Kulturgut in Gefahr

Bücher Ein Urteil zum Urheberrecht könnte unsere Verlagslandschaft schwer treffen. Ein Weckruf aus dem Berliner Aufbau Verlag
Ausgabe 49/2015

Vor 15 Jahren stellte einer der ersten Literaturagenten der Berliner Republik seinem Gegenüber gern folgende Frage: „Wer fährt Jaguar? Der Autor? Oder der Verleger?“ Seine Antwort lautete: „Der Verleger. Und wir Agenten sind dazu da, das zu ändern.“ Die Agenten haben Wort gehalten. Allerdings lautet die Antwort auf die Frage, wer Jaguar fahre, heute in diesem Fall: der Agent.

Eher selten läuft es im Sinn der Autoren. Kürzlich etwa verriet Thomas Glavinic dem Spiegel, dass er den Verlag unter anderem gewechselt habe, um sich einen BMW 330Ci kaufen zu können. In Messing metallic. Ich freue mich darüber. Ich freue mich auch, mit literaturbegeisterten und kenntnisreichen Agenten zusammenarbeiten zu können. Die sollen auch tolle Autos fahren. Ich habe mich für die Übersetzer gefreut, als ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) von 2011 dazu führte, dass ihre Vergütung stieg und sie am Verkaufserfolg der Bücher beteiligt wurden. Und ich werde mich auch freuen, wenn die Autoren und vermutlich ihre Agenten mehr Gelder von der Verwertungsgesellschaft Wort (VG Wort) ausgeschüttet bekommen. Darauf nämlich läuft ein nicht nur von mir mit Spannung erwartetes Urteil des Europäischen Gerichtshofs hinaus, das Mitte November zu einem Musterverfahren aus Belgien unter dem Namen „Hewlett-Packard vs. Reprobel“ ergangen ist.

In diesem Urteil verneint der Gerichtshof eine Beteiligung der Verleger an Einnahmen aus privaten Kopien, solange nicht die Urheber an diesem Teil der Einnahmen beteiligt werden. Diese Entscheidung hat enorme Bedeutung für Mitgliedstaaten der EU, in denen – wie in Deutschland – Verlage an den Einnahmen aus der sogenannten Zweitverwertung von Werken (z. B. Verleih, Kopie, Sendung) beteiligt werden.

Keine Rechtssicherheit

Die Einnahmen der VG Wort werden seit Jahrzehnten überwiegend an Urheber und Verlage weitergegeben. Im vergangenen Jahr – auch wieder unter Vorbehalt – waren das über 100 Millionen Euro. Doch genau diese Verteilungspraxis hat der EuGH nun wohl auch mit Wirkung für die deutsche Verteilungspraxis für rechtswidrig erklärt: Laut Richterspruch haben die Verlage nicht unbedingt einen Anspruch auf Beteiligung an den Ausschüttungen.

Das hätte dramatische Folgen; in einem vor dem BGH anhängigen Verfahren in Deutschland steht nämlich genau diese Frage nun zum Disput. Der Kläger, ein Wissenschaftsautor, meint, dass die Erlöse aus der Zweitverwertung von Werken allein den Autoren zustünden. Bereits zwei Instanzen gaben ihm Recht, und es sieht ganz danach aus, als würde er auch vor dem BGH siegen. Damit würde der enorme Einnahmeverlust, der den Verlagen entsteht, nicht mehr kompensiert werden. Sie haben nämlich nach deutschem Recht bisher – anders als andere Verwerter im Kulturbereich – gerade kein Leistungsschutzrecht, das die erbrachten Leistungen würdigt.

Um zu verstehen, was für die Verlage auf dem Spiel steht, muss kurz die Reform des Urheberrechts in Deutschland und Europa angesprochen werden. So sieht einerseits der Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums vom September dieses Jahres grundsätzlich eine Stärkung der Künstler, an einigen entscheidenden Stellen aber eine Schwächung etwa der Verlage vor. Unter anderem eine faktische Laufzeitverkürzung von Verträgen auf fünf Jahre. Andererseits wurde zu Beginn dieses Jahres ein EU-Parlamentsreport für eine europaweite Urheberrechtsharmonisierung erstellt und diesen Sommer vom EU-Parlament verabschiedet. Julia Reda von der Piratenpartei hat den Report verfasst, er trägt ihren Namen. Sie meint, das „derzeitige Urheberrechtsregime“ verhindere den freien digitalen Austausch von Wissen und Kultur.

Dass eine Abgeordnete der Piraten die beliebige Nutzung von Werken über den Schutz geistigen Eigentums stellt, verwundert nicht. Dass die Regierungsparteien den Verlagen keine ausreichende Rechtssicherheit einräumen wollen, befremdet umso mehr.

