GÜNTER GAUS: Ist die Welt noch zu retten?
MICHAEL SUCCOW: Ich denke, die Spielräume, die wir haben, werden immer enger, und ich denke auch, daß unsere Hochzivilisation immer weniger in der Lage ist, neue oder zukunftsfähige Modelle zu entwickeln. Es wird wahrscheinlich noch mehr Katastrophen geben müssen, ich hoffe nur, daß diese Katastrophen, die wir immer als Naturkatastrophen bezeichnen - sie sind ja eigentlich menschengemacht - nicht zu schwerwiegend sind. Aber daß sich die neue Gesellschaft allein korrigieren kann, traue ich ihr, wie ich sie jetzt erlebe, nicht mehr zu.
War das jetzt eine optimistische oder eine pessimistische Antwort?
Ich denke, in diesem Pessimismus liegt Optimismus. Ich meine ja, es ist korrigierbar, aber es muß erst Schlimmes geschehen.
Das heißt, Sie vertrauen auf die Katastrophe?
Sonst lernen wir nicht. Wir sind nicht bereit, anzunehmen. Es muß erst was passieren. Das ist die Erfahrung der letzten sechs, acht Jahre.
Leben Sie also nach dem Lutherwort: »Wenn morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen«?
Ja, dieser Spruch stand bei meinem Vater auf dem Schreibtisch und hat mich als Kind stark geprägt und mein Leben begleitet.
Was hat Sie an diesem Spruch beschäftigt?
Die Überzeugung, daß man ständig versuchen soll, etwas Gutes, Sinnvolles zu tun, das Beste aus dem Augenblick zu machen. Nimm dein Schicksal in die Hand, gestalte es selber und sei aktiv.
Dieses man muß etwas tun, selber aktiv sein: Steckt darin auch der Glaube, daß es mal einen neuen Menschen geben könnte?
Die Menschheitsgeschichte zeigt, daß sich immer wieder Neues entwickelte. Kulturen gehen offenbar gesetzmäßig unter, sie haben ihre Zeit. Sie fangen dann an, über ihre Verhältnisse zu leben. Ich sehe jetzt unsere Zeit in einer tiefen Krise, die sie wahrscheinlich nicht mehr selbst lösen kann, und deshalb dieser Versuch, in anderen Teilen der Erde noch Kulturen zu erhalten, die dann wieder Neues entwickeln können.
Kein anderer Deutscher hat im Umweltschutz, in der Ökologie, größere Erfahrungen in beiden politischen Systemen gesammelt als Sie. Worin lag die wichtigste Ursachen für mangelnden Umweltschutz im real existierenden Sozialismus der DDR und worin liegt die wichtigste Ursache für solche Mängel im Kapitalismus?
In der DDR war es ganz sicher der Umstand, daß die Gesellschaft alle Regelmechanismen ausbaute: Geheimhaltung der Daten, das Sich nicht einbringen dürfen. Wir hatten nur begrenzte Spielräume und ein doktrinäres Regime hatte eben auf Maximierung gesetzt, Naturgesetze nicht akzeptiert. Der Mensch im Mittelpunkt, er kann alles, er macht alles, er schafft alles, eigentlich eine Überheblichkeit; das, was Engels uns lehrte, war vergessen. In der kapitalistischen Gesellschaft sehe ich die großen Probleme in der totalen Orientierung auf Privateigentum. Ich halte wichtige Güter, Wald, Wasser, für so fundamental für uns alle, so bedeutsam, daß ich meine, die Marktwirtschaft ist nicht in der Lage, mit diesen Gütern vernünftig, haushälterisch umzugehen, wenn sie in Privathand liegen. Die größten Sorgen habe ich jetzt mit der Globalisierung, weil sich das System in ganz kurzer Zeit auf die ganze Welt überträgt und damit Regionales, Haushälterisches zwangsläufig zerstören muß.
Haben Sie über das Wissenschaftliche hinaus auch ein sentimentales Verhältnis zur Natur?
Ganz sicher, ja. Natur ist für mich etwas ganz Großes. Wenn ich über die Menschheit enttäuscht bin, wenn ich über Politiker enttäuscht bin, dann hilft Begegnung mit großer Natur. Das gibt mir wieder Kraft. Es muß eine weite, überschaubare Landschaft sein.
Sie waren in der Wendezeit stellvertretender Umweltminister unter Modrow und de Maizière. Sie haben erheblich daran mitgewirkt, daß noch ganz kurz vor der Vereinigung große Flächen Ostdeutschlands zu Nationalparks und anderen Naturschutzgebieten erklärt wurden. Was ist aus ihren Hoffnungen und Erwartungen aus der Wendezeit geworden?
