An der Metro-Station 72. Straße/Ecke Central Park bat mich Andreas Hodler, Flüchtling aus Wien, um meinen Stadtplan.
Er gab vor, irgendeine Straße in Harlem zu suchen und erzählte mir während dieser zweifellos sehr unkonzentrierten Tätigkeit, er sei in Josefstadt zu Hause. Sein eigentliches Zuhause sei jedoch der Theseus-Tempel im Wiener Volksgarten - dabei warf er einen ebenso scheuen wie begierigen Blick hinüber zum Central Park - in dessen Nachbarschaft er viele Frauen verführt, verlassen und schließlich gemordet habe.
Ja, sagte er theatralisch, hienieden findet sich kein Richter, aber droben ... Immer wieder habe er sich selbst anzeigen wollen, in jeder Wiener Polizeiwache sei er davongejagt worden, weil den von ihm benannten Frauen nachweislich keinerlei Gewalt von Seiten Zweiter zugefügt worden sei, kurz, es liege kein Fremdverschulden vor, was er auch nie behauptet, weil er sie doch allesamt sehr gut gekannt habe.
Vielmehr, so die milde lächelnden, wienerisch hochnäselnden Ermittler, vielmehr habe sich die erste erhängt, die zweite aus dem Fenster gestürzt, die dritte vor den Zug nach Melk geworfen, die vierte vergast, wobei ein riesiges Mietshaus mit Drahtkorbaufzug und einer Fremdenpension in der dritten Etage in die Luft geflogen sei. Die einzige Gemeinsamkeit dieser Frauen sei ihr Grundschullehrerinnendasein und keineswegs, dass sie von ihm, Andreas Hodler, umgebracht worden seien. Leider, leider, hätten sie süffisant gegrinst, könne er nicht in die Wiener Frauenmördergeschichte eingehen, allerdings dürfe er sich den gigantischen Titel "Grundschullehrerinnenselbstmörder" zulegen.
Falls er - hätten sie nach endlos langer Pause hinzugefügt - falls er nicht sowieso Trittbrettfahrer sei.
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