Powerpoint statt kurzer Hose: Der Absturz des Oliver Kahn

Kolume „Der Sportreporter“ Kaum ein deutscher Fußballer war je so populär wie er: Oliver Kahn. Als Torwart feierte er zahllose Siege, wurde mehrfach Welttorhüter. Seit er seine Karriere beendet hat, scheint der Sportsgeist ihn verlassen zu haben. Was ist da los?
Ausgabe 19/2023
Er ist eindeutig kein praktizierender Fußballer mehr: Oliver Kahn mit Hemd und Sakko
Er ist eindeutig kein praktizierender Fußballer mehr: Oliver Kahn mit Hemd und Sakko

Foto: Imago/Moritz Müller

Oliver Kahn war ein unfassbar populärer Fußballer. Weil er jedem einen Anlass bot, von ihm fasziniert zu sein. Er war ein spektakulärer Torwart, besessen vom Erfolg; er war eine Maschine, die spät in der Spielerkarriere dann doch noch das Leben und seine flippige Seite entdeckte; zugleich war er kein Dummian, sondern konnte sich unfallfrei und treffsicher zum Geschehen an der Börse äußern, aus einem Trainingslager seines FC Bayern wurde er einmal sogar in eine Wirtschaftssendung des ZDF live zugeschaltet. All diese Kontraste machten Oliver Kahn zu einem schillernden Typen. Es schien unausweichlich, dass man ihn in einer weiterführenden Rolle im Fußball sehen würde.

Dazu ist es gekommen, doch der Funktionär Oliver Kahn, Vorstandsvorsitzender der FC Bayern München AG, ist eine große Enttäuschung. Das hat gar nicht mal so viel damit zu tun, dass die Performance des Vereins in dieser Saison eine blassere ist als üblich. Was die Mitglieder und Fans verstört, ist vielmehr, dass der Oliver Kahn, der sich nun im Business-Outfit auf der Tribüne zeigt, eine völlig andere Persönlichkeit offenbart als der Oliver Kahn, der vor 15 Jahren noch kurze Hose und Torwarthandschuhe trug.

2008 hatte er sich vom Fußballplatz verabschiedet und das Karriere-Ende mit einem natürlich erfolgreichen Buch flankiert. Es heißt Ich. Erfolg kommt von innen – und wenn es die Leute nicht nur gekauft, sondern auch gelesen hätten, wäre ihnen damals schon klar geworden, dass die Entfremdung zwischen dem Fußball und seinem Protagonisten nicht aufzuhalten sein würde. Sportliches kam kaum vor im Ich-Werk. Es war eine mediokre Management-Fibel, das zehnte überflüssige BWL-Buch, aus neun anderen zusammengeschrieben.

Kahn studierte an einer Privat-Uni in Österreich, er bezeichnet sich als Unternehmer. Zwar vertrieb seine Firma Torwartausrüstung und Trainingsmethodik, doch der Chef selbst koppelte sich völlig ab vom Fußball. Schon auf sein Abschiedsspiel einige Monate nach dem letzten Bundesliga-Auftritt hatte Kahn sich eher widerwillig und mit knarzenden Knochen in einer einzigen Trainingseinheit vorbereitet, danach rührte er keinen Ball mehr an. So war keiner seiner Vorgänger in einer führenden Position beim FC Bayern. Franz Beckenbauer stellte sich, wenn Not herrschte, als Trainer auf den Platz, der oft so kalt wirkende Karl-Heinz Rummenigge taute auf, wenn er Erzählungen von früher, aus der Spielerzeit, auspacken konnte, und Uli Hoeneß blieb ohnehin bei allem, was er tat (und tut), der Spieler, der den Wettkampf suchte. Sein von kaputten Gelenken getragenes Übergewicht schleppte er lange zum Montagabend-Hallenfußball der Vereinsangestellten auf den Platz.

Bei Oliver Kahn hingegen wirkt es, als wäre ihm der Fußball suspekt geworden. Als sähe er in Fußball-Problematiken etwas, das Fußball-Menschen nicht geregelt bekommen, sondern auf das man eine höhere Form der Erkenntnis anwenden müsste, über die etwa die Berater von McKinsey verfügen, die beim FC Bayern seit Kahns Übernahme des Vorsitzes ein und aus gehen. Kurzum: So wie Oliver Kahn den FC Bayern führt, spielt es keine Rolle, dass er selbst einer von dessen größten Fußballern war. Er ist ein handelsüblicher Manager aus der mittleren Entscheidungsebene, der glaubt, dass die Wahrheit in einer Powerpoint-Präsentation liegt.

Oliver Kahn sagt neuerdings, dass er kämpfen wolle. Er, der sich Beherrschtheit antrainiert hat, seit er nicht mehr spielt, zetert und keift jetzt wieder, wenn die Kamera auf ihn gerichtet ist. Doch ist seine Emotion echt – oder nur eine Berechnung, die aus dem Kommunikationsplan eines seiner Berater stammt?

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden