Das ungleichseitige Dreieck

Peking/Washington/Moskau Das Postfaktische scheint schon wieder Geschichte zu sein, zumindest in der außenpolitischen Strategie der USA.

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Donald Trump ist nicht allein zu Haus

In einem für den Politikteil der F.A.Z. ungewöhnlich tiefen Artikel, hat Thomas Gutschker mit der Einheitsmeinung deutscher Mainstream-Medien gebrochen, Donald Trump sei ein politisch ahnungsloser Tölpel und hat ihm stattdessen eine außenpolitische Strategie unterstellt. Zufall oder nicht (eher nicht)- das Link zum Artikel verschwand recht zügig von der Titelseite von F. A. Z. online. Nun bin ich für gewöhnlich kein Anhänger von Gutschkers Artikeln und auch in diesem finden sich einige der ideologisch gefärbten Ungenauigkeiten, die für den Politikteil der F. A. Z. charakteristisch sind. So stellt er als Tatsache dar, was vielleicht plausibel, aber eben doch unbewiesen ist, nämlich dass der Hackerangriff auf die demokratische Parteizentrale von der russischen Seite kam. Er stellt im Untertitel auch die absurde Behauptung auf, es gäbe heute eine weltpolitische Stabilität. Beides wird ihm natürlich in den Leserkommentaren vorgeworfen, aber insgesamt sind diese Kommentare seiner Leistung gegenüber unfair. Gutschker bricht in seinem Artikel nämlich noch mit einer weiteren postfaktischen Tradition der deutschen Medien, welche den Eindruck vermitteln, Trump folge nur seinen eigenen Ideen und Instinkten, statt sich von Leuten beraten zu lassen, die tiefer über die Fragen nachgedacht haben. Gutschker nennt speziell den Kongressabgeordneten Randy Forbes aus Virginia als einen der Architekten eines Strategiewechsels, der die von Kissinger und Nixon 1972 begründete Übereinkunft mit China aufkündigt und zur Rückendeckung eine Übereinkunft mit Russland sucht.

Dann aber scheut Gutschker wie ein Pferd, das sich vergaloppiert hat. Er analysiert nicht, ob dieser Strategiewechsel sinnvoll sein könnte, sondern erklärt ihn ohne eine solche Analyse für falsch. Auch dem Gedanken, dass hinter Trumps außenpolitischer Strategie eine Gruppe von durchaus politisch erfahrenen Leuten stehen könnte, folgt er nicht, obwohl er in der zweiten Hälfte des Artikels die Information liefert, dass der ehemals einflussreiche Republikaner und Präsidentschaftskandidat Bob Dole einer der Väter des Strategiewechsels ist. Gutschker tut das damit ab, dass Dole neuerdings als taiwanesischer Lobbyist fungiert, ohne sich die Frage zu stellen, ob Dole vielleicht zuerst auf die Idee gekommen sein könnte, dass die USA ihre Politik China gegenüber ändern müsse und sich erst dann Taiwan als Lobbyist angeboten hat.

Bei allem Respekt vor Gutschkers Leistung- es muss gründlicher mit den bisherigen Erklärungsmustern gebrochen werden, als er es getan hat. In den deutschen Medien wurde bisher fast immer auf diejenigen US-Politiker verwiesen, die Trumps außenpolitischen Strategiewechsel als gefährlich charakterisieren. Es könnte doch sein, dass diese nur in ihrem alten Denken befangen sind und es könnte auch sein, dass es unter den zahlreichen amerikanischen Denkfabriken auch solche gibt, die das Offensichtliche bemerkt haben- die bisherige Außenpolitik der USA ist gründlich gescheitert, im Nahen Osten einschließlich der Türkei, in Nordafrika, in der Ukraine, Moldawien und Georgien und eben auch in Ostasien. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass eine Fortsetzung dieser Politik in der Zukunft zu für die USA besseren Ergebnissen führen wird. Es gibt sehr wohl Grund zu der Annahme, dass es in den USA eine ganze Schule von Geostrategen gibt, die für ein Umsteuern plädiert. Diese Schule erhält 2017 Zugang zur Macht.

Putin spielt Schach, China spielt Go

Russland hat in den letzten Jahren geostrategisch weit über der eigenen wirtschaftlichen und selbst militärischen Gewichtsklasse geboxt und das erfolgreich. Begonnen hat das eigentlich schon mit dem 2008 von Saakaschwili sicher nicht ohne Rückversicherung bei den verbündeten USA begonnenen Krieg um Südossetien, der mit einem Fiasko der georgischen Streitkräfte und einem außenpolitischen Fiasko des Westens endete. Der von der EU und den USA unterstützte Regimewechsel in der Ukraine führte zur Eingliederung der Krim nach Russland in einer außenpolitisch fragwürdigen, aber brillant ohne Blutvergießen ausgeführten Aktion und zur Abspaltung eines Teils des Donbass, der eine ebenfalls brillant in Szene gesetzte Kesselschlacht gegen die ukrainische Armee und nationalistische Freischärler im August 2014 zugrunde lag, hinter der man sicher den russischen Generalstab als Planungsorgan vermuten darf. Im Jahr 2016 griff dann Russland in einen Krieg ein, in dem die USA im Ostteil Syriens zu diesem Zeitpunkt bereits Luftangriffe flogen und übernahm kampflos die Luftherrschaft dort, wo es zählte, wo nämlich die Verbündeten des Westens im Bodenkampf gegen Assad standen. Dort hat Russland soeben in Aleppo eine wichtige Schlacht gewonnen, möglicherweise die entscheidende und Russland ist weiterhin in der militärischen Position, die noch bestehenden Stellungen der Verbündeten des Westens in Syrien aus der Luft anzugreifen. Zudem ist Russland dort zu einer separaten Einigung mit einem vormaligen Verbündeten des Westens gelangt, der Türkei, die auch unter Umgehung der USA die Waffenruhe in Aleppo vermittelt hat.

Die USA, Russland wirtschaftlich und militärisch um ein Vielfaches überlegen und mit viel mehr und viel mächtigeren Verbündeten, bekommen spätestens seit August 2013 gegen Russland keinen Fuß mehr auf den Boden. Der erfolgreich in Szene gesetzte Regimewechsel in der Ukraine im Februar 2014 ist nur auf den ersten Blick eine Ausnahme. Selbst nach einer Umfrage des westlichen International Republican Institute ist die „pro-westliche“ Regierung der Ukraine heute nicht weniger unbeliebt als die Regierung Janukowitsch Ende 2013, die ukrainischen Institutionen haben weiter an Vertrauen verloren und die Popularität der vom Westen favorisierten Politiker liegt noch unter derjenigen Janukowitschs am Ende seiner Macht.

Die Schlussfolgerung ist unausweichlich: Wer mit weitaus mehr Mitteln und Verbündeten den Kürzeren zieht, folgt einer falschen Strategie. Die innere Uneinigkeit der USA und des Westens erklärt das Fiasko nur teilweise. Sie ist eher eine Folge der gescheiterten Strategie als die Ursache des Scheiterns. Putin ist ein besserer Schachspieler, als Cheney es war oder Obama es ist. Aber er spielt doch nur Schach. Das Brett ist recht überschaubar. Überlegen ist, wer ein paar mehr Züge vorausberechnen kann.

China spielt Go. Kein US-Stratege kennt die folgende Literaturstelle, aber diejenigen hinter Trump könnten genau das begriffen haben, was Adolf Muschg in seinem Roman „Im Sommer des Hasen“ beschreibt. Im Go gehe es um den Besitz von Terrain. „Er demonstrierte, wie Weiß alle Kräfte daran vergab, eine schwarze Gruppe zu fangen, während Schwarz unterdessen freies Terrain absteckte und darauf solchen Einfluss gewann, dass der Weiße schließlich doch herbeieilend… sein Schicksal besiegelte, alles nur, weil er andernorts scharf auf den Mann gegangen war und einen kurzfristigen Vorteil mit allen Mitteln verfolgt hatte.“

Der Punkt ist die langfristige Strategie. Man glaubt bei der Beschreibung fast, den USA auf der einen Seite und China und Russland auf der anderen zuzusehen, wobei die USA sich im kurzfristigen Kampf mit Russland verschleißen das gar keine strategische Gefahr ist. Russland ist genau das, was Obama darin ausgemacht hat: eine Regionalmacht. Man fragt sich nur, wieso Obama, nachdem er das erkannt hatte, die Kräfte seiner Außen- und Bündnispolitik in einen Kampf mit dieser Regionalmacht investiert hat, während in China eine Weltmacht heranwächst, die aller Voraussicht nach die USA in absehbarer Zeit wirtschaftlich überholen und ihr technologisch ebenbürtig sein wird. Das ist völlig unlogisch.

An dieser Stelle sollte ich etwas erklären. Ich würde lieber in einer Welt leben, in der die USA sich mit Russland kabbeln als mit China. Ersteres ist weniger gefährlich und wirtschaftlich weniger schädlich. Ich analysiere hier nur. Und aus der Sicht der USA ist es eben strategisch sinnvoller, die Kräfte auf China zu konzentrieren, wenn sie eine Weltmacht bleiben wollen, als sich in einer Reihe scheiternder Regimewechsel und Scharmützel mit Russland zu verausgaben.

Das von Trump verkündete Ende der Regimewechselpolitik war lange überfällig. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass in Zukunft funktionieren wird, was seit 15 Jahren mit verschiedenen Mitteln versucht wurde und immer wieder gescheitert ist.

