Covid-19 und Übersterblichkeit nach EUROMOMO

Covid-19 In neun Ländern entsprechen die Covid-19-Daten einer deutlich höheren Übersterblichkeit als sie EUROMOMO findet.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Dieser Blogbeitrag ist auch mit integrierten Abbildungen auf Dropbox als PDF-Datei verfügbar.

Die Frage, ob offizielle Covid-19-Zahlen die Übersterblichkeit überschätzen, wird immer noch kontrovers diskutiert. Die nach dem besten Verfahren ermittelten Übersterblichkeitsdaten für europäische Länder sind diejenigen von EUROMOMO. Allerdings werden dort im Ländervergleich nur z-scores angegeben, so dass es zunächst erscheint, als sei ein direkter Vergleich mit den als absolute Todesfallzahlen vorliegenden Covid-19-Daten nicht möglich. Der z-score ist die auf die Standardabweichung normierte Zahl der überschüssigen Todesfälle. Für die Standardabweichung kann man sich eine recht gute Abschätzung verschaffen. Die Zahl der Sterbefälle je Woche schwankt über das Jahr etwas, die Schwankung ist aber als Anteil der Gesamtzahl nicht sehr groß. Für die statistische Streuung erwartet man eine Normalverteilung, bei der die Standardabweichung der Wurzel dieser Gesamtzahl entspricht. Die erwartete Zahl der Sterbefälle pro Woche 2020 kann man wiederum abschätzen, indem man die Zahl der Sterbefälle für ein Land im Jahr 2019 durch 365 teilt und dann mit 7 multipliziert. Alle dazu nötigen Daten findet man auf EU Open Data. Die EUROMOMO-Daten habe ich durch Digitalisierung aus dem Bitmap der Abbildung auf der EUROMOMO-Homepage extrahiert.

In Abbildung 1 sieht man, dass das Verfahren in einer Reihe von Ländern das erwartete Ergebnis liefert. Es gibt hier keinen freien Parameter, der angepasst wurde. Der gute Überlapp resultiert aus einer rein deterministischen Berechnung. Im Fall von Portugal kann man in der zweiten Welle ab Woche 45/2020 eventuell eine gewisse Abweichung sehen, aber angesichts der Streuung der Daten ist sie wohl kaum signifikant. Besonders eindrücklich ist die Übereinstimmung für die Schweiz und die Niederlande, bei denen aufgrund der Bevölkerungsgröße die Streuung nicht so hoch ist. In den Niederlanden, wie auch in Portugal und möglicherweise Luxemburg gibt es zusätzlich eine Übersterblichkeitsspitze im Sommer durch eine Hitzewelle. Ansonsten erklärt Covid-19 die Übersterblichkeit in diesen sechs Ländern 2020 nahezu vollständig.

In neun weiteren Ländern sieht die Sache jedoch ganz anders aus, wie Abbildung 2 zeigt. In all diesen Ländern folgt aus den offiziell Covid-19 zugeordneten Sterbefällen eine höhere Übersterblichkeit als sie EUROMOMO findet. In Österreich, Griechenland und Ungarn gab es während der ersten Welle im Frühjahr 2020 kaum eine (Österreich) oder keine signifikante Übersterblichkeit und zwar weder nach EUROMOMO noch nach den Covid-19-Daten. Die zweite Welle weist eine auf, die in den Covid-19-Daten aber stark überschätzt wird, im Falle Ungarns sehr stark.

In Belgien, Italien und Frankreich wurde bereits die erste Welle überschätzt, in Italien und Frankreich sehr stark. Hier habe ich zusätzlich die Covid-19-Daten so reskaliert, dass sie die erste Welle gut anpassen (rote gepunktete Linie). In dieser Darstellung kann man erkennen, dass die Überschätzung der Übersterblichkeit durch die Covid-19 zugeordneten Sterbefälle in Belgien und Italien in beiden Wellen gleich stark war. In Frankreich und Spanien, besonders aber in Großbritannien fällt diese Überschätzung in der zweiten Welle stärker aus. In Schweden ist die Überschätzung in der ersten Welle kaum signifikant, in der zweiten aber sehr stark.

Bei Ländervergleichen von Covid-19-Sterbezahlen ist also Vorsicht geboten. Was immer die Gründe für die Inkonsistenzen sind, man kann jedenfalls nicht davon ausgehen, dass die Zahl der Covid-19 zugeordneten Sterbefälle pro Kopf der Bevölkerung in den verschiedenen Ländern auf vergleichbare Weise ermittelt wird. In einigen Ländern kann man nicht einmal einem Vergleich zwischen der ersten und zweiten Welle trauen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gunnar Jeschke

Naturwissenschaftler, in der DDR aufgewachsen, gelebt in Schwarzheide, Dresden, Wako-shi (Japan), Bonn, Mainz, Konstanz und Zürich.

Gunnar Jeschke

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden