Absurdes Theater im Gerichtssaal

München Am Mittwoch verlas Mathias Grasel Einlassungen Zschäpes, welche die Optionen der Verteidigung einschränkten und der Angeklagten schadeten. Ist das rational erklärbar?

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Die Vorgeschichte

Der NSU-Prozess begann am 6. Mai 2013, nach einem ablenkenden Skandal um die Akkreditierung von Journalisten, der das Bundesverfassungsgericht beschäftigt hatte. Die drei Pflichtverteidiger von Beate Zschäpe (Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl, Oberstleutnant der Reserve der Bundeswehr und Anja Sturm, zuvor Verteidigerin in medienwirksamen Wirtschaftsstrafprozessen und Staatsschutzprozessen) verfolgten von Anfang an eine Strategie der Aussageverweigerung, die es der Staatsanwaltschaft ermöglichte, die offizielle These eines Kreises von nur zwei Tätern (Mundlos und Böhnhardt) und einer Unterstützerin (Zschäpe) zumindest im Prozess aufrecht zu erhalten. Außerhalb des Prozesses brach diese These freilich durch die Erkenntnisse parlamentarischer Untersuchungsausschüsse und durch Recherchen von Journalisten zusammen. In der informierten Öffentlichkeit gilt sie mittlerweile als widerlegt und sie wäre auch vor Gericht leicht zu demontieren, weil ihr zu viel bekannte und gesicherte Information widerspricht. Daraus hätten sich offensichtlich für die Verteidigung von Zschäpe Vorteile erzielen lassen.

Bereits am 16. Juli 2014 entzog Zschäpe ihren drei Verteidigern das Vertrauen. Das Gericht wollte aus ihrer schriftlichen Stellungnahme keine Anhaltspunkte für ein zerrüttetes Vertrauensverhältnis erkennen und setzte den Prozess fort. Am 10. Juni 2015 gab Zschäpe an, Sturm habe vertrauliche Information öffentlich verhandelt und sie psychisch massiv unter Druck gesetzt. Desweiteren erklärte sie, sie sei bereit auszusagen, die Anwälte hätte aber angedroht, sie nach einer solchen Aussage nicht weiter zu verteidigen. Die Anwälte widersprachen dem. Das Gericht konnte noch immer kein derart gestörtes Vertrauensverhältnis erkennen, dass eine sachgerechte Verteidigung durch Sturm nicht mehr möglich sei. Am 5. Juli 2015 ordnete das Gericht mit Mathias Grasel einen eher unerfahrenen vierten Pflichtverteidiger bei, der angab, sich von einem unbenannten renommierten Strafverteidiger unterstützen lassen zu wollen. Später beantragten sowohl Heer, Stahl und Sturm als auch Zschäpe die Abberufung der ersten drei Pflichtverteidiger, Zschäpe erstattete Anzeige gegen ihre Anwälte wegen Verletzung von Privatgeheimnissen und die Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen dazu ein. Das Gericht folgte im Oktober 2015 der Ansicht der Staatsanwaltschaft, die ordnungsgemäße Verteidigung von Zschäpe durch Heer, Stahl und Sturm sei gewährleistet.

Am 10. November 2015 kündigte Grasel die Verlesung einer Aussage Zschäpes für den 11. November 2015 an. Daraufhin beantragten Heer, Stahl und Sturm erneut ihre Entpflichtung, der Verteidiger von Ralf Wohlleben stellte einen Befangenheitsantrag gegen den ganzen Senat. Das Gericht vertagte den Prozess bis zum 17. November. Am 16. November 2015 sagte das Gericht die bereits terminierten Prozesstage am 17. und 18. November ab. Aufgrund zahlreicher Termine der beteiligten Richter werde für die Entscheidung über den Befangenheitsantrag Wohllebens mehr Zeit benötigt. Am 19. November wurde bekannt, dass die Aussage Zschäpes bis mindestens zum 8. Dezember 2015 aufgeschoben wäre, weil ihr Anwalt Hermann Borchert zunächst seinen lange geplanten Jahresurlaub antrete.

