Funktionsgewinn

Covid-19 SARS-Cov-2 wurde sehr wahrscheinlich absichtlich verändert und unabsichtlich freigesetzt.

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In dieser Pandemie haben viele an Funktion gewonnen. Aus Virologen wurden Medienstars, aus kleinen Startup-Firmen milliardenschwere Unternehmen und aus Journalisten ohne Grundkenntnisse in den Naturwissenschaften oder der Statistik wurden Faktenchecker, die erkennen können, welche Wissenschaftler Recht haben und welche nicht. All diesen Funktionsgewinnlern muss ein Ende der Pandemie nicht als Verheißung erscheinen, sondern als Bedrohung. Hier werden wir uns allerdings nicht mit dem Ende der Pandemie beschäftigen, sondern mit ihrem Anfang. Diesem lag der Funktionsgewinn eines Virus zugrunde. Gegenüber SARS-Cov, dem Protagonisten der SARS-Nicht-Pandemie, ist SARS-Cov-2 sehr viel ansteckender. Dem liegen Veränderungen des Virus zugrunde, deren möglicher Ursache wir hier nachgehen werden. Insbesondere klären wir, ob der Funktionsgewinn künstlich erzeugt worden sein könnte, also möglicherweise das Resultat von Gain-of-Function-Forschung ist.

Verschwörungstheorie?

Die durch SARS-Cov-2 verursachte Krankheit Covid-19 brach zuerst in der chinesischen Stadt Wuhan aus. Dort ist das chinesische Akademieinstitut für Virologie beheimatet. Es hatte 2005 in Science mit einem Artikel auf sich aufmerksam gemacht, nach dem das Vorgängervirus SARS-Cov den Coronaviren von Fledermäusen ähnlich ist. Bis zum Oktober 2019 wurden aus diesem Institut 58 weitere wissenschaftliche Artikel über Fledermaus-Coronaviren veröffentlicht. Dort werden systematisch Proben tierischer Corona-Viren gesammelt und es wird molekular- und zellbiologisch mit diesen Viren gearbeitet. Schnell kam der Verdacht auf, SARS-Cov-2 könne aus einem Labor dieses Instituts entwichen sein.

Diesem Verdacht stellten sich am 19. Februar 2020 in einem Brief an Lancet 27 Wissenschaftler entgegen, darunter auch Christian Drosten. Der Brief gipfelt in dem Satz: "Wir verurteilen gemeinsam auf das Schärfste die Verschwörungstheorien, die besagen, dass COVID-19 keinen natürlichen Ursprung hat." (Übersetzungen von DeepL, teilweise leicht nachbearbeitet). Für diese 27 Wissenschaftler handelte es sich also nicht um eine Hypothese, die zu untersuchen gewesen wäre, sondern um eine Verschwörungstheorie, also etwas Absurdes. War diese Einschätzung Mitte Februar 2020 so haltbar?

Wir wissen aus bekannt gewordenenen E-Mails, dass der Brief von Peter Daszak orchestriert wurde, der mitten in der Autorenliste auftaucht. Wir wissen auch, dass mindestens auf Peter Daszak der Schlusssatz des Briefes nicht zutrifft: "Wir erklären, dass wir keine konkurrierenden Interessen haben."; ich lege das später genauer dar. Peter Daszak ist Präsident der EcoHealth Alliance. Unter den Autoren des Briefs an Lancet sind Rita Colwell und James Hughes Mitglieder des Direktoriums der EcoHealth Alliance, Hume Field ist Wissenschaftler dieser Organisation. Auch in diesen Fällen liegen konkurrierende Interessen vor. Ursprünglich war auch Ralph Baric, einer der führenden Proponenten der Gain-of-Function-Forschung an Viren, als Unterzeichner des Briefs vorgesehen und war in die Diskussion des Briefinhalts eingebunden. Er taucht aber in der Autorenliste nicht auf. Es hätte ihm, als führendem Proponenten der Gain-of-Function-Forschung, auch niemand abgenommen, er habe keine konkurrierenden Interessen. Man muss Baric zugute halten, dass er sich im Mai 2021 in einem Brief an Science für eine ergebnisoffene Untersuchung der Frage einsetzte, ob SARS-Cov-2 dem Labor entwichen sei.

