In der Falle

Gelbwesten Guillaume Paoli hat dringende Fragen zum Antisemitismus in Frankreich
Ausgabe 08/2019
Antisemitische Anfeindungen hat Alain Finkielkraut schon vielfach erfahren. Aus den Reihen der Gelbwesten kamen sie bislang noch nicht
Antisemitische Anfeindungen hat Alain Finkielkraut schon vielfach erfahren. Aus den Reihen der Gelbwesten kamen sie bislang noch nicht

Foto: Eric Feferberg/AFP/Getty Images

Der französische Philosoph Alain Finkielkraut wurde von Antisemiten in Gelbwesten übel angepöbelt und physisch bedroht. Das ist absolut zu verurteilen, ganz gleich, was man von Finkielkrauts Ansichten zu Einwanderung hält. Dies einmal festgestellt, fällt es dem Kommentator schwer, weitere Bemerkungen hinzuzufügen. Denn es gibt nichts zu relativieren.

Es gibt Fragen zu stellen. Ist das Wort „Pogrom“, das von manchen Kommentatoren bemüht wird, wirklich angemessen? Mit der rhetorischen Zuspitzung kommt die pauschale Anschuldigung. „Die Gelben pesten“, titelt Spiegel Online. Und der Essayist Bernard-Henri Lévy meint, die Ausfälle seien keine Randerscheinung, sondern das „Herzstück der Bewegung“: „Man fängt an, Volksbegehren zu fordern, und endet beim Antisemitismus!“

In Foren der Gelbwesten wird der Vorfall kategorisch verurteilt, aber das hilft nicht: Die Gelbwesten sitzen in der Falle. Auch am Dienstag. Einerseits konnten sie gegen Antisemitismus nicht gemeinsam mit Macron demonstrieren, gegen dessen Politik sie seit 14 Wochen auf die Straße gehen. Andererseits wollten sie der Kundgebung nicht einfach fernbleiben. Gewählt wurde eine dritte Option: die Organisierung eigener Kundgebungen gegen Antisemitismus – und dessen Instrumentalisierung.

Bleibt die Frage: Wie konnten aus den Reihen der Gelbwesten antisemitische Täter agieren? Eine ihrer Gruppen erklärt: „Die Vorstellung wäre müßig, eine Bewegung dieser Größenordnung könnte auf wundersame Weise von Übeln verschont bleiben, die die französische Gesellschaft weitgehend durchdringen.“ In der Tat grassiert das Übel nicht erst seit November. Zwar hat Marine Le Pen Traditionsantisemiten aus ihrer Partei entsorgt, doch sind sie nicht weg. Antisemiten finden sich in einem diffusen, aber virulenten Netzwerk um Alain Soral und den Pseudokomiker Dieudonné wieder, die die Wut auf Macron ausnutzen, um dessen vergangener Bankertätigkeit bei Rothschild eine jüdische Verschwörung anzudichten. Gut faschistisch wird die große Versöhnung aller Volksgruppen versprochen, Migrantenkinder eingeschlossen, vereint gegen die „kosmopolitische Gemeinschaft“. In Zeiten der sozialen Zersplitterung und des Argwohns gegen Mainstream-Medien stößt so ein Stuss nicht immer auf taube Ohren. In den Banlieues, wo seit Jahrzehnten eine desaströse soziale Lage samt Rassismus und Polizeigewalt herrscht, identifizieren sich arabischstämmige Jugendliche traditionell mit dem Los der Palästinenser. Dabei spielt die französische Kolonialgeschichte eine besondere Rolle: Die algerische FLN trieb die Franzosen ins Meer, ähnlich wie es Israel-Feinde mit Juden zu tun träumen, so die Erzählung.

Mit der islamophoben Welle hat sich die Polarisierung noch verstärkt. Dazu sprühen salafistische Prediger ihr Gift gegen Christen und Juden. Scheinbar kamen die Aggressoren Finkielkrauts aus dieser Ecke, einer brüllte ja: „Gott wird dich bestrafen!“ Und der Antizionismus in der französischen Linken? In Frankreich eine umso vertracktere Sache, als es starke Vereinigungen antizionistischer Juden gibt. Auf alle Fälle kommen die Hakenkreuze auf Porträts von Simone Weil nicht aus einer linken Ecke. Allerdings überschreitet die Beschimpfung Finkielkrauts als „Dreckszionist“ die Grenze zum Antisemitismus. Die Gilets jaunes erklären, sie bestünden auf Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit für alle. Angesichts der Lage eine vernünftige Absicht.

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