Compact-Klasse

Lausitz Hier passiert gerade, was in den USA zur Präsidentschaft von Trump geführt hat.

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Ein Nachtzug der Österreichischen Bundesbahn hatte mich von Zürich nach Berlin gebracht. Das Angebot soll demnächst ausgeweitet werden, weil der Bedarf so groß ist. Die Deutsche Bahn hat ihr Nachtzugangebot 2016 eingestellt, weil sie Verlust damit machte. Auf dem Weg von Berlin nach Senftenberg in der Lausitz geht beim Umsteigen in Lübben eine halbe Stunde verloren. Immerhin gibt es dort, im Gegensatz zur Kreisstadt Senftenberg, eine am Wochenende geöffnete Bahnhofstoilette. Es gibt sogar eine Verkaufsstelle mit Kioskangebot und mein Lesematerial war zwischen Berlin und Lübben ausgegangen. Der Stand mit den bunten Zeitschriften nimmt fast die ganze Stirnwand ein. Darunter eine einzige politische Zeitschrift: Compact von Jürgen Elsässer.

Ich hatte von Compact gehört, aber noch nie darin gelesen und ich denke, dass politisch interessierte Leute sich auch dafür interessieren sollten, wie die Gegenseite denkt. Der Verkäuferin war nicht anzumerken, wie sie darüber dachte, dass ich die Compact kaufte.

Die Bahnfahrt von Lübben nach Senftenberg ist kurz. So packte ich in der Wohnung meiner Eltern die Zeitschrift aus und mein Vater tat, was er immer tut, wenn ich Lesestoff auspacke: Er fragte, was ich denn lese. Ich sagte, es sei die Compact und wollte zu einer Erklärung ansetzen. Aber mein Vater, der kaum noch aus seinem Lausitzer Dorf herauskommt, kannte die Compact. Später am Mittagstisch dachte ich, ich müsse meiner Mutter erklären, was die Compact sei. Aber meine Mutter kannte die Zeitschrift auch. Meine Eltern haben nur die Lausitzer Rundschau und die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung abonniert.

Die Compact, erklärten sie mir, liege im Wartezimmer des Physiotherapeuten in einem Nachbardorf aus. „Muss dort eine AfD-Gruppe geben.“ meinte ich. Wahrscheinlich sei dem so, räumte mein Vater ein. Aber der Physiotherapeut sei sympathisch. Meine Mutter fügte hinzu, dass er seine Überzeugung nicht vor sich hertrage. Das ist es, dachte ich. Das stört mich so an den AfD-Gegnern, auf deren Seite ich doch stehen sollte. Dieses demonstrative, selbstgerechte Vorsichhertragen einer Überzeugung. Dagegen sind wir allergisch, die wir in der DDR aufgewachsen sind.

Die Compact übrigens, ist geschickt gemacht. Aus ihrer Unterstützung für die AfD und für Höcke innerhalb der AfD macht sie kein Hehl. Aber sie verteufelt nicht einmal die Linke, sie verteufelt den sächsischen Ministerpräsidenten Kretschmer nicht. Die „Zitate des Monats“ sind mehrheitlich von Personen der Gegenseite und sie sind unkommentiert. Sie sind echt, faktisch. Allein die Auswahl lässt die Gegner der AfD undemokratisch und bigott erscheinen.

Elsässer ist zweifellos intelligent. Bei aller Fremdenfeindlichkeit und Totalkritik an den Altparteien wirkt das Ganze doch eher wie eine Suche nach der Wahrheit als das, was der Journalismus unserer Seite zustande bringt. Unsere Journalisten kennen die Wahrheit immer schon und es kann gar keinen Zweifel geben, was jeweils superdupergut und was bitterböse ist. Das kenne ich irgendwoher. Irgendwoher kenne ich das. Das wird bei ehemaligen DDR-Bürgern nicht funktionieren. Es funktioniert nicht einmal bei der Mehrheit ihrer Kinder.

Unser Mittagstischgespräch war damit bei der Politik angekommen. Bei dem von den Grünen erwirkten Verbot einer Borkenkäferbekämpfung durch Pestizide und bei den Bäumen, die deswegen sterben. Beim Kohleausstieg und dem Fehlen plausibler Ideen der Politiker, wodurch diese Industrie in der Lausitz ersetzt werden soll. Und schließlich bei Annegret Kramp-Karrenbauer. Mine Eltern loteten zunächst vorsichtig aus, wie ich sie einschätze. Anfang 2018 hatte ich sie noch für eine mögliche künftige Kanzlerin gehalten. Das hat sich gründlich geändert.

Und dann stellte sich heraus, dass meine Eltern in ihrem Provinzdorf noch etwas gesehen hatten, das mir unbekannt war. „Die drei Nixen“, ein professionelles, inszeniertes Bild von Annegret Kramp-Karrenbauer, Ursula von der Leyen und Angela Merkel mit Untertiteln, welche die Inszenierung ins Absurde kehren: „Weiß nix. Kann nix. Merkt nix.“ Cicero hatte das einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht. Meine Eltern jedoch haben es so erfahren, wie das in solchen Fällen in der DDR üblich gewesen wäre. Ein Nachbar hat es ihnen gezeigt.