Was war Mitte Februar 2020 über das Virus bekannt? Das Genom war am 10. Januar veröffentlicht worden. Mindestens Christian Drosten musste es kennen, denn sein Labor (eigentlich sein der Öffentlichkeit kaum bekannter Adlatus Victor Corman) hatte bereits am 23. Januar den PCR-Test auf das Virus veröffentlicht. Als Drosten den Brief Daszaks unterzeichnete, war er vollumfänglich über die Gründe informiert, die für einen Laborursprung von SARS-Cov-2 sprachen, wie wir gleich sehen werden.

Mit Kristan Andersen hatte ein führender Virologe in einem E-Mail vom 31. Januar an den Leiter der US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention, Dr. Anthony Fauci, geschrieben, dass er selbst und drei seiner Kollegen alle finden, "dass das Genom nicht mit den Erwartungen der Evolutionstheorie übereinstimmt. Aber wir müssen uns das noch viel genauer ansehen und es stehen noch weitere Analysen an, so dass sich die Meinungen noch ändern können." Am 1. Februar schickte Dr. Fauci an Hugh Auchincloss ein E-Mail mit einem Artikel im Anhang "Baric, Shi et al - Nature medicine - SARSGain of function.pdf". Dieser Artikel ist leicht zuzuordnen. In der Autorenliste stachen für Fauci zwei Namen heraus, der bereits erwähnte Ralph Baric und die Leiterin des Key Laboratory of Special Pathogens and Biosafety, Wuhan Institute of Virology, Chinese Academy of Sciences, Wuhan, China, Zhengli-li Shi ("Bat woman"). Gain of function (GOF) ist Funktionsgewinn. Die Zusammenfassung (Abstract) des Artikels enthält den bemerkenswerten Satz: "Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse haben wir ein infektiöses rekombinantes SHC014-Virus in voller Länge synthetisch hergestellt und eine robuste virale Replikation sowohl in vitro als auch in vivo nachgewiesen." (Hervorhebung von mir). Er ist am 9. November 2016 erschienen. Der Titel des Artikels lautet: "Ein SARS-ähnlicher Cluster zirkulierender Fledermaus-Coronaviren hat das Potenzial, auch beim Menschen aufzutreten". Faucis E-Mail dazu ist knappgehalten:

"Hugh:
Es ist wichtig, dass wir heute Vormittag sprechen. Lass Dein Mobiltelefon an. Ich habe eine Telefonkonferenz um 7:45 Uhr mit Azar. Sie wird wahrscheinlich um 8:45 Uhr zu Ende sein. Lies diesen Artikel und die E-Mail, die ich jetzt an Dich weiterleiten werde. Du wirst heute Aufgaben haben, die erledigt werden müssen."

Die angekündigte weitergeleitete E-Mail verweist auf einen journalistischen Science-Artikel zum Ursprung von SARS-Cov-2, der auch Zhengli-li Shi und Peter Daszak erwähnt. Man wird kaum fehlgehen in der Annahme, dass ein Telefongespräch nötig war, weil es um Dinge ging, die besser keine E-Mail-Spur hinterlassen sollten. Am gleichen Tag organisierte Fauci eine Telekonferenz über die Möglichkeit, das Virus könne einen künstlichen Ursprung haben. An dieser nahmen mit Jeremy Farrar und Christian Drosten zwei Unterzeichner des Briefs an Lancet teil. Die Einwahlanweisungen begannen mit dem Satz: „Die Informationen und Diskussionen sind absolut vertraulich und dürfen bis zur Einigung über die nächsten Schritte nicht weitergegeben werden.“ In dieser Videokonferenz gingen die Meinungen über einen natürlichen oder künstlichen Ursprung des Virus stark auseinander, wie Fauci sehr viel später einräumte. Alle Teilnehmer waren Experten auf dem Gebiet. Es erscheint abstrus, in einem Brief vom 17. Februar eine Ansicht als eine Verschwörungstheorie zu bezeichnen, die mehrere dieser Experten am 1. Februar vertreten hatten.

Kristian Andersen änderte seine Meinung tatsächlich und das sehr schnell. Auch er nahm nämlich an der Diskussion über Daszaks Brief an Lancet teil und das bereits am 4. Februar, drei Tage nach der Telekonferenz und vier Tage nach seinem eigenen E-Mail an Fauci, das einen nicht natürlichen Ursprung von SARS-Cov-2 angenommen hatte. Er schreibt am 4. Februar an Daszak: „Die wichtigsten Spinner-Theorien, die derzeit kursieren, beziehen sich darauf, dass dieses Virus irgendwie absichtlich manipuliert wurde, und das ist nachweislich nicht der Fall.“