Falls Sie, lieber Leser, sich nicht erinnern können, dass Hermann Borchert Frau Zschäpe beigeordnet worden sei, haben sie nichts überlesen. Borchert ist einfach ein anderer Anwalt der gleichen Kanzlei, in der auch Grasel arbeitet. Er war am 9. Dezember 2015 erstmals beim Prozess anwesend, allerdings auch dann nicht aktiv. Die Aussage Zschäpes verlas Grasel. Am 7. Dezember war Borchert erstmals in Erscheinung getreten, als er mitteilte, Frau Zschäpe habe nach einer Zellendurchsuchung einen Nervenzusammenbruch erlitten und die Aussage solle vom 8. auf den 9. Dezember verschoben werden, er werde am 8. Dezember nicht erscheinen. Außerdem regte er an, wegen der großen Belastung Zschäpes durch das Verlesen ihrer Aussage für den 10. Dezember die Verhandlung auszusetzen. Tatsächlich sagte das Gericht diesen Prozesstag ab. Zschäpe erklärte am 8. Dezember auf Anfrage des Richters, es gehe ihr gut.

Zschäpes Aussage

Die von Grasel verlesene Aussage Zschäpes wurde an das Gericht, die anderen Verteidiger und die Bundesanwaltschaft verteilt, nicht aber an die Nebenkläger. Auch wurde angekündigt, Fragen der Nebenklägervertretungen und der Nebenkläger selbst zu der Aussage würden nicht beantwortet.

Die Aussage selbst wirkte ausgesprochen unglaubwürdig. Zschäpe habe immer erst im Nachhinein von den Taten erfahren. In Vielem bestätigt die Einlassung die Thesen der Bundesanwaltschaft, vor allem bezüglich der Täterschaft von Mundlos und Böhnhardt. Damit verunmöglicht die Einlassung die erfolgversprechendste Strategie der Verteidigung, nämlich die Demontage der These der Bundesanwaltschaft von der Täterschaft von ausschließlich Mundlos und Böhnhardt. Für Zschäpe geht es dabei um alles, weil die Bundesanwaltschaft sie dem Vernehmen nach als gleichberechtigtes Mitglied des NSU oder sogar als Drahtzieherin darstellen will und mit dieser Begründung erreichen will, dass nach einer lebenslangen Haftstrafe auch noch Sicherheitsverwahrung angeordnet wird, was nicht einmal bei RAF-Terroristen der Fall war.

Die Einlassung Zschäpes ist als Argument der Verteidigung gegen eine solche Darstellung ungeeignet, da die Verteidigung ja kaum geltend machen kann, die Einlassung sei derart dumm, dass man eine Rolle Zschäpes als Drahtzieherin des NSU aufgrund mangelnder Intelligenz sicher ausschließen könne. Das trifft zwar zu, ist aber unter diesen Umständen nicht gerichtsverwertbar.

Grasel ist nun wieder nicht so unerfahren, dass er so etwas nicht einschätzen könnte und Borchert ist ganz gewiss nicht unerfahren. Beide können auch gut einschätzen, dass diese Einlassung Zschäpes für sie schädlicher ist als weiteres Schweigen. Es mag nicht völlig ausgeschlossen sein, dass eine Person erfolgreich ein Jurastudium absolviert und als Rechtsanwalt Fuß fasst, der es so offensichtlich an juristischem Verstand fehlt. Dass es doppelt bei der gleichen Angeklagten geschieht, entbehrt aber dann doch jeder Wahrscheinlichkeit.

Die Interessenlage

Für die interessierte Öffentlichkeit ist es kein Geheimnis, dass beim NSU-Prozess nur eine Seite daran interessiert ist, die Wahrheit herauszufinden und diese Seite ist die Nebenklage. Die Verteidiger der verschiedenen Angeklagten, die Bundesanwaltschaft und das Gericht haben mehrfach klar gezeigt, dass sie den Widersprüchen zwischen der Beweisaufnahme im Prozess und öffentlich bekannter Information nicht nachgehen wollen.

Es fällt schwer, irgendwelche Sympathien für Beate Zschäpe zu empfinden. Dennoch gehört es zu einem Rechtsstaat, dass eine Angeklagte, egal was ihr zu Last gelegt wird und wie wahrscheinlich ihre Täterschaft ist, angemessen verteidigt wird. Das ist im NSU-Prozess ganz klar nicht der Fall. Wenn das Gericht in diesem abgekarteten Spiel einen Schuldspruch fällt, wird man auch das Berufungsgericht in die Kollusion einbeziehen müssen. Ich gehe hier ausdrücklich nicht von einer Schädigungsabsicht gegen Zschäpe ausgehe, wohl aber von einer solchen gegen die Nebenkläger sowie von Strafvereitelung im Amt bezüglich der Rolle des Verfassungsschutzes in der gesamten NSU-Affäre.

