Der beste Rapper ist ein Weißer und der beste Golfspieler ein Schwarzer" stellen die Amerikaner zurzeit süffisant fest. Diese Bemerkung soll auf liebevolle Weise umschreiben, was Eminem auf den Kopf gestellt hat. Rau, ehrlich bis zur Brutalität trampelte er durch alle sensiblen Fragen des modernen amerikanischen Diskurses - Rasse, Geschlechter, Zensur, Obszönität, das Columbine-Massaker, Bush im Weißen Haus, Pop-Darlings wie Britney Spears. In der Hiphop-, Rock- und Popgeschichte gibt es kaum einen anderen Star, der Tumulte nicht nur mit seinen Provokationen ausgelöst hat, sondern auch durch die Zurschaustellung der eigenen Biografie, der inneren Bilderwelt. Eminem ist dreist, taktlos, fern von der Political Correctness, arrogant und aggressiv. Aber auch talentiert, genial, schüchtern, offen und sensibel. Smart, aber nicht collegesmart, Held und Antiheld zugleich. Widersprüche sind sein Erfolg. Und umgekehrt.
Der Autor des Buches Eminem - die Biografie Anthony Bozza, Redakteur der renommierten US-Zeitschrift Rolling Stone, ist der einzige Journalist, den Marshall Bruce Mathers III (Eminem) nahe an sich und seine Familie heranließ. Bozza interviewte ihn zum ersten Mal 1999 in dessen Wohnwagen und begleitete ihn seitdem bei seinen Tourneen, führte Backstage-Gespräche, befragte seine Angehörigen. Er würdigt seine enorme Fähigkeit, einen Reim nach dem anderen aus dem Handgelenk zu schütteln, sein kniffliges Vokabular und ausgeprägtes Rhythmusgefühl, seine raffinierten Metaphern und bedauert, dass die Kontroversen um seine Person die Aufmerksamkeit von der Musik abziehen. Bozza tritt der weit verbreiteten Annahme entgegen, Eminem sei ein industriell gefertigtes Massenprodukt. Er sieht eine klare Verbindung zwischen seiner Herkunft und seiner Kunst. Gewissermaßen hineingeboren in die Gefilde, die einen Rapper erschaffen und ihm die Glaubwürdigkeit verleihen, hätte sich Eminem, so Bozza, schon längst lächerlich gemacht, wenn er in seinen Texten von angeblich zerrütteter Kindheit und Jugend oder von Waffen oder von Diskriminierung erzählt hätte. Während unzählige weiße Rapper, eine nicht vorhandene Gangsta-Vergangenheit vortäuschend, zu Eintagsfliegen wurden, habe Eminem bewiesen, dass er ein astreiner Hiphop-Künstler ist, aber auch kein Abziehbild von einem Clown, der durch MTV das Rappen gelernt hat.
Eminems Vater machte sich davon, als sein Sohn geboren wurde, die Mutter zog mit ihm von Stadt zu Stadt. Er wuchs in der durch den Niedergang der Automobilindustrie verwüsteten Stadt Detroit in einem von Gewalt und Crack verseuchten armen Viertel auf. Auf dem Weg zur Schule wurde er von Schwarzen wegen seiner Hautfarbe zusammengeschlagen, während er von Weißen diskriminiert wurde, weil er sich wie ein Schwarzer aufführte. Er fing an, als Jugendlicher battleraps zu üben, bei denen sich Rapper symbolisch bekämpfen mussten, und zwar mit improvisierten Reimen, und dann vom Publikum beurteilt wurden. Diese Tradition des lyrischen Schlagabtauschs zog sich durch die Hiphop-Geschichte, die vor einigen Jahren durch die Ermordung der Hauptprotagonisten Tupac Shakur und The Notorius B.I.G. für kurze Zeit einen Einschnitt erlebte. Eminem nimmt die Herausforderungen der anderen Rapper nach wie vor an.
1996-97 nahm Eminem mehrmals an Rap Olympics in Los Angeles teil. Seine ersten manischen, aggressiven Reime waren voll von Drogenobsessionen, seine Wut wurde größer, nachdem sein erstes Album mit 500 Exemplaren vollkommen ignoriert wurde. Währenddessen erschuf er die Kunstfigur des gefühllosen, jenseits von Leben und Tod stehenden "Slim Shady", was ebenfalls einem Brauch der Rapper in Detroit zugrunde lag, wonach sie die hardcore-Texte singen ließen. Eminem reimte auf dieses alter ego Slim Shady alles Mögliche, innerhalb von zwei Wochen war ein ganzes Album fertig. Es enthielt Comedy-Elemente sowohl in subtiler als auch slapstickmäßiger Form. Die Demokassette erreichte den berühmten Produzenten Dr. Dre. Das Gerücht besagt, dass sein zukünftiger Mentor Eminem für einen Schwarzen hielt, als seine Musik aus der Anlage ertönte. Es ist zwar müßig zu spekulieren, was aus Eminem geworden wäre, hätten sich der Künstler und der Produzent nicht getroffen.
