Die Magath-Story: Über den Erfolg von VHS-Trainern

Fußball Mit wissenschaftlichen Trainingsmethoden will Alt-Trainer Felix Magath nichts zu tun haben. Für Hertha BSC Berlin ist sein Comeback ein Gewinn
Ausgabe 18/2022
Nix mit Rente: Hier kickt der VHS-Trainer noch selbst
Nix mit Rente: Hier kickt der VHS-Trainer noch selbst

Foto: Metodi Popow/IMAGO

Uli Hoeneß gibt gerne Auskunft über seine Fernsehvorlieben. Zu Tränen rühren ihn die Sissi-Filme, seine Begeisterung als Geschäftsmann weckt die Serie Der Große Bellheim von Dieter Wedel. Mario Adorf und ein paar andere Rentner rocken noch einmal die Welt, in diesem Fall die eines Kaufhauses. Der Große Bellheim könnte jedoch genauso gut eine Fußball-Saga sein. Sie könnte „Der Große Magath“ oder „Der Große Funkel“ heißen. „Der Große Heynckes“ gab es auch schon. In den vergangenen Jahren sogar mehrere Staffeln.

Wie die Tabelle der Bundesliga nach 34 Spieltagen aussehen wird, ist im Wesentlichen vor dem ersten absehbar, so berechenbar ist der Fußball geworden. Aber der Weg, den mancher Verein zum erwarteten Ziel einschlägt, birgt doch noch Überraschungen. Was eben noch ein Gag der Internetgemeinde war, kann einen Hashtag später schon Realität werden. Und plötzlich steht in dieser modernen Welt ein Protagonist aus einer längst vergangenen Zeit – ebendieser Felix Magath. Im Fußball sind unerwartete Comebacks von Trainern am reizvollsten. Weil mit ihnen der stärkste Kontrast geschaffen wird.

Profiklubs sind ja mittlerweile Leistungslabore. Den Spielern wird regelmäßig Blut aus dem Ohrläppchen gepikst, um ihre körperliche Befindlichkeit zu eruieren, sie werden in Kompressionsschlafanzüge gesteckt, die die Regeneration fördern, sie machen Training für die Augen, ihre Handlungsschnelligkeit trainieren sie in einer künstlichen Welt wie dem Footbonauten. Trainer reden wie Wissenschaftler, ihre Analysen erstellen sie mithilfe von „Scouting Feeds“, einer wie Manuel Baum, der zuletzt Schalke 04 trainierte, sagte, in die Vorbereitung eines Spiels investiere er hundert Stunden.

Der Trainer geht nie in Rente

Und dann kommt Felix Magath, ein Mann aus dem VHS-Zeitalter. Neue Erkenntnisse? Papperlapapp. Er sagt, die Genetik eines Menschen sei zu 99,99 Prozent noch die gleiche wie vor Tausenden von Jahren, und was für ihn als Spieler gut gewesen war, könne auch den Stars von heute nicht schaden, darum ran an die Medizinbälle und auf zum Waldlauf, obwohl die Sportwissenschaft das ein „schlechtes Bewegungsmuster“ nennt. Einen Matchplan braucht Magath auch nicht, er fragt am Abend vor dem Spiel seinen Mannschaftsältesten, Kevin Prince Boateng: „Was möchtest du spielen?“ – „Zehner.“ – „Spielst du.“ Das ist alles gegen die Lehre – aber Magath hat Hertha BSC in Berlin so wieder in die Spur gebracht, der Abstieg kann verhindert werden.

Felix Magath ist 68, Friedhelm Funkel war 67, als er vorige Saison mal eben den 1. FC Köln rettete, und Jupp Heynckes musste sich mit 73 der Avancen des FC Bayern erwehren. Ein Trainer geht nie in Rente, denn er braucht die Rente nicht. Heynckes hat mal erwähnt, dass er als Auszubildender zum Stuckateur in die Sozialversicherung einzahlte und darum monatlich 217 Euro bekommt. Trainer sagen zwar gerne: „Mit 60 will ich nicht mehr auf der Bank sitzen und auf dem Trainingsplatz stehen“, fühlen sich dann aber mit 70 noch immer bereit dafür. Würde ein Verein Giovanni Trapattoni, 83, anrufen – er würde umgehend ein Ja zur Antwort bekommen. Trainer denken wie Schriftsteller oder Maler, sie können nicht zum Tag X den Stift oder Pinsel einfach weglegen.

Für die Klubs sind sie ein Gewinn. Sie kosten keine Ablöse, weil sie frei sind, und keine Abfindung, weil sie gar nicht lange bleiben wollen. Friedhelm Funkel überbrückte mit seinem letzten Einsatz nur die für ihn inhaltsleeren Wochen, in denen es keine Senioren-Tennisturniere gab.

Standhaft im Ruhestand ist nur Ottmar Hitzfeld, 73. Uli Hoeneß rief schon einmal an, als er Bellheim-Wehmut hatte.

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