Warum macht Zschäpe eine Einlassung, die ihr schaden muss? Offensichtlich ist sie nicht die hellste Birne im Lampenladen, um es drastisch auszudrücken. Ob die jetzt verlesene Aussage allerdings diejenige ist, die sie ursprünglich machen wollte, darf man getrost in Zweifel ziehen. Die hektischen Reaktionen mehrerer Seiten am 10. November, des Gerichts am 11. und 16. November und die lange Zeit zwischen dem ursprünglich angekündigten Termin und der tatsächlichen Einlassung sprechen dagegen. Warum sich Zschäpe auf die sehr wahrscheinlich erfolgte Änderung der Aussage eingelassen hat, kann man nur mutmaßen. Dass Druck auf sie ausgeübt wurde und ihr (falsche) Versprechungen gemacht wurden, darf man vermuten.

Weiter stellt sich die Frage, warum Grasel und Borchert so gehandelt haben. In der Regel ist es für einen Rechtsanwalt kontraproduktiv, den Interessen des eigenen Mandanten zu schaden, selbst wenn es sich um einen Pflichtverteidiger handelt, wie Grasel. Borchert ist interessanterweise ein Wahlverteidiger und man darf nicht nur, man sollte sich die Frage stellen, woher Frau Zschäpe plötzlich das Geld für einen Wahlverteidiger hat.

Schon für die geschichtliche Einordnung des Prozesses sollten die Medien im Nachhinein die Karriere von Grasel und Borchert im Auge behalten. Ich gehe aber nicht davon aus, dass sie es tun werden. Die Interessenlage Grasels und Borcherts stellt sich für mich so dar: Wenn sie sich dafür entschieden hätten, ihre Mandantin bestmöglich zu verteidigen, hätte ihnen das vielleicht ein gewisses Renommee in Kollegenkreisen eingebracht, den Hass weiter Teile der Öffentlichkeit und unter Umständen, je nach Inhalt der Aussage, eine gewisse Dankbarkeit der Nebenkläger. So wie sie die Sache aber jetzt gedeichselt haben, sind ihnen die Bundesanwaltschaft, die bisherigen Pflichtverteidiger, die Verteidiger der anderen Angeklagten, das Gericht selbst, der Verfassungsschutz und viele Politiker und Beamte in Innenministerien zu Dank verpflichtet. In Kollegenkreisen wird man das verstehen und ihre vorgebliche Inkompetenz nicht für echte Inkompetenz halten, zumal auch dort die Sympathien für Beate Zschäpe gering sein dürften.

Der Ehrliche mag manchmal der Dumme sein, aber der Dumme ist nicht immer ehrlich

Sind die Einlassungen Zschäpes nun rational erklärbar? Aus der Sicht ihrer Anwälte schon. Die werden von diesem Gang der Dinge sicher profitieren. In ihren weiteren Karrieren werden sich auf wundersame Weise Türen öffnen, die anderenfalls verschlossen geblieben wären. Beate Zschäpe ist die Dumme, im doppelten Sinne. Ehrlich ist sie freilich nicht. Wenn sie am Mittwoch im Gerichtssaal auf einer eigenen mündlichen Aussage bestanden und weitgehend die Wahrheit gesagt hätte, hätte sie wohl ihr Leben riskiert. Angesichts ihrer Aussichten wäre es aber wohl die beste Option gewesen.

PS: Wenn Sie selbst über den NSU-Prozess recherchieren wollen, gibt es nur eine nicht kontaminierte Quelle. Andere Quellen bieten mitunter auch Informationen von Interesse, aber sie sind schwer einzuordnen, wenn Sie die Darstellungen der Nebenklage nicht zumindest auch kennen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gunnar Jeschke

Naturwissenschaftler, in der DDR aufgewachsen, gelebt in Schwarzheide, Dresden, Wako-shi (Japan), Bonn, Mainz, Konstanz und Zürich.

Gunnar Jeschke

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