Das Publikum stört oft eh nur

Olympia 2021 Leere Ränge bei den Spielen werden ein paar schöne Bilder verunmöglichen. Das war’s dann aber auch. Der Antrieb kommt für Leistungssportler aus dem Inneren
Ausgabe 28/2021
Für die allermeisten Teilnehmenden der Olympischen Spiele ändert sich gar nicht so viel, wenn sie auf mehr oder minder verwaiste Tribünen blicken
Für die allermeisten Teilnehmenden der Olympischen Spiele ändert sich gar nicht so viel, wenn sie auf mehr oder minder verwaiste Tribünen blicken

Foto: Charly Triballeau/AFP/Getty Images

Bei der Fußball-Europameisterschaft füllten sich nach und nach die Ränge der Stadien, die Veranstaltung koppelte sich ab von der Akustik, die den bisherigen Verlauf der Corona-Pandemie gekennzeichnet hatte. Die Olympischen Spiele in Tokio werden hingegen still sein. Japan will nichts riskieren, ausländische Olympia-Touristen waren seit Monaten nicht mehr im Konzept vorgesehen, nun wird es vollends geisterhaft. Das sei schade, sagen eigentlich alle, denn den Sportlern würden einmalige Erlebnisse genommen.

Dass etwas Wesentliches fehlen wird, war schon klar, als die Pläne noch vorsahen, wenigstens Einheimische auf die Tribünen der Wettkampfstätten zu lassen. Für die Athletinnen und Athleten geht es aber nicht nur um eine anonyme Kulisse, sondern darum, ihr Glück oder auch ihre Trauer, wenn es für sie schlecht läuft, mit Familienangehörigen oder Freunden zu teilen, die aus der Heimatregion mit angereist sind. Es waren stets die schönsten Szenen, wenn sich in Australien oder Brasilien die Ruderin aus Potsdam oder der Bahnradfahrer aus Erfurt von ihren privaten Fanclubs abfeiern oder trösten ließen.

Doch was man nicht behaupten kann: dass bei Olympischen Spielen jeder immer seine große und perfekt ausgeleuchtete Bühne bekommen hätte. Das mag bei der Leichtathletik so (gewesen) sein, der olympischen Kernsportart: Da konnte ein volles Stadion beben und seine spezielle Magie entfalten. Man sehe sich nur einmal den zur Legende gewordenen Hochsprung-Wettbewerb von 1972 in München mit der damals 16-jährigen Ulrike Meyfarth an. Da ist zu spüren, wie sich 80.000 Menschen auf einen konzentrieren und die bezwungene Höhe mit größerer Erleichterung aufgenommen wird als ein Tor beim Fußball. Oder den 400-Meter-Lauf der australischen Nationalhoffnung Cathy Freeman 2000 in Sydney. Doch das sind seltene Fügungen. Schon in den großen Schwimmstadien dringt die Unterstützung nur schwerlich zu den Startenden durch. Sie tauchen ein in Wasser und Tunnel – und, wenn alles entschieden ist, wieder auf. Sie hören nicht das Toben um sie herum.

Das Gros des olympischen Programms liefern ohnehin die Sportarten, für die die Spiele die einzige Gelegenheit sind, nicht nur vor ihrem kleinen Stamm- und Fachpublikum anzutreten. Ein deutscher Judoka würde in Japan zwar von mehr Leuten live gesehen werden als bei einem Bundesliga-Wettkampf in der Ortsturnhalle, doch für einen Slalomkanuten macht es keinen Unterschied, wo auf der Welt er im Wildwasser durch seine Tore paddelt. Und eine Bogenschützin etwa, die Ruhe benötigt für ihren Sport, würde mit einer imposanten Kulisse gar nicht glücklich werden.

Für die allermeisten Teilnehmenden der Olympischen Spiele ändert sich also gar nicht so viel, wenn sie auf mehr oder minder verwaiste Tribünen blicken. Das kann ja sogar ohne eine Pandemie geschehen. 2018 in Pyeongchang erreichte die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft sensationell das Finale, doch den Südkoreanern war diese Puckjagd fremd. In Deutschland hätte es Hunderttausende Ticketanfragen gegeben, in Pyeongchang blieb zu dieser historischen Stunde die Halle halb leer.

Doch auf dem Eis störte sich keiner der Beteiligten an diesem traurigen Ambiente, jeder nahm das Spiel als das größte Ereignis seiner Karriere wahr. Weil bei allen Leistungssportlern der Antrieb für ihr Tun aus dem Innersten kommt. Was sich um sie herum bildet, ist die willkommene Zugabe.

Man spricht von intrinsischer Motivation. Ohne sie gäbe es nicht so viele auf hohem Niveau betriebene Sportarten, dass Olympia seine Berechtigung hätte.

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