Breitziehend oder abkippend

Sport Der moderne Fußball kennt Begriffe, die gab es vor wenigen Jahren noch nicht. Gewinnt Fachjargon Spiele?
Ausgabe 08/2021
„Manni Bananenflanke, ich Kopf, Tor“
„Manni Bananenflanke, ich Kopf, Tor“

Foto: Josep Lago/AFP/Getty Images

In den 1970er Jahren sang der Chansonnier Reinhard Mey ein Lied auf die deutsche Bürokratie. Damals hörte man es so oft im Radio, das man es auswendig konnte: „Einen Antrag auf Erteilung eines Antragsformulars zur Bestätigung der Nichtigkeit des Durchschriftexemplars, dessen Gültigkeitsvermerk von der Bezugsbehörde stammt, zum Behuf der Vorlage beim zuständ’gen Erteilungsamt.“

Ja, lustig. Aber was hat das jetzt mit Sport zu tun? Nun ja, nehmen wir den Fußball. Er ist gewachsen über die Jahrzehnte. Auch sprachlich. Kurzanalysen wie einstmals das „I spui mei Spui“ des bayerischen Wunderdribblers Wiggerl Kögl oder simple Ablaufbeschreibungen wie die von Horst Hrubesch („Manni Bananenflanke, ich Kopf, Tor“) sind heute nicht mehr zulässig. Moderne Protagonisten des Spiels wie der Nürnberger Zweitliga-Trainer Robert Klauß, der den Fußball-Lehrer-Lehrgang des Deutschen Fußball-Bundes mit eins Komma null abschloss, erstellen einen „Matchplan“, und wenn sie – wie in Nürnberg geschehen – von einem Journalisten gereizt werden, erklären sie den Plan so, dass man ihn möglichst nicht versteht.

Der „abkippende Sechser“ ist längst Sprachgebrauch, doch dass auf dem Spielfeld ein „breitziehender linker Zehner“ agiert, dürfte der Allgemeinheit neu sein. Sie kannte nur Zehner vom Typ Netzer und Overath. Die beiden spielten auch nie zusammen, das hätte nicht funktioniert, denn keiner hätte, wie in Robert Klauß’ System, der „ballferne Zehner“ sein wollen. Irritiert hätten sie ihren Trainer angeschaut ob dessen Forderung, sich an „Pressinglinie eins“ zu orientieren. Sie hätten auch nicht gewusst, was ein „asymmetrischer Linksverteidiger“ ist.

Die Ausführungen des bis dahin eher unbekannten Trainers Robert Klauß gingen jedenfalls viral. Und die Meinungen zu ihm auseinander. Es gibt auch Fußballkonsumenten, die sein Auftreten erhellend finden. Das Spiel ist für sie zur Wissenschaft geworden, die eine eigene, akademisch klingende Sprache haben muss, die auch neue Begriffe schaffen darf wie „vorderlaufen“ oder „hinterlaufen“. Und Berufe wie den Analysten oder den Kaderplaner.

Fußball soll nicht mehr so wirken und klingen, als wäre er trivial. Mag die ganze Welt ja ihren Spaß an ihm haben, doch wahrhaft durchschaut ihn nur, wer zu einer Elite zählt. Als Pep Guardiola 2013 den FC Bayern München übernahm und am Gardasee sein erstes Trainingslager abhielt, saßen auf der Tribüne 500 Mini-Peps, einen Block auf den Knien. Sie schrieben jede Übung mit, die der Meister seine Spieler vollführen ließ. Es herrschte eine Anbetungsatmosphäre wie in der Vorlesung beim Star-Prof.

In zahlreichen Blogs werden seitdem Spiele auf ganz andere Weise beschrieben als etwa in den Zeitungen. Es wird abgekippt und verschoben. Im Deckungsschatten verknappt der „Inverted Winger“ (nein, das ist kein neues Showformat von ProSieben) den Raum, das Spielfeld hat unter- und überladene Seiten.

Die eher traditionalistisch eingestellte Fraktion findet, dass Fußball sich auf andere Art entscheidet und es den Ausgang des Spiels eher beeinflusst, wenn ein Profi zu Hause privaten Stress hat, als wenn er sich beim Halbraumwechsel vertut. Ein Taktikblog unterscheidet sich für sie nicht von einer aus dem Chinesischen übersetzten Gebrauchsanweisung für den Aufbau eines Möbelstücks, vom Beipackzettel eines Medikaments oder von einem juristischen Fachtext.

Werden diese beiden Gruppen jemals zueinanderfinden? Allenfalls Musik könnte sie verbinden und vereinen. Das ist ein Fall für Reinhard Mey. Die Melodie für einen zeitgemäßen Taktiksong hat er jedenfalls schon seit den 1970er Jahren.

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