Wenn Gene lügen

Grüne Woche Wie die Lobbyisten der Agro-Gentechnik mit dem Hunger in der Welt für ihre Produkte werben

Hier in Europa scheinen sie bisher keinen großen Erfolg zu haben, die Hersteller von genetisch veränderten Agrarprodukten. Auf der Internationalen Grünen Woche, die noch bis zum 25. Januar in Berlin stattfindet, sucht man sie jedenfalls vergeblich. Was nicht heißen soll, dass die Agrarkonzerne nicht auch hierzulande mit großem Einsatz für ihre Interessen kämpfen. Doch ihre Strategie ist subtiler, um nicht zu sagen: perfider. Am Rande der Messe kann man ihre Lobbyisten beobachten, wie sie ihre bekannte Botschaft unter die Leute bringen: Um den Hunger in der Welt zu bekämpfen bräuchte es Hightech und vor allem der "Grünen Gentechnik". - Unabhängige Untersuchungen, wie beispielsweise der Weltagrarbericht, sehen das freilich nicht so.

Gelegentlich liest man, die Agro-Gentechnik sei ein leuchtendes Beispiel, wo es Nichtregierungsorganisationen gelungen sei, sich erfolgreich gegen die Großindustrie durchzusetzen. In der Tat: In Deutschland ist der Anbau von gentechnisch verändertem Mais laut Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit im vergangenen Jahr gegenüber 2007 nur geringfügig von 2685 Hektar auf 3171 Hektar gestiegen. Noch immer sind es nur 0,15 Prozent des gesamten Mais-Anbaus in der Bundesrepublik und nur eine einzige Sorte, "Mon810" des US-Herstellers Monsanto, ist in der EU für den kommerziellen Anbau zugelassen. So genannte "Freisetzung", also die örtlich und zeitlich begrenzte Ausbringung gentechnisch veränderter Organismen zu Forschungszwecken, hat sogar abgenommen: von 68 auf 36 Hektar. Diese Entwicklung ist zweifelsohne auch ein Erfolg der Umweltverbände, die vor den Risiken der Agro-Gentechnik öffentlich gewarnt haben.

Zum Optimismus gibt es trotzdem keinen Anlass. Hinter den Kulissen trommeln die Lobbyisten so laut wie je - beispielsweise in den Sälen des Internationalen Congress Centrums gleich hinter der Messe. Dorthin luden die Agrarlobbyisten das Fachpublikum zum Beispiel zu einer Podiumsdiskussion über das Thema "Welternährung 2020". Vertreter der Industrie saßen da beisammen und sprachen über "Innovative Lösungen bei begrenzten Ressourcen" - prominent besetzt unter anderem mit Stefan Marcinowski, BASF-Vorstandsmitglied und Vorsitzender der Deutschen Industrievereinigung Biotechnologie. Seine Botschaft ist eingängig: Die Weltbevölkerung explodiert, der Lebensstandard steigt, der Energiebedarf wächst - also muss die Agrarproduktion gesteigert werden, ja, in den kommenden zwanzig Jahren sogar verdoppelt. Das Ackerland könne nicht weiter beliebig ausgedehnt werden, auch Wasser sei limitiert. Daher müsse effizienter gewirtschaftet werden: mittels Mechanisierung, Düngemitteln, Züchtung und Pflanzenschutz - vor allem aber mit Hilfe der Grünen Biotechnologie. "Wir brauchen eine zweite grüne Revolution", fordert Marcinowski. "Zweite Grüne Revolution", das ist der Slogan eines ganzen Industriekonglomerats, zu dem auch die Firma Bayer gehört.

Europa hinke der Entwicklung hinterher, meint Marcinowski, und das schmerze ihn ganz besonders, weil die Grundlagen der Technologie durch hiesige Forschung geschaffen worden sei. In den USA will BASF zusammen mit Monsanto jetzt die erste genetisch zur Trockentoleranz modifizierte Maispflanze auf den Markt bringen, kündigt Marcinowski an. Gentechnik-Kritiker suchte man bei der Veranstaltung vergebens, dafür waren dort auch Vertreter des Deutschen Bauernverbands und der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie.

