Was als Kinofilm Kurtlar vadisi: Irak (Tal der Wölfe: Irak) in den vergangenen Wochen Furore machte, begann bereits 2003 in der Türkei als Medienphänomen. Die Serie Tal der Wölfe, in deren Zentrum stets der gleiche smarte Geheimagent steht, kann inzwischen nicht nur so zweifelhafte Rekorde für sich verbuchen wie eine bisherige Gesamtsumme von fast 3.000 Toten, sondern darüber hinaus regelmäßig Einschaltquoten, die über der 20 Prozent-Marke liegen. Und das bei einer starken Konkurrenz auf dem türkischen Serienmarkt: Derzeit buhlen nicht weniger als 80, zum Teil einander sehr ähnliche Serien wöchentlich um das Interesse der Zuschauer. Wenn die Quote auch nur um drei bis fünf Punkte absinkt, wird eine Serie erbarmungslos aus dem
ie erbarmungslos aus dem Programm genommen. Darunter kann die Qualität von Filmen wie Darstellern nur leiden.Das Serienfieber begann Mitte der neunziger Jahre mit Familien- und Kiez-Serien, zur Millenniumswende wurden kurzzeitig Krimis populär. Zeitgleich entstanden die ersten türkischen Sitcoms, mit denen man aufgrund ihrer geringen Produktionskosten in der damals herrschenden Rezession bestens über die Runden kam. Danach kamen türkische Dallas-Versionen und "Gutsbesitzer"-Serien in Mode, die den Aufstieg und Verfall von Dynastien thematisierten. Trotz des wählerischen Verhaltens, das Experten den Konsumenten zuschreiben, entscheiden sich um 20.30 Uhr immer wieder große Zuschauermassen für eine Serie. So kommt es nicht selten vor, dass je nach Beliebtheitsgrad die eine oder andere Serie für eine Stunde das ganze Land lahm legt.Eingedenk der Tatsache, dass 55 Prozent der türkischsprachigen Bevölkerung in Deutschland via Satellitenschüssel überwiegend die in der Türkei produzierten und gesendeten Programme angucken, ist davon auszugehen, dass diese Fernsehserien im Alltag der hiesigen Zuschauer ebenfalls eine große Rolle spielen. Doch gibt es dazu bislang wenig Untersuchungen.Das Interesse der türkischsprachigen Bevölkerung in Deutschland an Kino-Produktionen aus der Türkei ist dagegen leichter zu erfassen. Der Kassenerfolg des umstrittenen Films Tal der Wölfe: Irak verleitet zur Annahme, er werde wegen seiner politischen Aussage noch alle Zuschauerrekorde brechen, zumal der Nationalismus im Herkunftsland derzeit eine Hochblüte erlebt. Das muss nicht unbedingt so sein, liefern sich gegenwärtig doch Tal der Wölfe und Mein Vater und mein Sohn (auch in den deutschen Kinos zu sehen) in der Türkei bezüglich der Besucherzahlen ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Im Gegensatz zu Tal der Wölfe ist Mein Vater und mein Sohn ein Autorenfilm; er wurde vergangene Woche in Istanbul in sechs Sparten ausgezeichnet und erzählt emotional, aber ohne jede Sensationslust eine Geschichte, die die schmerzhaften Spätfolgen des Militärputsches von 1980 thematisiert und so vor allem, aber eben nicht nur, die Linke in der Türkei berührt.Die Box-Office-Ergebnisse aus der Türkei lassen sich meistens auf Deutschland übertragen, auch wenn es im Zuschauerverhalten einige Unterschiede gibt, die sich aber auf die Zahlen meist nicht auswirken. Dass beispielsweise Nacktszenen aus türkischen Filmen geschnitten werden, bevor man sie in Deutschland ins Kino bringt, ist der speziellen soziokulturellen Beschaffenheit des hiesigen Publikums geschuldet. Eine andere Abweichung wird mit Nostalgie erklärt: Die türkischsprachigen Zuschauer in Deutschland hegen eine