Olympia 1972: Augen schließen, Ulrike Meyfarth genießen

Erinnerung Olympia 1972 weckt sofort die Erinnerung an ein grausames Attentat. Dabei waren die Spiele in München so viel mehr als das
Ausgabe 34/2022
Gedenkfeier zum 50. Jubiläum der Olympischen Spiele 1972: Die Erinnerung an das palästinensische Attentat auf israelische Sportler dominiert
Gedenkfeier zum 50. Jubiläum der Olympischen Spiele 1972: Die Erinnerung an das palästinensische Attentat auf israelische Sportler dominiert

Foto: Christof Stache/AFP/Getty Images

Der 26. August ist das Datum, zu dem es noch einmal feierlich wird. Dann ist es 50 Jahre her, dass die Olympischen Spiele von München 1972 eröffnet wurden. Jeder, der das irgendwie miterleben konnte, hat von diesem Tag seine Erinnerungsfetzen: die Musik des Orchesters Kurt Edelhagen, die Mannschaften, von denen einige noch den militärischen Einmarschschritt pflegten, andere sich aber schon an ein gelassenes Schlendern heranwagten, die bayerischen Goaßlschnalzer, die weißen Tauben, die in den Himmel stiegen. Es war der Aufbruch in eine neue Zeit. Die ersten Familien leisteten sich einen Farbfernseher, die Münchner, legendäre Grantler, lernten Freundlichkeit und boten ihr Schul-Englisch auf, um Olympia-Gäste durch die Stadt zu lotsen.

Viele haben von den Olympischen Spielen ein unverwüstliches Detailwissen. Sie können sagen, dass Klaus Wolfermann seinen Speer 90,48 Meter weit warf und Janis Lusis, der Widersacher, nur 90,46 Meter – und dass sie danach beste Freunde wurden. Viele können die Augen schließen und einen Ulrike-Meyfarth-Film ablaufen lassen – Hochprung, 1,92 Meter. Sie haben nicht vergessen, dass Heide Rosendahl beim Springen und Sprinten rot-weiße Ringelsocken trug, die hatte nur sie. Und Männer, die heute 60 und älter sind, gestehen, dass sie damals in die 17-jährige Turnerin Olga Korbut verliebt waren.

München 1972 wurde vor allem in der internationalen Wahrnehmung durch das palästinensische Attentat auf israelische Sportler und das bayerisch-deutsche Polizeiversagen komplett zerstört (der Freitag 33/2022) – doch wer sich am heiteren Teil der Spiele berauschte, der wird sie immer im Herzen bewahren. München 1972 war und ist ein Lebensgefühl, der unwidersprochene Glückseligkeits-Code einer Generation, die sich privilegiert fühlt, dabei gewesen zu sein.

München mit seiner Tauglichkeit sowohl für Sommer- als auch für Winterspiele wird nach den geglückten und zu Recht gefeierten European Championships, die am vergangenen Sonntag zu Ende gingen, mal wieder als potenzieller Olympia-Kandidat genannt. Dem deutschen Sport erscheint es am leichtesten, in München die für eine Bewerbung wünschenswerte Zustimmung der Bevölkerung einzuholen. Die naheliegende Argumentation: In München weiß man schließlich schon, wie schön es sein kann, die Spiele zu erleben. Und genau das ist der Denkfehler.

Denn wer sein München 1972 liebt, der will nicht, dass es übermalt wird durch ein neues Olympia. Er verteidigt sein Erleben, seinen Schatz, den die Nachgeborenen nicht besitzen. Und diese Gruppe der 72-forever-Fans, die zu Hause noch einen Original-Waldi liegen haben, ist groß (Boomer-Jahrgänge) und meinungsgewaltig. Wer das bescheidene München 1972 liebt (und es auch ein wenig verklärt), der wird sich daran stören, wie groß das Event Olympia geworden ist. Und so können die 1972-Ultras die fundiertesten und hartnäckigsten Gegner einer olympischen Rückkehr an ihren Ort sein, wenn sie im Rahmen eines Bürgervotums befragt werden. Beim letzten Mal war das in München der Fall. Die Stadt wollte nicht, was sie inzwischen für einen Zirkus hält.

So etwas wie die European Championships, ein buntes und überschaubares Format, ist in Ordnung. Es torpediert die Erinnerung an früher nicht, es fördert sie sogar, wenn Stars von damals, inzwischen ergraut und Träger von Gesundheitsschuhen, die Siegerehrungen vornehmen. Die netten kleinen Europameisterschaften sind die Verbeugung vor den viel größeren Spielen, wie sie einmal waren.

München 1972 muss die Dachmarke des Sports bleiben. Unerreichbar schön. Einmalig.

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