Am 17. März erschien ein Artikel von Andersen und vier anderen Autoren in Nature Medicine , dessen Zusammenfassung einen Laborursprung ausschließt: "Unsere Analysen zeigen eindeutig, dass es sich bei SARS-CoV-2 nicht um ein Laborkonstrukt oder ein absichtlich manipuliertes Virus handelt." Im Haupttext klingt das schon etwas nuancierter: "Es ist unwahrscheinlich, dass SARS-CoV-2 durch Labormanipulation eines verwandten SARS-CoV-ähnlichen Coronavirus entstanden ist." Aus eindeutig nicht ist nun unwahrscheinlich geworden. Aber selbst das ist von den Argumenten im Haupttext nicht gedeckt. Das einzige Argument, das überhaupt gegen einen Laborursprung aufgebracht wird, ist dieses: "Wäre eine genetische Manipulation durchgeführt worden, hätte man wahrscheinlich eines der verschiedenen für Betacoronaviren verfügbaren reversen genetischen Systeme verwendet. Die genetischen Daten zeigen jedoch unwiderlegbar, dass SARS-CoV-2 nicht von einem zuvor verwendeten Virus-Rückgrat abstammt." Es gibt keinen Grund, andere Strategien der Gain-of-Function-Forschung auszuschließe, als ausgerechnet die punktuelle Veränderung eines vorhandenen Rückgrats, die wirklich kaum in Frage kommt. Darauf komme ich weiter unten zurück.

Ein ungewöhnliches Virus

Interessant ist, warum Andersen ursprünglich zu dem Schluss gekommen war, dass SARS-Cov-2 „nicht mit den Erwartungen der Evolutionstheorie übereinstimmt“, also vermutlich künstlich entstanden ist. Es gibt zwei Auffälligkeiten. Beide liegen im Spike-Protein, also dem Teil, aus dem die bekannten „Stacheln“ des Corona-Virus bestehen. Das Spike-Protein wird zum Eindringen in die Wirtszelle benötigt. In einem ersten Schritt muss das Virus eine geeignete Wirtszelle erkennen und an diese andocken. SARS-artige Viren bedienen sich dazu des Proteins ACE2, das einen nach dem Zelläußeren gerichteten Teil hat. ACE2 ist der Rezeptor, an dem SARS-Cov-2 eine geeignete Zelle erkennt und an dem es andockt. Das Spike-Protein hat aus diesem Grund eine Rezeptor-bindende Domäne (RBD). Der Punkt ist nun, dass die RBD von SARS-Cov-2 viel besser an menschliches ACE2 angepasst ist als diejenige von SARS-Cov und auch diejenigen aller im Februar 2020 bekannten verwandten Viren. Aus evolutionstheoretischer Sicht erwartet man nun aber nicht, dass sich ein in Fledermäusen grassierendes Virus an menschliche Rezeptoren anpasst.

Andersen bietet im Manuskript vom März 2020 zwei plausible Geschichten an, warum das trotzdem passiert sein könnte. Eine ist eine Anpassung in Menschen nach dem Übersprung von der Fledermaus, wobei die anfangs schlecht angepassten Mutanten noch keine Epidemie ausgelöst hätten. Das ist unwahrscheinlich, denn erstens war SARS-Cov auch mit seiner schlechter angepassten RBD epidemisch auffällig und zweitens wissen wir inzwischen, dass SARS-Cov-2 in Menschen nicht so schnell mutiert, um eine solche Anpassung in Abwesenheit einer Epidemie mit hohen Infektionszahlen zu erklären. Die weite Hypothese ist ein Ursprung in Schuppentieren, in denen ähnlich gut an menschliche ACE2-Rezeptoren angepasste RBD beobachtet wurden.

Das Argument ist inzwischen veraltet. In Laos wurde mittlerweile ein Fledermausvirus entdeckt, dessen RBD ähnlich gut an menschliches ACE2 angepasst ist, wie diejenige von SARS-Cov-2. Die Ähnlichkeit des Spike-Proteins dieses Virus (BANAL-52) mit dem Spike-Protein des Ursprungstyps (Wildtyp) von SARS-Cov-2 ist außergewöhnlich hoch. Die Sequenzidentität beträgt 99%. Die Omikron-Variante unterscheidet sich im Spike-Protein stärker vom Wildtyp als BANAL-52 das tut.

Man könnte nun denken, dass dadurch die Hypothese eines natürlichen Ursprungs gestützt wird. Allerdings haben die Autoren der gleichen Studie noch etwas Anderes bemerkt. Der Rest von BANAL-52 stimmt deutlich schlechter mit SARS-Cov-2 überein als das Spike-Protein. Schon in der Zusammenfassung schreiben die Autoren: „SARS-CoV-2 weist ein Mosaikgenom auf, zu dem verschiedene Vorläufer beitragen.“ Mit anderen Worten wirkt SARS-Cov-2 wie aus den Einzelteilen verschiedener Viren zusammengesetzt, die nicht alle in der gleichen Abstammungslinie liegen. So etwas kann natürlich geschehen. Auch Viren kreuzen sich mitunter, man nennt das Rekombination – daraus kann man übrigens ein Argument gegen mRNA-Impfstoffe konstruieren. In Fall von SARS-Cov-2 bedeutet „mitunter“ allerdings „sehr selten“. In einer im September 2021 in Cell erschienenen Studie hatten die Autoren in Großbritannien 279000 Gensequenzen von SARS-Cov-2 untersucht, die bis zum 7. März 2021 ermittelt worden waren. Nur 16 davon entsprachen rekombinanten Viren. Unter diesen Bedingungen ist es extrem unwahrscheinlich, das SARS-Cov-2 durch mehrfache natürliche Rekombination aus anderen Viren entstanden ist. Man könnte auch leicht überprüfen, wie häufig unter anderen Viren in der Verwandtschaft Mosaikgenome sind. Es gibt ein weiteres Problem mit dieser Erklärung. Rekombination ist nur möglich, wenn zwei Viren in der gleichen Wirtszelle aufeinandertreffen. Die Vorläufer müssten also in der gleichen geografischen Region existiert haben.

Denkt man umgekehrt an einen Laborursprung, ist das Mosaikgenom völlig unkompliziert erklärbar. Im Institut für Virologie in Wuhan befinden sich verwandte Viren aus den verschiedensten geografischen Regionen, denn sie werden dort gesammelt. Für die Rekombination gibt es einen ganzen Zoo von Standardtechniken. Eine mögliche Strategie in der Gain-of-Function-Forschung ist der Folgende. Angenommen, ich habe drei Viren A, B und C, die unterschiedliche Aspekte der Infektion besonders gut beherrschen und ich habe Hypothesen, welche der Virenproteine jeweils für den evolutionären Vorteil sorgen. Dann kann ich aus diesen Teilen ein Super-Virus zusammensetzen und meine Hypothese dadurch überprüfen. Dieser Zugang liegt durchaus auf der Forschungslinie des Instituts in Wuhan und von Peter Daszak. In einem Artikel von 2016 hatten sie genau so eine Chimäre aus zwei SARS-Cov-Varianten erzeugt.

Ist BANAL-52 aber nicht erst nach dem Pandemiebeginn entdeckt worden? So genau wissen wir das nicht. Ein Kommentar unter dem vorveröffentlichten Artikel zu diesem Virus weist darauf hin, dass in den gleichen Höhlen bereits 2017 Fledermausviren gesammelt wurden. Im Bericht dazu ist nicht von Corona-Viren die Rede. Dass dort damals oder zwischendurch jemand solche gesammelt haben könnte, ist denoch möglich. Es muss auch nicht unbedingt das Institut Pasteur gewesen sein.

Eine ungewöhnliche Furin-Spaltstelle

Die größte Auffälligkeit von SARS-Cov2 ist jedoch das Vorhandensein einer Furin-Spaltstelle (furin cleavage site) zwischen den Teilen S1 und S2 des Spike-Proteins. Diese bietet einen entscheidenden Vorteil im weiteren Verlauf der Infektion einer Wirtszelle. Kein zu SARS-Cov-2 nahe verwandtes Virus weist eine solche Furin-Spaltstelle auf, auch BANAL-52 nicht. Dagegen ist diese Furin-Spaltstelle in allen Varianten von SARS-Cov-2 erhalten.