Das alles freut mich nicht. Es ärgert und beunruhigt mich. Denn seit Jahren findet eine Umverteilung zuungunsten der Buchverlage statt. Ihre ohnehin kleinen Margen sind dahingeschmolzen, das unternehmerische Risiko lastet überschwer auf ihren Schultern. Der Anreiz, Werke zu verlegen und somit in den Aufbau von Autoren und Programmen zu investieren, wird fortlaufend geschwächt, es droht ein Verlust von Vielfalt, ja: von Kultur.

Mit hohem Ethos

Das hat einerseits mit dem tiefgreifenden Strukturwandel unserer Mediengesellschaft zu tun, aber andererseits eben auch mit einer arglosen, zum Teil respektlosen Rechtspraxis. Immer mehr scheint in Vergessenheit zu geraten, dass Verlage die Erschaffung von Literatur nicht nur ermöglichen, sondern tatsächlich leisten.

Verlage sind Treuhänder, Inkubatoren, Straßenbauer. Sie schaffen den Geltungsraum, in dem ein Werk der Erzählkunst überhaupt wahrnehmbar wird, in dem es Gestalt annimmt. Das ist, korrekt, vermutlich noch keine Urheberleistung. Es ist harte Arbeit in den Bereichen Presse, Marketing, Lizenzen, Herstellung und Vertrieb.

Alles jedoch, was in der Rechtsabteilung und im Lektorat einem Werk zugutekommt, berührt das Urheberrecht. Im Aufbau Verlag etwa wird traditionell gearbeitet, also sorgfältig am Text: Eine Lektorin rät dem Sachbuchautor, eine andere These als die von ihm angedachte zu akzentuieren, oder sie entwickelt das Konzept eines Sachbuches gleich selbst. Oder ein Belletristiklektor rät zum Ändern der Figurenkonstellation, der Erzählperspektive, des Plots, des Titels, des Tons usw. Oder eine Justiziarin rät aus Gründen des Persönlichkeitsrechts zum Streichen ganzer Passagen oder formuliert gemeinsam mit Lektor und Autor eine rechtlich haltbare Version der inhaltlich gleichen Aussage. In den genannten Fällen folgt die Autorin oder der Autor dem guten, weil professionellen Rat der Verlagsmitarbeiter. Ein Verlag wie der Aufbau Verlag – und ich kann hier durchaus für alle seriösen deutschsprachigen Literaturverlage sprechen – erbringt also zweifelsfrei Urheberleistungen, die Anerkennung finden müssen.

Gelegentlich wird kritisiert, dass Literaturverlage nicht mehr das seien, was sie einst waren. Lektoren würden kaum mehr redigieren, das Verfassen von Werbetexten und die Produktion digitaler Inhalte würden sie zu sehr in Anspruch nehmen. Sie hätten keine Zeit mehr, sich dem Text und dem Autor zuzuwenden, sie seien oft nur Produktmanager. Es ist wahr, insgesamt haben sich die Bedingungen unseres Arbeitens in den letzten zwei Jahrzehnten gewandelt, und einiges von dem, was André Schiffrin erstmals in seiner bei Wagenbach erschienenen Analyse Verlage ohne Verleger beklagt hat, trifft zu.

Dennoch muss deutlich gesagt werden, dass sich die Literaturverlage in unserem Sprachraum – ob sie nun Hanser, Droschl, Diogenes oder Matthes & Seitz heißen – jedes beiläufige, unverbindliche Arbeiten verbitten. Im Gegenteil, solche Verlagshäuser sind gerade keine Lohndrücker-Unternehmen, die lediglich Manuskripte unbearbeitet vervielfältigen. Mit hohem Ethos arbeiten ihre Mitarbeiter weniger für Autos als vielmehr für bedeutende und schöne Bücher, für zufriedene Autoren, für das Glück, etwas Richtiges zu tun.

Als jemand, der weiß, was Schriftsteller leisten, finde ich es fast ungehörig, die Leistung der Verlage derart zu betonen. Andererseits ist es bitter nötig, den Verlagen Gehör zu verschaffen, das zeigen die Entwicklungen der letzten Zeit überdeutlich.

Anna Seghers hat den früheren Aufbau-Verlagssitz als Bienenkorb bezeichnet. Ich würde sagen: All unsere Literaturverlage sind Bienenkörbe. Und ich würde sagen: Wer Honig will, sollte besser darauf achten.

Gunnar Cynybulk wuchs in Leipzig und Bayern auf. Seit Anfang 2014 leitet er den Aufbau Verlag, im gleichen Jahr erschien sein Roman Das halbe Haus (DuMont)

Foto: Ipon/Imago

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