Ich habe dann versucht, das Bild zu googeln. Man kann noch in Erfahrung bringen, dass Cicero es zitiert hat. Die Google-Bildersuche führt zu der inszenierten Version ohne die Untertitel. Man kann noch in Erfahrung bringen, dass die Satire von JuleWasabi getwittert wurde. Ja: Sorry, that page doesn’t exist. Anymore. Assoziationen: DDR. Der zensierte politische Witz. Orwell. Vernichtung von historischen Dokumenten. 1984. Das Jahr vor Gorbatschow, ein Tiefpunkt vor der Endphase des Realsozialismus.

Beim Abendessen kamen wir auf die anstehenden Landtagswahlen in Brandenburg zu sprechen. Die AfD könnte stärkste Partei werden. Mein Vater wusste, dass ihnen dann laut Landesverfassung das Amt des Landtagspräsidenten zustünde. Und dass man das eben nicht wie die Stellvertreterstelle im Bundestag hintertreiben könne, weil es Gesetz sei und der Landtag ohne Präsident nicht agieren könne.

Nun lassen die Umfragen es als durchaus möglich erschienen, dass die SPD oder die CDU stärkste Partei werden. Ich würde daraus nicht viel Hoffnung schöpfen. Wenn ich mich in die Lage eines potentiellen AfD-Wählers versetze, der im öffentlichen Dienst arbeitet und von einem Meinungsforschungsinstitut angerufen wird, was würde ich wohl tun? Falls Sie die Antwort nicht wissen, googeln sie Barbara Lenk. Ja, ich kenne den Fall Barbara Lenk aus der Compact-Lektüre. Das macht die Geschichte nicht besser.

In Sachsen ist es wahrscheinlicher, dass sich die CDU doch noch einmal in die Position der stärksten Partei retten kann. Aber selbst nach den optimistischeren Umfragen wird sie eine Koalition ohne AfD und ohne Die Linke nur bilden können, wenn sie mit SPD und Grünen koaliert. Wählt die Kandidaten der Nationalen Front!

Das kann ja alles in einer Woche noch einmal gut gehen und Ende Oktober in Thüringen auch. Und vielleicht verliert der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer nicht wieder seinen Wahlkreis Görlitz gegen einen AfD-Kandidaten, wie 2017 bei der Bundestagswahl. Auch das wird aber nur gelingen, wenn die anderen eine Nationale Front bilden und die 55% Nicht-Wippel-Wähler in Görlitz sich auf Kretschmer einigen können. Nachhaltig ist das alles nicht.

Liebe Freunde von der Nationalen Front. Die AfD wird nicht verschwinden, indem Ihr sie und ihre Anhänger ausgrenzt und sie wird auch nicht durch all die durchsichtigen Tricks verschwinden, mit denen Ihr der AfD die politische Teilhabe verweigert, die ihr in einer funktionierenden Demokratie nach Lage der Dinge nun einmal zusteht. All das, in der Lausitz verbunden mit dem Kohleausstieg, wird sie nur stärker machen. Und auch Eure Hoffnung, das Phänomen sei ein ostdeutsches, ist töricht. Die AfD hat sich in den alten Bundesländern unter dem Dauerbeschuss Eurer Propagandageschütze etabliert. Sie wird nicht verschwinden, schon gar nicht, wenn es zu einer Rezession kommt. Und ist Euch mal aufgefallen, dass beide ehemaligen Volksparteien niemanden mehr haben, die oder der selbst im eigenen Lager als Kanzlerkandidatin oder Kanzlerkandidat starke Unterstützung genösse?

Das liegt nicht an den Personen. Das liegt an den Scheuklappen, mit denen Ihr Politik betreibt. Das liegt daran, dass Ihr den Eindruck einer Nationalen Front macht, in der sich die Politikangebote der Parteien nur sehr graduell unterscheiden. Und dass das fast alle Wählergruppen durchschaut haben, bis auf jene der Grünen. Wenn Ihr wollt, dass nicht irgendwann doch die AfD regiert, dann gebt die Drei-Nixen-Politik auf.

Und, ach ja, die Grünen. Hier kann ich das Wort meiner Mutter überlassen. Es sei ja durchaus nicht alles falsch, was die wollten, meinte sie. Nur seien sie wie die Katholische Kirche. Das, fürchte ich, wird den Wählern früher oder später auch auffallen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gunnar Jeschke

Naturwissenschaftler, in der DDR aufgewachsen, gelebt in Schwarzheide, Dresden, Wako-shi (Japan), Bonn, Mainz, Konstanz und Zürich.

Gunnar Jeschke

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