Das retardierende Moment

Angsthasen Am Ende war es nicht einmal knapp. Eine Zweidrittelmehrheit der SPD-Mitglieder stimmt aus Angst vor der Ungewissheit für ein „Weiter so“

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Eine gehörige Ladung Angst erreicht die Partei-Zentrale
Eine gehörige Ladung Angst erreicht die Partei-Zentrale

Foto: John Macdougall/AFP/Getty Images)

Nun wird alles wieder gut. Das Land bekommt eine Regierung mit stabiler Mehrheit im Bundestag. Die SPD behält Einfluss auf wichtige Entscheidungen. Ungewissheit besteht nur noch darüber, wer jetzt Außenminister wird, aber die Person wird kaum ungeeigneter als Sigmar Gabriel sein. Wir dürfen sogar erwarten, dass die Umfrageergebnisse der SPD sich kurzfristig wieder verbessern werden. Die Regierungskoalition wird stabiler sein, als viele bisher glaubten, denn nach diesem Ergebnis des Mitgliederentscheids ist ein Koalitionsbruch auf absehbare Zeit keine Option für die SPD-Führung. Damit festigt die SPD-Basis die Macht von Angela Merkel erheblich.

Daraus folgt aber eben auch, dass gar nichts gut wird. Die Politik der Großen Koalition 2013-2017 wurde von einem ansehnlichen Teil ihrer ursprünglichen Wähler als falsch betrachtet. Der Koalitionsvertrag 2018 definiert sicherlich kein überzeugenderes Regierungsprogramm als derjenige von Ende 2013, während die politische Situation inzwischen erheblich komplizierter ist. Was immer die SPD-Führung an Lippenbekenntnissen zu einer Erneuerung der Partei vor der Mitgliederbefragung abgegeben hat: Eine inhaltliche Erneuerung würde die Tendenz des Koalitionsvertrags in Frage stellen, auf dessen Basis die SPD-Führung agieren muss. Diese Aktionen wird sie gegenüber der Öffentlichkeit rechtfertigen müssen, was schlecht dazu passt, gleichzeitig mit der eigenen Basis eine Programmatik zu vereinbaren, die eine ganz andere Richtung haben müsste.

Hinzu kommt, dass die SPD intern uneiniger ist, als die Zweidrittelmehrheit für den Koalitionsvertrag nahelegt. Unter den 66% sind Befürworter der Agenda-Politik eines Olaf Scholz genauso wie entschiedene Gegner dieser Politik, die aus Angst vor einer völligen Bedeutungslosigkeit der SPD zähneknirschend einer weiteren Großen Koalition zugestimmt haben. Letztere täuschen sich, wenn sie glauben, in den nächsten Jahren irgendeinen Einfluss auf die Richtung der SPD ausüben zu können. So, wie das Votum die Macht von Angela Merkel in der Union und gegenüber der SPD gefestigt hat, festigt das Votum auch die Macht der SPD-Parteiführung gegenüber der SPD-Basis. Es festigt die Macht derjenigen, die keine Erneuerung wollen, gegenüber denjenigen, die eine solche für notwendig halten.

Was folgt daraus innenpolitisch? Kurzfristig werden beide Parteien der Großen Koalition an Zustimmung gewinnen, was etwas auf Kosten der Grünen und der AfD und etwas stärker auf Kosten der FDP gehen dürfte. Die Hoffnung von Sahra Wagenknecht, enttäuschte Linke aus der SPD und von den Grünen zu gewinnen, wird sich als trügerisch erweisen. Diese neuen Verhältnisse dürften stabil bleiben, bis die Konjunktur kippt oder sich erneut eine Merkel-Regierung als hilflos gegenüber einem äußeren Ereignis erweist. Tritt eines von Beidem oder Beides vor Mitte der Legislaturperiode ein, dürfte es um das traditionelle Parteiensystem in Deutschland geschehen sein, so wie wir das in den letzten Jahren in vielen Nachbarländern beobachten mussten. In dieser Situation würde die Partei profitieren, die sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene überall in der Opposition ist. Von der SPD würde dann nicht mehr viel übrigbleiben. Danach wäre die Bildung einer linken Sammlungsbewegung vielleicht möglich, aber diese Sammlungsbewegung würde dann aber auch sehr weit von einer gesellschaftlichen Mehrheit entfernt sein. Zu diesem Zeitpunkt werden der Linken noch weniger Leute als jetzt Problemlösungen zutrauen.

Was folgt außenpolitisch? Kurzfristig gewinnt Deutschland an Handlungsfähigkeit und Einfluss. Gleichwohl weiß Macron, dass Deutschland die Umwälzung noch bevorsteht, die in Frankreich bereits stattgefunden hat. Die Vorstellungen Macrons von erweiterten Kompetenzen der EU in der Finanzpolitik haben in Deutschland eine solide Bevölkerungsmehrheit gegen sich und daran wird sich nichts ändern. Die Flitterwochen zwischen dem Sonnenkönig und der ewigen Kanzlerin werden kurz sein. Desweiteren ist die Verbindung zwischen gesellschaftspolitischen und ökonomischen Fragen in der EU, die Merkel anstrebt, dort nicht annähernd mehrheitsfähig, schon allein deshalb, weil das Meinungsspektrum in gesellschaftspolitischen Fragen sehr breit ist und sich in allen Teilen dieses Spektrums große Länder befinden. Der Einflussgewinn wird daher nicht nachhaltig sein. Annehmen muss man vielmehr, dass die gesellschaftspolitischen Übergriffe EU-Brüssels auf Mitgliedsländer während der kommenden Legislaturperiode auf immer stärkeren Widerstand in immer mehr Ländern treffen werden. Dieser Widerstand wird von wachsenden Bevölkerungsmehrheiten gegen diese Vorstellungen getragen.

Auch in Deutschland, wo die Gräben im Kulturkampf noch etwas weniger tief sind als anderswo, wächst solcher Widerstand nach wie vor an. Damit sind wir wieder bei der Innenpolitik. Die CDU hat auf ihrem Parteitag zu Anfang dieser Woche ihren inneren Kulturkampf um gesellschaftspolitische Vorstellungen nur im Sinne eines Waffenstillstands eingestellt, nicht im Sinne eines Friedensschlusses. Die Widersprüche bestehen nach wie vor und die Notwendigkeit für den Waffenstillstand ist mit dem heutigen Tag verschwunden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gunnar Jeschke

Naturwissenschaftler, in der DDR aufgewachsen, gelebt in Schwarzheide, Dresden, Wako-shi (Japan), Bonn, Mainz, Konstanz und Zürich.

Gunnar Jeschke

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