko an, zu viele Fragen offen zu lassen.


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