Dass Furin-Spaltstellen Viren infektiöser machen, war lange bekannt. Das Spike-Protein muss nach dem Eindringen in die Zelle in Teile zerlegt werden und dazu bedient sich das Virus mit Vorteil des Enzyms Furin in der Wirtszelle. Furin ist eine selektive Protease, zerschneidet also Proteine nur nach einem bestimmten Motiv der Aminosäuresequenz. Die klassische Furin-Spaltstelle hat die Form R-X-L-R oder R-X-R-R, wobei R für die Aminosäure Arginin, L für Leucine und X für eine beliebige Aminosäure steht. Eine Datenbank enthält 42 solche Spaltstellen. Die Mindestanforderung ist R-X-X-R und diese wird im SARS-Cov-2-Wildtyp mit dem Muster P-R-R-A-R erfüllt. Lediglich das Prolin (P) am Anfang ist in einigen Varianten von SARS-Cov-2 mutiert, die minimale Furin-Spaltstelle R-R-A-R ist streng konserviert, vermutlich, weil sie der entscheidende evolutionäre Vorteil ist. Die Datenbank enthält fünf Spaltstellen dieser Art, die nicht auch zugleich dem klassischen Muster R-X-R-R entsprechen. Bei SARS-Cov-2 ist desweiteren interessant, dass es außer BAT-52 noch zwei Verwandte gibt, deren Bindeglied zwischen S1 und S2 identisch ist - abgesehen von der neuen Furin-Spaltstelle. Die Spaltstelle bedient sich an ihrem Ende eines Argininrests, den es in all diesen Spike-Proteinen gibt. Sie ist durch Einfügung der vier Aminosäuren P-R-R-A vor diesem Arginin entstanden.

Ein natürlicher Erwerb eine Furin-Spaltstelle dieser Art lässt sich nicht ausschließen. Allerdings liegt sie genau an der richtigen Stelle im Spike-Protein bei sonst sehr weitgehender Konservierung der Sequenz dieses Proteins. So langsam häufen sich die Annahmen mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit, die man hier machen muss, doch ein wenig. Wie sieht es hier mit einem möglichen Laborursprung aus?

Nun, der Einbau einer Furin-Spaltstelle in SARS-Cov ist von Peter Daszak in einem Antrag vom 27. März 2018 mit dem hübschen Namen "DEFUSE" (entschärfen) vorgeschlagen worden, der sich an die amerikanische Agentur für fortgeschrittene Forschungsprojekte im Verteidigungswesen (DARPA) richtete. Diesen Antrag sollten übrigens mindestens zwei auf diesem Gebiet führende Virologen als Gutachter gesehen haben. Es ist sehr wahrscheinlich, dass wenigstens einer von ihnen entweder bei der Telekonferenz vom 1. Februar oder bei einem kurzfristig zu diesem Thema anberaumten Treffen der Nationalen Akademien für Wissenschaften, Ingenieurwesen und Medizin am 3. Februar anwesend war. In Daszaks Projektantrag heißt es zunächst: “Wir werden alle SARS-CoV Gensequenzen auf entsprechend konservierte proteolytischen Spaltstellen in S2 und auf das Vorhandensein einer potentiellen Furin-Spaltstelle untersuchen.“. Nach einer weiteren Erklärung fährt er fort: „SARS-Cov mit Fehlanpassungen in den proteolytischen Spaltstellen kann durch exogenes Trypsin oder Cathepsin L gespalten werden. Wenn eindeutige Fehlanpassungen auftreten, werden wir geeignete human-spezifische Spaltstellen einführen und das Wachstumspotenzial in Vero-Zellen und Kulturen menschlicher Atemwegsepithelzellen bewerten.“ (Hervorhebung von mir). Der Antrag schlägt übrigens auch vor, den Einfluss von Änderungen in der RBD in Kulturen menschlicher Zellen zu untersuchen. Der Antrag wurde abgelehnt. Wissenschaftler verzichten selten darauf, Ideen weiterzuverfolgen, wenn ihre Anträge abgelehnt werden, schon gar nicht in den USA, wo Ablehnungen deutlich häufiger sind als Bewilligungen. Man sucht normalerweise einen anderen Weg.

Was ist wahrscheinlicher?