Die Kommunikations-Strategie ist klar: Jeder, der gegen die Grüne Gentechnik kämpft - aus "ideologischen Gründen" - versündige sich an den Hungernden der Welt. Da die Politik auf dieses Argument bislang kaum reagiert hat, greifen die Unternehmen auch zu härteren Bandagen: BASF hat im vergangenen Jahr zunächst einen offenen Brief über Zeitungsannoncen verbreitet, um der EU-Kommission Druck zu machen, die Gen-Kartoffel Amflora zu genehmigen. Und anschließend drohte Marcinowski mit der Verlagerung der Produktionsstätten ins Ausland. Zuletzt klagte die BASF auf dem Rechtsweg gegen die Kommission wegen angeblicher Verschleppung des Verfahrens.

Umweltaktivisten kritisieren diese Lobbying-Methoden heftig: "Das Thema Welternährung ist nichts weiter als ein Deckmantel für Industrieinteressen", beklagte der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft und Grünen-Europaabgeordnete Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf im Vorfeld der Grünen Woche.

Der von der Weltbank angestoßene Weltagrarbericht, erarbeitet von Wissenschaftlern und Regierungsvertretern, gibt Graefe recht: Der Bericht empfiehlt, nicht die Produktionssteigerung in den Mittelpunkt der Hungerbekämpfung zu stellen, sondern die lokale Ernährungssicherheit, etwa durch die Stärkung kleinbäuerlicher Strukturen. Agro-Gentechnik beurteilt der Bericht skeptisch: Ihr Nutzen sei viel zu optimistisch eingeschätzt, die tatsächlich nachgewiesenen Ertragszuwächse eher bescheiden, manchmal 10 bis 33 Prozent mit starken jährlichen Schwankungen, in anderen Gebieten kam es sogar zu Ertragsrückgängen.

Das Bundesamt für Naturschutz hat kürzlich in einem Positionspapier auf die Risiken der Gentechnik für die biologische Vielfalt hingewiesen. Ein nachhaltiger Nutzen sei bisher nicht nachgewiesen. Alternative naturverträgliche Lösungsansätze stünden vielfach bereits zur Verfügung.

Im "Kritischen Agrarbericht", der jährlich zur Grünen Woche herausgegeben wird, räumen die Publizistin Ute Sprenger und Heike Moldenhauer, Leiterin des Referats Agro-Gentechnik beim BUND, mit den "Heilsversprechen" der Agro-Gentechnik auf: Nicht an den so oft versprochenen trockentoleranten Nutzpflanzen mit höheren Erträgen werde vorrangig geforscht. Vielmehr würden Pflanzen entwickelt, die das Kerngeschäft der Unternehmen absicherten: den Verkauf von Spritzmitteln. Eine von der grünen Bundestagsabgeordneten Ulrike Höfken in Auftrag gegebene Studie zeigt zudem, wie die Agrarindustrie über Tarnkappen-Organisationen, Wissenschaftler und Behörden versucht, ihre Interessen durchzusetzen.

Die Umweltverbände haben erkannt, dass sie gegen die Lobbyarbeit der Industrie weiterhin anarbeiten müssen. Im Rahmen der Grünen Woche haben sie einige Aktionen gegen die Agro-Gentechnik angestoßen: Beispielsweise sammelt der BUND Unterschriften, um die Lebensmittelkette Edeka dazu zu bringen, ihre Produkte mit der Kennzeichnung "Ohne Gentechnik" zu versehen. Greenpeace hat eine Initiative gestartet, Molkereien zu motivieren, auf Milch von Tieren, die mit Gen-Soja gefüttert wurden, zu verzichten.

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