Aus dem Höchstentwickelten, dachte ich, das war für mich diese kapitalistische Marktwirtschaft, kann sich nur eine Weiterentwicklung, etwas Höheres, Zukunftsfähiges, ergeben. Diese Hoffnung muß ich leider revidieren, sie entsteht nicht mehr. Und das ist eine bittere Erkenntnis. Im Bereich des Naturschutzes ist auf dem Gebiet der gewesenen DDR das Programm fortgeführt worden. Alle Länder, ob CDU- oder SPD-regiert, haben das Nationalparkprogramm fortgeführt, und in den Altbundesländern bin ich jetzt aufgefordert, Entwicklungshilfe zu geben, denn es ist nicht nachgezogen worden. Dort ist der Schutz der Lebensgrundlagen in hohem Maße verkümmert, wenn ich an Baden-Württemberg denke, kein Nationalpark, keine Modellregion für ökologisches Wirtschaften, keine Biosphärenregion ...
Sie haben gesagt, es sei ein einmaliger Skandal in der Welt, daß aus einem Nationalpark auf dem Gebiet der ehemaligen DDR an Privat Grundstücke verkauft wurden.
Das ist sicher eine der tiefsten Erschütterungen, die ich in der neuen Zeit hatte, daß man Gemeinnütziges, gesellschaftlich Wichtiges, eben Räume für alle, die wir dringend brauchen, privatisierte. Wo andere Länder kaufen, um sie als Nationalpark für die Gemeinschaft zu sichern. Das Verscherbeln von umsonst Bekommenem hat mich sehr erschüttert. Es gibt sicher auch Privatbesitzer, die Gutes tun mit den Räumen, aber das muß dann festgeschrieben werden.
Wie sollen arme Gesellschaften davon abgehalten werden, es genauso zu machen wie wir? Es schließt sich er Kreis.
Das sehe ich etwas anders. Wir sind die Verführer, wir reden diesen Völkern ein: ihr müßt uns jetzt ganz billig die Ressourcen und das Gold, die Diamanten geben, damit ihr reich werdet. Ich sehe da Umkehr. Regierende, Präsidenten sagen mir: Wir halten Eure westliche Gesellschaft nicht mehr für zukunftsfähig. Ihr verbraucht, ihr lebt auf unsere Kosten Ihr habt keine Normen.
Das ist ganz gewiß wahr. Aber in der politischen Konsequenz heißt das, Sie reden einem Aufstand der unterentwickelten Welt gegen die entwickelte das Wort.
Ich will versuchen, daß diese unterentwickelte Welt ihren Kapitalstock Natur, der für die Zukunft immer wichtiger wird - er wird ja knapper, es reicht ja nicht mehr lange - daß sie den haushälterisch bewahren und nicht leichtfertig verschleudern. Da hilft ein Moment, das sind die religiösen Normen, die Teile dieser Völker in sich tragen. In Jakutien sagt man, 20 Prozent nicht anrühren. Wir haben nicht das Recht, jetzt schon alles zu nutzen. Sie bauen sich keine Paläste wie hier, sondern eine große Universität, um aufzuklären, Ethik gehört dazu und tiefe religiöse Motivation. Und da zu stützen, das ist Zukunftssicherung, und das ist meine Hoffnung.
Sie sagen denen: nehmt Euch kein Beispiel an uns.
Sie sagen es mir. Sie sagen: Wenn wir in Eure Länder reisen, wir sehen kaum glückliche Menschen. Wir sehen einen überdrehten Reichtum, eine Verschwendung, die nicht mehr geht, eigentlich auf Kosten anderer. Westliche Länder sind nicht zukunftsfähig.
Wir müssen unseren Reichtum abgeben, und zwar nicht barmherzig, sondern zur Selbstrettung, wir müssen ärmer werden?
Wir müssen von der Natur lernen. Die ist über 600 Millionen Jahre nicht pleite gegangen. Wenn wir begreifen, wie Natur in Kreisläufen arbeitet, wie sie Raum und Zeit braucht, um Entwicklung zu betreiben, dann ist das ein Grund, die Räume, die wir noch nicht ausgeplündert haben, zu schützen.
Müssen wir vom Individualismus abgehen, um das Ganze zu retten?
Ja. Für mich sind ökologische Grunderfordernisse über dem Ganzen stehend. Der Verbrauch, dieses nicht mehr Funktionieren großer Teile der Ökosysteme, dieses nicht mehr Entsorgen können unserer Ausdünstungen der Hochzivilisation, das sind Dinge, die jetzt entscheidend werden. Wie lange trägt die Erde noch diese zerstörerische Menschheit? Wenn wir die eng gesetzten Rahmenbedingungen der Natur nicht einhalten - wir sind im Augenblick beim Verspielen - dann geht es schief.
Auszüge aus einem Interview, das Günter Gaus für die Reihe »Zur Person« geführt hat.
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Claus Mayr
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