Gegenstimme im Gegenwind

Medien Mit ihrem neuen Werbespot möchte die „taz“ Hass und Abgrenzung anprangern – und jagt ein Klischee mit dem anderen
Ausgabe 08/2018

Ein Werbespot der taz sorgt für Wirbel. „Internet“ heißt im Filmchen eine Metzgerei, wo unappetitliche „Wutwurst“ von prollig aussehenden, wirren weißen Männern angeboten wird. Identifikationsfigur ist eine weltgewandte Kundin mit Migrationshintergrund, die sich angewidert abwendet. Laut taz-Hausblog will man „einen nur noch über Hass und Abgrenzung kodierten Internetdiskurs fühlbar machen“. Offenbar wurde bei vielen die Gegenwirkung erzielt. Denn vermittelt wird eher ein überheblicher Blick auf unterprivilegierte Schichten, die als physisch hässlich und mental gehässig karikiert werden. Hinter dem Vorwand, gegen Hass zu kämpfen (ein schwammiger Begriff, der heute jede Art von Polemik, Spott oder Aufbegehren einschließt), schimmert altbürgerliche Klassenverachtung durch. Ein Klischee wird mit dem anderen gejagt, Ausgrenzung mit sozialem Distinktionsvorteil, Lügenpresse-Vorwürfe mit dem Verweis auf den digitalen Lügengenerator.

Es entbehrt nicht der Ironie, dass die taz gerade das 40. Jubiläum des „Tunix-Kongresses“ feierte, auf dem ihre Gründung auf den Weg gebracht wurde. Damals ging es ja darum, gegen die Verblendung durch Mainstreammedien („BILD lügt!“) eine „Gegenöffentlichkeit“ zu kreieren, Machtlosen eine Stimme zu geben. Wie sich die Zeiten ändern: Im Spot geriert sich jetzt die taz als „Gegenstimme“ zum Internet, sprich gegen die moderne Gegenöffentlichkeit, die pauschal als Brutstätte für Ressentiment und Unwahrheiten dargestellt wird. Ähnlich wirbt übrigens Bild derzeit mit dem Clip: „Bescheid wissen statt nachplappern“ (was letzte Woche nicht daran hinderte, extravagante Fake News über angebliche Kreml-Verstrickungen von Juso-Chef Kühnert zu verbreiten). Noch mögen sich Rudi-Dutschke- und Axel-Springer-Straße voneinander differenzieren. Man bedient ja verschiedene Marktsegmente. Aber wenn es darum geht, das Bollwerk der Profession gegen ihren Hoheitsverlust zu verteidigen, sind sie sich einig.

Unter dem Titel „Die Lügenpresse, das sind wir“ schrieb der Medienjournalist Klaus Raab letztes Jahr selbstkritisch in der taz, dass die ursprüngliche Ambition des „Tunix-Kongresses“, die Interessen der Bevölkerung auf Graswurzelniveau auszudrücken, heute von den neuen Rechten beansprucht werde. Daraus lassen sich zwei grundverschiedene Folgerungen ableiten. Entweder war es ein Fehler, auf den „schwammigen“ Begriff der Gegenöffentlichkeit zu setzen, da man Öffentlichkeit nicht spalten kann „wie einen Apfel“, so Raab. Auch Gegenöffentlichkeit ist Öffentlichkeit. Oder die Rechten okkupieren eben das Terrain, das ihnen von den vormals alternativen linken Medien überlassen wurde. Überdies ist es eine grobe Verzerrung, „den Internetdiskurs“ allein mit rechtem Gedankengut gleichzusetzen. Zum Glück bleibt das Netz eine riesige Konfliktzone, in der das Schlimmste, aber auch das Feinste zu finden ist, zum Beispiel die methodische Entlarvung von tendenziösen bis falschen Meldungen der Printmedien und von diesen vernachlässigte Nachrichten. Gewiss ist es für die schlecht bezahlten und es gut meinenden taz-Journalisten schwer nachvollziehbar, als Vertreter des Mainstreams empfunden zu werden. Für die Freiheit der Andersdenkenden waren sie doch immer. Aber andersdenkend sind jetzt die Anderen.

Von Guillaume Paoli erschien 2017 Die lange Nacht der Metamorphose. Über die Gentrifizierung der Kultur bei Matthes & Seitz

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