Als die feministische Künstlerin Monica Bonvicini sich vor einigen Wochen von der König Galerie distanzierte, die sie damals noch vertrat, schien dies dem intersektional-feministischen und institutionskritischen Netzwerk Soup du Jour nicht genug zu sein. Über einen offenen Brief forderte Soup du Jour die Künstlerin am 6. November auf, sich deutlicher zu positionieren. Der Hintergrund: Im August hatte ein Autorinnenteam der Zeit über MeToo-Vorwürfe gegen den Galeristen Johann König berichtet. Der Artikel basierte auf Gesprächen mit insgesamt zehn mutmaßlich betroffenen Frauen und mehreren Zeug*innen. König bestreitet die Vorwürfe, ging dagegen juristisch vor.
Ihr Medium ist nicht Text
Einige Wochen nach jenem Zeit-Artikel teilte Monica Bo
Zeit-Artikel teilte Monica Bonvicinis Sprecherin einem Kunstmagazin mit, dass die Künstlerin ihre Beziehung zur Galerie so lange ruhen lassen werde, bis die gegen Johann König erhobenen Vorwürfe geklärt seien. Einen solchen Schritt war außer ihr keine*r der namhaften Künstler*innen der Galerie gegangen, sei es Erwin Wurm, Norbert Bisky oder Alicja Kwade. Einige der Künstler*innen wurden ohne weitere Erklärungen lediglich nicht mehr aufgelistet, wie jüngst Katharina Grosse und Elmgreen & Dragset. Als hätten sie leise die Zusammenarbeit beendet. Das Netzwerk störte sich jedoch daran, dass Monica Bonvicinis abwartende Haltung unartikuliert ließe, dass Opfer von sexuellen Übergriffen vom juristischen System immer wieder im Stich gelassen werden. Zum anderen vermutete Soup du Jour hinter dem Statement der Künstlerin ein Kalkül. Ohne eine Distanzierung von Johann König würde sie die Glaubwürdigkeit ihrer feministischen Position beschädigen. Was im Hinblick auf ihre Ausstellung I do You, die Ende November in der Neuen Nationalgalerie in Berlin eröffnet, eine zusätzliche Virulenz bekommt. Monica Bonvicini antwortet nicht auf den Brief. Stattdessen übernimmt die König Galerie das Wort. Am 11. November verkündet diese das Ende der Zusammenarbeit mit der Künstlerin. Ein Schritt, zu dem sich die Galerie entschieden habe, „um Monica Bonvicini zu schützen, die aktuell erheblichen Anfeindungen ausgesetzt ist (…)“. Fraglich, ob die Künstlerin des Schutzes einer Galerie bedarf, zu der sie infolge der MeToo-Vorwürfe auf Abstand ging.Der Konflikt, den Soup du Jour mit Monica Bonvicini sucht, ist auch deshalb interessant, weil er widerstreitende feministische Strategien innerhalb des Kunstbetriebs verdeutlicht. Zunächst fallen die gegensätzlichen Sprecher*innen-Positionen auf. Die einzelne Künstlerin wird von einem anonymen Netzwerk angeschrieben, eigentlich outgecallt. Monica Bonvicini, deren Medium nicht Text ist (auch wenn Slogans eine wichtige Rolle in ihren Arbeiten einnehmen), ist aufgefordert, auf einen langen Brief zu antworten. In einer Sprache – Englisch –, die nicht die Muttersprache der in Berlin lebenden gebürtigen Italienerin ist.Zugleich ist Monica Bonvicini in ihrer künstlerischen Sprache sehr präzise und unkorrumpierbar, wenn sie die Geschichten und Hegemonien der sie ausstellenden Räume hinterfragt und hierbei architektonische wie auch institutionelle Gefüge freilegt oder dekonstruiert. In ihren beeindruckenden Arbeiten untersucht die Künstlerin seit mehr als zwei Jahrzehnten Schnittstellen zwischen Macht, Gender und Sexualität. Mit einer ortsspezifischen Installation im Belvedere 21 in Wien 2019 erforschte sie beispielsweise den internationalen Modernismus der Museumsarchitektur von Karl Schwanzer. Eine gänzlich männlich dominierte Moderne, deren Ideale wie auch Stereotype sowie die damit verbundenen Politiken von Territorien und Grenzziehungen ausgestellte Werke wie Marlboro Man (2019) mit trockenem Humor in Frage stellten.Anders als bisherige AktionenSoup du Jour stellt ebenfalls systemkritische Fragen an Ausstellungen und im Besonderen an den Kunstbetrieb. Zu dem heterogenen Netzwerk mit wechselnden Mitgliedern zählen unter anderem Kurator*innen, Theoretiker*innen und Künstler*innen. Seit vier Jahren sorgt das Kollektiv durch verschiedene Aktionen für nationales wie internationales Aufsehen im Kunstbetrieb. Mit einem offenen Brief und einer Petition protestierten sie im September 2018 dagegen, dass Florian Waldvogel und Alain