Kugelstoßer stößt traurig die Kugel

Olympia 2021 Bei den Spielen geht es um mehr als den technischen Ablauf eines Wettkampfes. Wenn sie stattfinden, werden sie sehr matt ausfallen
Ausgabe 12/2021
Winter – war da was?
Winter – war da was?

Foto: Sven Simon/IMAGO

Der Winter geht. Wobei: War er überhaupt so richtig da? Es geht dabei nicht ums Wetter – und Schnee lag 2021 auch dort, wo selten welcher fällt –, sondern darum, ob der Wintersport uns das Gefühl für die Jahreszeit gegeben hat.

Es war eigentlich alles wie immer: Fernseh-Samstage und -Sonntage, vollgepackt mit Skiabfahrten, Biathlon-Wettbewerben, Rodlern, unschlagbaren Bobfahrern, Dauerschleife von 9 bis 18 Uhr, Weltmeisterschaften im Alpinen wie im Nordischen Skisport. Athletinnen und Athleten freuten sich, aus den Kommentatoren-Boxen drangen Jubelschreie. Und doch: Es fühlte sich alles so unbedeutend an. Man sieht zwar nie, dass Zuschauer am Rande eines Eiskanals stehen und einem mit 120 Kilometern pro Stunde vorbeirauschenden Schlitten eine Anfeuerung hinterherrufen würden – trotzdem vermisst man das Publikum.

Mehr noch an der Sprungschanze, wo es mit seinem „Ziiieeehhh“ den Soundtrack zum Flug liefert, am Schießstand im Biathlon-Stadion, wo es den Rhythmus vorgibt, im Ziel des Slalomhangs mit Kuhglocken und Schneizlreuth-grüßt-seinen-Vizeweltmeister-Plakaten. Im Wintersport haben wir die Interaktion zwischen Aktiven und Betrachtenden nie als so prägend wahrgenommen wie im Fußball. Umso überraschender, dass wir den Schneesport als nicht weniger steril und freudlos empfunden haben als den Kick in den leeren, hallenden Stadien.

Wir müssen ein wenig fürchten um all die Sportarten, die in Redaktionen als „allgemeiner Sport“ oder „Buntsport“ zusammengefasst werden. Sie treiben ziellos vor sich hin. Die Sommer- noch mehr als die Winterdisziplinen. Leichtathletik, Schwimmen, Triathlon und viele andere – sie erwischten 2020 die erste Hochphase der Corona-Pandemie, Wettbewerbe gab es nur reduziert. Der olympische Aufmerksamkeits-Kick, den sie alle vier Jahre brauchen, entfiel. Beispiel: 2019 war Niklas Kaul Deutschlands Sportler des Jahres, der junge Sensationsweltmeister im Zehnkampf. Die meisten, die seinen Olympia-Wettkampf 2020 live verfolgt hätten, werden ihn schon vergessen haben.

Tokio 2020 soll 2021 nachgeholt werden. Doch was spüren wir mehr: Begeisterung oder Bedenken? Die Skepsis vernehmen wir sogar aus den Reihen derer, die über Jahre auf dieses Ereignis hingearbeitet haben. Doch auch hier unterscheiden sich die Buntsportler*innen vom Fußball. Sie ordnen sich nicht als systemrelevant ein, sie sprechen sich gegen die Priorisierung bei der Impfung aus. Im Fußball wurde argumentiert: Wir machen unsere Arbeit. Hauptsache, wir spielen, egal wo. Der Buntsport meint: Wir wollen faire und würdige Wettbewerbe, wir wollen keine Gesundheitsgefährdung. Dabei sind für die Lagenschwimmerin, die Bogenschützin, den Kugelstoßer und den Vielseitigkeitsreiter die Olympischen Spiele wirtschaftlich wichtiger als für den Fußballer ein Europameisterschafts-Turnier.

Wer zu Olympia fährt, möchte mehr als nur den technischen Ablauf seines Wettkampfes erleben. Er will die Nähe zu anderen im Olympischen Dorf erfahren und nicht zu den eigenen Mitstreitern Abstand halten müssen. Ihm ist auch daran gelegen, sich freuen zu können, wenn ein paar Fans aus der Heimat auf den fernen Kontinent gereist sind, um ihn zu unterstützen. Doch wahrscheinlich wird sich dieses Olympia sehr uninternational anfühlen. Sehr fremd.

Für Olympische Spiele haben die Menschen früher sogar Urlaub genommen. Zwei Wochen lang Sport, wann immer man einschaltet. Ein Ereignis. Es fühlte sich wichtig an. 2021 ist es egal geworden. Trauriger Fußball genügt, man braucht nicht noch trauriges Beachvolleyball.

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