Erinnern wir uns, wie es damals zu Ende ging mit Rudi Völler als Teamchef der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Es geschah im Juni 2004 in einem Hotel an der Algarve in Portugal, am Morgen nach dem dritten Vorrunden- und letzten Turnierspiel bei der Europameisterschaft in Portugal. In Lissabon hatte das Team 1:2 gegen Tschechien verloren, nach Unentschieden gegen die Niederlande und Lettland bedeutete das das Aus in der Vorrunde. Auf der Rückreise nach Faro war Völler in sich gegangen, hatte die Entscheidung getroffen, nicht bis zur Weltmeisterschaft 2006 im Amt bleiben zu wollen.
Völler besprach sich mit niemandem, stellte den Verbandspräsidenten Gerhard Mayer-Vorfelder vor vollendete Tatsachen. Und so saßen früh am Tag danach im Pressekonferenzs
konferenzsaal des Hotels also der Rudi mit hängendem Schnauzer und erschlafften Locken und der DFB-Boss mit tiefen Augenringen vor den deutschen Journalisten, die auch alle traurig waren, weil ihnen der Geschichten-Lieferant Rudi abhandenkam. Wer würde sich nun mit den ARD-Moderatoren Waldemar Hartmann und Gerhard Delling fetzen? Würde sich noch einer finden, der die Iren die „Irländer“ nennt?In der Aufarbeitung des Völler-Rücktritts von 2004 wurde ein großes Manko in den Strukturen des DFB ausgemacht: Dass es keine Position zwischen dem Bundestrainer und der Verbandsspitze gab, keinen für die Nationalmannschaft zuständigen Manager, der sich in der Nacht mit Rudi Völler zusammengesetzt und gesagt hätte: Keine Kurzschlussreaktionen, lieber Rudi, lass uns ein paar Tage ins Land ziehen und das in Ruhe bilanzieren. Doch ohne das Regulativ eines besonnenen Ratgebers geriet der DFB in eine turbulente Nachfolgerfindung, in der die Namen Otto Rehhagel und Ottmar Hitzfeld fielen, und saß Gerhard Mayer-Vorfelder alleine am Pool im gebuchten, bezahlten, aber verwaisten Mannschaftshotel, um sich künftige Konstellationen auszudenken.Man erfand und fand dann den Teammanager Nationalmannschaft, es wurde Oliver Bierhoff. Und es ist einigermaßen kurios, dass fast zwanzig Jahre später Rudi Völler dessen Nachfolger und somit der Mann werden soll, der ihm selbst gefehlt hatte.Rudi Völler war einer von unsDoch was wird dieser Rudi Völler überhaupt leisten können als Teilbereichs-Bierhoff beim DFB? Was hat er überhaupt so auf dem Kasten? Wo liegen Schwächen und Stärken?Das Faszinierende an Rudi Völler ist, dass er das Lebensglück hat, geliebt zu werden. Das war schon zu seiner Zeit als Spieler so. Man mochte ihn, weil er für Werder Bremen spielte und eben nicht für die Bayern. Offenbach und 1860 München zuvor waren proletarische Stationen, Rudi war einer von uns. Gut, dass er die längste Zeit seiner Karriere im Fußball in Leverkusen verbrachte, darüber muss man hinwegsehen.Bei der EM 1988 tat Völler sich schwer, ins Turnier zu kommen. Doch es herrschte bundesweite Erleichterung, als er sich mit zwei Toren gegen Spanien im Münchner Olympiastadion aus der persönlichen Krise schießen konnte. Ruuudiii – hallte es in den weitläufigen Arenen. So auch in Hannover im Herbst 2000 bei seinem ersten Spiel als Bundestrainer. Vor allem der Münchner Alexander Zickler spielte groß auf beim 4:1 gegen Spanien, doch aus jedem Block dröhnte ein „Ruuudiii“. Die WM 2002 galt als Völlers Meisterwerk: Vizeweltmeister. Dass die Qualifikation mühsam gewesen war (1:5-Heimniederlage gegen England, Relegation gegen die Ukraine), ging im Ruuudiii-Rausch unter. Ebenso die Tatsache, dass die DFB-Elf in Japan und Südkorea bis zum Finale ausschließlich auf in der Weltrangliste klar unter ihr stehende Gegner traf. Selbst nach der EM 2004 in Portugal blieb Völler von der öffentlichen Meinung unangetastet. Kurz nach dem Desaster war er Gast in der „Wetten dass…?“-Sommerausgabe auf Mallorca. Als er die Stierkampfarena betrat: minutenlange Ovationen und ein „Ruuudiii“.Sympathiepunkt für die farblos gewordene NationalmannschaftRudi Völler hat einen Schlag bei den Leuten. Als Politiker würde er über Parteigrenzen hinweg jedes Direktmandat gewinnen. An diese alleine durch Fakten nicht zu ergründende Beliebtheit wird auch der DFB mit seiner Task Force gedacht haben, als er auf die Idee kam, Völler zur Nationalmannschaft zurückzuholen. Nicht als Trainer – Gott bewahre, das war er ja eigentlich nie und immer auf einen kundigen Assistenten angewiesen, der die Arbeit erledigte. Aber als Figur, als Repräsentanten. In der Werbung würde man einen wie Völler „Testimonial“ nennen. Der DFB und seine wichtigste Mannschaft sollen mit ihm einfach weniger Bierhoffig werden.Der Aufgabenbereich des 2004 eingestiegenen Oliver Bierhoff hatte sich über die 18 Jahre verändert. Mit dem Nationalteam hatte der Supermanager immer weniger zu tun, er beschäftigte sich zuletzt mit dem großen Projekt Akademie, war eher der Rektor einer Universität als der Beobachter des Trainingsbetriebs bei der Auswahlmannschaft. Um die kümmerte sich allerdings ein ausreichend großer Stab an Betreuern, sodass der Laden organisatorisch auch ohne die oberste Instanz Bierhoff lief. Und Hansi Flick, Bundestrainer seit 2021, hatte sein Team an Experten auch erweitern dürfen: mit einem Spezialtrainer für Standardsituationen, außerdem einem zweiten Co-Trainer und bei der WM dem knorrigen Hermann Gerland, der eine ähnliche öffentliche Wirkung erzielt wie Rudi Völler.Rudi Völler wird als für die Nationalmannschaft zuständiger Manager im Licht der Öffentlichkeit stehen, das wird die Sympathiewerte für das farblos gewordene Team verbessern. Und Hansi Flick ist froh um jede Pressekonferenz, die er nicht hinter sich bringen muss. Doch was konkret kann Völler leisten, wo wird sein Aufgabengebiet liegen? Man muss das ja deutlich sagen: Als Trainer ist er ein Gescheiterter, seine Aus-dem-Bauch-heraus-Methodik passt nicht in die Zeit, und mit Flick hat der DFB einen Fleißarbeiter und Akribiker, dessen Gedanken sicher tiefer gehen als die des ihm nun vorgesetzten Managers. Er würde sich wohler fühlen ohne einen, den er als Aufpasser wahrnehmen muss.Dass Rudi Völler gegen den eigenen Trainer arbeitet, ist allerdings nicht zu erwarten. In seiner Zeit als Sportchef bei Bayer Leverkusen hielt er stets lange an den Coaches fest. Es hieß, er scheue den Aufwand, eine bessere Alternative suchen zu müssen. Beim DFB steht das frühestens nach der EM 2024 an. Dann wird auch Rudi Völlers Amtszeit beendet sein und er Ruhe haben.