Bieber in der von ihnen für das NRW-Forum in Düsseldorf kuratierten Ausstellung Im Zweifel für den Zweifel: Die große Weltverschwörung Werke von zwölf Künstlern und nur einer Künstlerin zeigten. Während der Berlin Art Week im April 2019 starteten sie einen Aufruf gegen ein ähnliches (Gender-)Missverhältnis. Das Netzwerk hatte errechnet, dass die teilnehmenden Galerien und Kunstinstitutionen zu 75 Prozent weiße Männer zeigten.Drei Monate später richtete sich Soup du Jour mit einer Aktion gegen die Ausstellung Milchstraßenverkehrsordnung (Space is the Place) im Künstlerhaus Bethanien in Berlin. In einem offenen Brief an die Institution und den Kurator der Ausstellung, Christoph Tannert, beanstandete Soup du Jour die Künstler*innen-Liste. Wieder dominierten die weißen Männer. Bei einer Ausstellung, die sich von afrofuturistischer Science-Fiction der 1970er Jahre inspirieren ließ, fiel mehr als sonst der Mangel an Schwarzen Künstler*innen und allgemein Künstler*innen of Color auf. Zusätzlich kritisierte der offene Brief, wie unkritisch der Ausstellungstext Elon Musk und dessen Vision der Kolonialisierung des Weltraums würdigte. Immerhin war Musk schon damals nicht irgendein Unternehmer, sondern eine einflussreiche Figur der Rechtskonservativen in den USA.Soup du Jour fungiert als Korrektiv in einem Kunstbetrieb, der es sich in seiner vermeintlichen Wokeness bequem eingerichtet hat. Der offene Brief an Monica Bonvicini unterscheidet sich aus mehreren Gründen von den bisherigen Soup-du-Jour-Aktionen. Hier werden nicht eine Institution oder deren weiße und männliche Kuratoren kritisiert, sondern eine feministische Künstlerin. Das Netzwerk sieht in ihr scheinbar keine Alliierte mehr.Vielleicht lassen sich die widerstreitenden feministischen Auffassungen mit dem Manifest Feminism for the 99 % der Autorinnen Cinzia Arruzza, Tithi Bhattacharya und Nancy Fraser etwas einordnen. Die 2019 veröffentlichte Streitschrift differenziert zwischen kapitalistischen und anti-kapitalistischen Feministinnen. Der kapitalistische Feminismus verfolge eine Vision der „Herrschaft der Chancengleichheit“, in der Cis-Frauen aus der (meist oberen) Mittelschicht im vorhandenen System die Gläserne Decke durchbrechen, Führungsebenen besetzen und das System dann mit all seinen Ungerechtigkeiten fortschreiben. Im Kontrast hierzu wollten die antikapitalistischen Feministinnen eine gerechte Welt, deren Reichtum und natürliche Ressourcen von allen geteilt werden, so die Autorinnen. Der antikapitalistische Feminismus versucht aus den zerstörerischen Kräften der korporativen Ethik auszuscheren und solidarisiert sich idealerweise mit den Benachteiligten des Systems. Dies wären im Umfeld der von heterosexuellen Cis-Männern geführten Blue-Chip Galerien oftmals auch Frauen, die sich in komplizierten Abhängigkeitsverhältnissen befinden. Das intersektional-feministische Netzwerk Soup du Jour scheint Monica Bonvicini an den Kriterien eines antikapitalistischen Feminismus und dessen Empathie für die Stimmenlosen zu messen.Womöglich hat Soup du Jour die Künstlerin auch an ihren eigenen Parolen wie „I won’t shut up“ gemessen. Ein Ausspruch, der in ihren Arbeiten beziehungsweise Editionen wiederholt auftaucht. In ihnen geht es um die freie Meinungsäußerung, aber auch um das Erheben der eigenen Stimme und vielleicht sogar das Riskieren einer rückhaltlosen Offenheit. Der Künstlerin sagte vor einigen Jahren von sich: „Ich bin auch mit der Vorstellung aufgewachsen, dass Künstler*innen und Kulturproduzent*innen eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und dem Publikum haben, und es war selbstverständlich für mich, so über Kunst zu denken.“Den offenen Brief mit seinen suggestiven Fragen ließ Monica Bonvicini dennoch unbeantwortet. Vielleicht folgen die Antworten – möglicherweise auf noch nicht gestellte Fragen – aber auch im Laufe der Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie. Wenn ihre Interventionen in der ihr vertrauten Arena des Ausstellungsraums ein weiteres Mal den kolossalen Kampf mit dem „White Cube“ und seinen ganzen Vorannahmen, Vorgeschichten und patriarchalen Konnotationen aufnehmen. Wenn die Künstlerin wie eh und je durch ihre Arbeiten und nicht durch Briefe zu ihrem Publikum spricht.