Bis zu diesem Punkt haben wir folgende Informationen gesammelt. SARS-Cov-2 ist in der Großstadt Wuhan ausgebrochen, von der die nächsten Fledermaushabitate weit entfernt sind. In dieser Stadt befindets sich jedoch das international führende Institut auf dem Gebiet der Forschung an Fledermaus-Corona-Viren. Das Institut sammelt solche Viren, arbeitet molekular- und zellbiologisch damit und führt auch Gain-of-Function-Forschung an ihnen durch. SARS-Cov-2 zeichnet sich durch eine an den menschlichen ACE2-Rezeptor gut angepasste Rezeptorbindedomäne aus. Eine Domäne mit fast identischer Aminosäuresequenz wurde im Norden von Laos in einem Fledermaus-Coronavirus gefunden. Andere Teile dieses Virus stimmen aber deutlich schlechter mit SARS-Cov-2 überein, so dass man annehmen muss, dass SARS-Cov-2 rekombinant aus mehreren verwandten Viren entstanden ist. Am Institut für Virologie in Wuhan sind Rekombinationsexperimente mit verschiedenen SARS-Cov-Varianten durchgeführt worden. Im Gegensatz zu SARS-Cov-2 enthält kein nahe verwandtes Virus eine Furin-Spaltstelle. Im Vergleich zum laotischen Fledermausvirus BANAL-52 treten im Spike-Protein neben der Einfügung der Furin-Spaltstelle nur sehr wenige Mutationen auf. Peter Daszak, der an der Gain-of-Function-Forschung in Wuhan beteiligt war, hat im März 2018 einen Projektantrag gestellt, in dem er das Einfügen einer Furin-Spaltstelle in SARS-Cov vorschlug. All das zusammengenommen beweist nicht, dass SARS-Cov-2 ein Produkt von Gain-of-Function-Forschung in Wuhan ist, das unabsichtlich dem Labor entwichen ist. Diese Erklärung scheint mir allerdings aufgrund der vielen Indizien sehr viel wahrscheinlicher als diejenige, dass dieses ungewöhnliche Virus natürlich entstanden ist.

Muss es bewiesen werden?

Wissenschaftspolitisch hätte ein Beweis der Laborhypothese erhebliche Folgen. Mit der Gain-of-Function-Forschung wäre es auf absehbare Zeit vorbei oder sie würde zumindest erheblichen Restriktionen unterworfen. Ihre Proponenten wären in der Öffentlichkeit diskreditiert. Da viele dieser Proponenten während der Corona-Krise auch in anderer Hinsicht oft in der Öffentlichkeit aufgetreten sind und mit einer starken Tendenz für einen bestimmten Umgang mit der Pandemie argumentiert haben, wäre vermutlich auch dieses Bündel von Meinungen mitbetroffen. Diese Leute haben für sich in Anspruch genommen, für die Wissenschaft zu sprechen, de facto bereits ganz am Anfang, als sie die Laborhypothese als Verschwörungstheorie oder Spinner-Meinung bezeichneten. Teilweise haben sie das nur Tage später getan, als sie selbst diese Hypothese noch für wahrscheinlicher hielten als einen natürlichen Ursprung. Ein Beweis der Laborhypothese würde dadurch der Wissenschaft noch stärker schaden, als das schon unter anderen Umständen der Fall gewesen wäre.

Einen vollständigen Beweis wird es vermutlich niemals geben, es sei denn, dass mehrere Beteiligte reden. Sollte man der Frage trotzdem weiter nachgehen, gerade wenn man Wissenschaftler ist und dadurch mittelbar auch die zukünftige Finanzierung der eigenen Forschung gefährdet? Ich denke, ja. Keiner von uns ist nur Wissenschaftler. Jedem von uns sind viele Menschen wichtig, die keine Wissenschaftler sind. Dinge, wie sie sehr wahrscheinlich geschehen sind, müssen nicht geschehen und sollen nicht geschehen. Wir haben eine Pflicht, daraus zu lernen.

In dieser Hinsicht kommt es auch nicht auf einen vollständigen Beweis an. Die Laborhypothese ist völlig plausibel. In Wuhan gab es alle Komponenten und alle Arbeitstechniken, um im Umfeld von SARS-Cov ein deutlich infektiöseres Virus zu entwickeln. Dieser Forschungsansatz ist von einem amerikanischen Kooperationspartner des Instituts propagiert worden und erste Ergebnisse sind veröffentlicht worden, die in diese Richtung weisen. Es liegt auf der Hand, dass solche Forschung ein Risiko eingeht, dass ein gefährliches Designer-Virus aus dem Labor entweicht. Unabhängig davon, ob man den Nachweis antreten kann, dass das im Fall von SARS-Cov-2 auch geschehen ist, ist nun jedem klar, welche Folgen ein solcher Laborunfall haben kann. Ich bin ein großer Anhänger der Forschungsfreiheit. Ich finde aber, dass diese Grenzen haben muss, wenn sie Risiken eingeht, die das Leben von Milliarden von Menschen nachteilig verändern und Millionen das Leben kosten können.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gunnar Jeschke

Naturwissenschaftler, in der DDR aufgewachsen, gelebt in Schwarzheide, Dresden, Wako-shi (Japan), Bonn, Mainz, Konstanz und Zürich.

Gunnar Jeschke

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