Derzeit gilt es als für alle Pop- und Hiphop-Musiker als Riesenglück, ihren Sound von bestimmten Produzentengenies wie Dr. Dre., Timbaland, P. Diddy oder von Pharrell Williams kreieren lassen zu können. Danach kamen Eminems eigene Alben The Marshall Mathers LP, The Eminem Show, eine Reihe von Gemeinschafts-CDs mit anderen Künstlern sowie Mitarbeit an Soundtracks. The Eminem Show wurde 2002 mit acht Millionen Exemplaren das meistverkaufte Album. Eine weitere Krönung seiner Karriere wurde der Film 8 Mile (2002), in dem er selber seine eigene Biografie darstellte. Das besondere Merkmal dieses Films ist, dass zum ersten Mal ein Musiker auch Darsteller ist und während des Drehprozesses sowohl im Film als auch in Wirklichkeit Texte schreibt und sie am Ende vervollkommnet und vorführt.
Um sichtbar zu machen, welche Wirkungen Eminem auf den Hiphop zum Ende des letzten Jahrhunderts hatte, und umgekehrt, wie, wann und warum ihn diese Musikart formte, geht Bozza in einem besonderen Kapitel auf die sozialen Bedingungen ein, die den Hiphop gedeihen ließen. Diesen Nährstoff habe in den achtziger Jahren die Verschärfung der ökonomischen Bedingungen in den Großstädten gebildet, ihr Verfall, dazu die Verbreitung von Speed und Heroin, die Orwellsche Überwachungsmentalität der Regierungen sowie Amerikas grundsätzlich gereiztes, depressives Postvietnam-Klima. Bozza sieht Eminem in einer Periode auf den Plan treten, in der plötzlich glatte, nichtssagende Boygroups die Musikszene bevölkerten, während der Hiphop seinen Hang zum Luxus entdeckte: Autos, Juwelen, Parties am Pool, Limousinen und schicke Anzügen - der Underdog-Sound büßte seine Schärfe ein. Diese Wandlung des Raps verlief parallel zum Technologieboom der Wirtschaft, in der glückliche Aktienbesitzer zu Lottogewinnern wurden.
In dem Zusammenhang ist es absurd, Gewaltexzesse in Eminems Texten zu monieren, weil sie im Rap ohnehin schon längst passé waren. Auf der anderen Seite wäre sein Erfolg ohne "Slim Shady" undenkbar. Sowohl in seinen Texten als auch im Privatleben kann er ansatzlos von Shady zu Eminem schalten, von Eminem zu Marshall und wieder zurück. Er tut dies anscheinend immer dann, wenn der Eindruck entstehen könnte, er habe sich zu lange in einer dieser Figuren aufgehalten. "Slim Shady" ist der Narr des Milleniums, ein Popkultur-Punk. Gleichzeitig ist die Kunstfigur für Eminem ein Hilfsmittel, seinen Humor auszuleben. Ohne die ironischen Wendungen hätte seine Musik keine Botschaft. Wer dieses Hinübergleiten vom Ernst in Sarkasmus sowie die ständige Selbstironie in seinen Texten nicht versteht, regt sich auf. Eminem ist zwar mittlerweile selbst Teil des Mainstreams, aber sein Humor ist eine seiner wichtigsten Waffen, mit deren Hilfe er immer wieder die arrivierte Popkultur untergräbt.
Eminem schaffte es, Konservative wie die Ehefrau von US-Vizepräsident Cheney, Schwulen- und Lesbenverbände und andere Tugendwächter zu Protestversammlungen gegen ihn zu vereinigen. Der Höhepunkt dieser tumultartigen Proteste fand vor dem Gebäude statt, in dem Eminem bei der Grammy-Verleihung mit Elton John zusammensang, und anschließend sagte, er wusste nicht, dass Elton John schwul wäre, als man ihn wegen seiner angeblichen schwulenfeindlichen Texte zur Rede stellte.
Eminem hat sein Leben zu einer Kunstform erhoben, indem er das Verlangen der Amerikaner nach Reality-TV bediente. Er personifiziert die ethnischen und klassenspezifischen Unterschiede Amerikas - schwarz, weiß, Innenstadt, Vorort - und die zunehmende kulturelle Annäherung amerikanischer Identitäten.
Anthony Bozza: Eminem - die Biografie. Whatever I Say, I am. Aus dem Amerikanischen von Julian Weber. Heyne, München 2003, 382 S., 20 EUR
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