besondere Vorliebe für Filme aus den sechziger und siebziger Jahren, für die das Kinopublikum in der Türkei nur Spott übrig hat.Seit einigen Jahren erfreuen sich aktuelle türkische Filme in Deutschland immer größerer Beliebtheit, was in erster Linie mit der tatsächlichen Renaissance des türkischen Kinos zu tun hat. Dass Qualität sich durchsetzt, zeigt sich in der steigenden Zahl der Filme sowie der Kopien, die den Weg in die deutschen Kinos finden. In diesem Jahr werden es bereits zwei türkische Filme pro Monat sein.Der große Durchbruch für den türkischen Film kam 2004, ein Jahr, in dem die Zuschauerzahl der 16 einheimischen Filme 38,8 Prozent ausmachte. Den Löwenanteil davon mit 55 Prozent verbuchten zwei Komödien für sich, deren jeweilige Protagonisten, die Multitalente Cem Yilmaz und Yilmaz Erdogan, auch bei den türkischen Einwanderern in Deutschland enorme Popularität genießen. Die beiden tragikomischen Filme von und mit Yilmaz Erdogan, Vizontele - mit 230.000 Zuschauern - aus dem Jahr 2001 und Vizontele Tuuba aus dem Jahr 2004 waren in Deutschland ebenfalls beachtliche Publikumserfolge. In die beiden Komödien Die chaotische Klasse und Die chaotische Armee, die sich auf einen Klassiker des türkischen Kinos beziehen, gingen kürzlich in Deutschland 240.000 beziehungsweise 260.000 Besucher. Demnächst startet hier eine weitere türkische Komödie mit einem populären Ensemble, die die Geschichte der berühmten Schattenspielfiguren Hacivat und Karagöz auf die Leinwand bringt.Doch nicht alle türkische Klassenschlager sind Komödien. Ein in sich keineswegs homogenes Publikum verschafft Filmen unterschiedlichster Genres zum Erfolg. Der Bandit (Eskiya), der 1998 dem Aufschwung türkischer Filme in den deutschen Kinos einen gewaltigen Schub gab, handelt beispielsweise von einem Mann, der nach 35 Jahren Gefangenschaft nach Istanbul kommt, auf der Suche nach dem Verräter, an dem er Rache üben will. Das Melodram Die verwundete Seele (Gönül Yarasi) erzählt die Geschichte der Freundschaft zwischen einer in Billigclubs arbeitenden Sängerin und einem pensionierten Lehrer. Ein anderes Beispiel für die Vielfältigkeit der Filmhits ist Erzähl mir, Istanbul (Anlat Istanbul), einer der erfolgreichsten Filme von 2005, in dem es um fünf Märchen als "short cuts" von fünf Regisseuren geht.Für steigendes Interesse am türkischen Kino sorgten nicht zuletzt auch die deutschen Filme, in denen Einwanderer Thema waren: Der Erfolg von Gegen die Wand, Süperseks, Kebab Connection, Kurz und schmerzlos und Crossing die Bridge sowie die Anerkennung, die solchen Filmemachern wie Nuri Bilge Ceylanli und Fatih Akin im Ausland zuteil wurde, machten vermehrt auch das deutsche Publikum auf Filme aus der Türkei aufmerksam. Holten anfänglich Verleihe wie Constantin und Warner Brothers die Filme nach Deutschland, wird der großen Nachfrage der dreieinhalb Millionen Einwanderer aus der Türkei in Europa jetzt die Firma Maxximum gerecht, die von Anil Sahin, einem ehemaligen Projektentwickler der Hamburger Cinemaxx-Spielstätten 2001 gegründet wurde. Mittlerweile zeigen 300 Kinos in Deutschland seine Filme. Eine positive Bilanz zieht auch der Verantwortliche der jedes Jahr in Berlin stattfindenden türkischen Filmwoche in Berlin, die sich auf anspruchsvolle Filme spezialisiert hat: Beim ersten Festival 2003 waren es um die 1.000 Besucher, dieses Jahr erwartet man 6.000.
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