Richtig ist auch die Erkenntnis, dass die USA nicht die diplomatische, wirtschaftliche und militärische Stärke haben, sich gleichzeitig mit Russland und China anzulegen. Richtig ist ferner, dass die USA im Nahen Osten ein System von Verbündeten unterhalten, die einander spinnefeind sind und dass sie allein deshalb in einen Abnutzungskrieg geraten, wenn sie glauben, einen Nahostkrieg führen zu müssen. Die Situation im Nahen Osten muss aus Sicht der USA bereinigt werden, um Kräfte für Ostasien freizusetzen. Bei dieser Bereinigung kann Russland sehr nützlich sein, um die Sicherheit Israels zu garantieren, wenn der US-amerikanische Einfluss schwindet. Russisch ist nach Hebräisch die zweitwichtigste Sprache in Israel und Israeli brauchen kein Visum für Russland, für die USA hingegen schon.

Kurz gesagt, muss das Dreieck Peking- Washington- Moskau rearrangiert werden. Die 1972 in Szene gesetzte Verkürzung der Seite Peking - Washington muss durch eine Verlängerung dieser Seite ersetzt werden und die Vernunft gebietet, dafür die Seite Washington - Moskau zu verkürzen. Das ist eine Frage des Kräftegleichgewichts. Anderenfalls riskieren die USA, sich wie jetzt in Syrien einem Russland gegenüber zu sehen, das stillschweigend von China gedeckt wird, ohne dass sich China offen mit den USA anlegt. In dieser Konstellation würden die USA auch in der Zukunft keinen Stich gewinnen.

Das Ende des Anti-Putinismus und was daraus folgt

Vladimir Putin ist eine unangenehme Erscheinung (das trifft nicht minder auf die Herrscher Saudi-Arabiens oder General Sisi in Ägypten zu). Es gibt viele intelligente Leute in Russland, die Putin kritisch sehen. Dennoch ist es töricht, Putin zu dämonisieren und einen Interessenausgleich mit ihm auszuschließen, weil der „unmoralisch“ ist. Seit wann macht der Westen eine moralische Außenpolitik? Keine nüchterne Betrachtung gibt eine moralisch überlegene Position des Westens in Syrien oder der Ukraine her. Der Westen folgt wie Russland und wie jede Macht in der Geschichte eigenen Interessen. Aufgeklärte Politik ist es, die eigenen Interessen so weit wie möglich durchzusetzen, ohne den Interessen anderer unnötig zu schaden. Eine solche Politik verfolgt der Westen gerade nicht, weder gegenüber Russland noch in Syrien.

Nun erwarte ich von Trump nicht, dass er in diesem Sinne aufgeklärte Politik betreibt. Trumps Instinkt ist, unbedingt gewinnen zu wollen und das kann durchaus bedeuten, dem Gegner mehr als nötig zu schaden. Was allerdings von Trump zu erwarten ist: Er ist nicht in der überkommenen Ideologie des US-amerikanischen Establishments befangen. Er lebt nicht wie McCain noch immer in den Zeiten des Vietnam-Kriegs. Trump analysiert im Gegensatz zu Clinton und Obama die Welt, so wie sie jetzt ist und ohne sich selbst über Fragen der Moral zu belügen.

Ob das die Welt sicherer oder unsicherer macht, wird sich zeigen müssen. Im Gegensatz zur Ansicht deutscher Journalisten ist es aber so, dass Trump die Abkehr von einem postfaktischen Denken in der Außenpolitik verkörpert. Wofür die westlichen Medien und Politiker blind sind: Trump kommuniziert so, dass es seinen politischen Spielraum erweitert, ganz unabhängig davon, was er wirklich denkt. Das Erklärungsmuster von Scott Adams trifft zu: Donald Trump ist ein meisterhafter Überzeuger (master persuader). Wer zu einem Kind in kindlichen Begriffen spricht, ist nicht notwendigerweise selbst kindlich, sondern möglicherweise nur ein guter Kommunikator. Das sagt nichts über die charakterliche Eignung Trumps für das Amt aus oder über die Richtigkeit seiner politischen Vorstellungen. Es sagt aber sehr wohl etwas über seine Erfolgsaussichten aus, diese Vorstellungen umzusetzen.

Europäische Politiker und deutsche Journalisten scheinen noch immer in der Illusion zu leben, dass Trump seine Politik nicht umsetzen kann, obwohl sie doch mit eigenen Augen gesehen haben, wie er gegen jede Vorhersage zuerst die republikanischen Vorwahlen und dann die Präsidentschaftswahlen gewonnen hat. Solches Denken und Schreiben nenne ich postfaktisch.

Insbesondere was die Russland-Politik angeht, droht Deutschland in eine Isolation zu geraten. Die Wahrscheinlichkeit, dass Frankreich nach den Wahlen einen Präsidenten oder eine Präsidentin haben wird, der oder die eine Normalisierung der Beziehungen zu Russland anstrebt, ist überwältigend. Andere europäische Staaten wissen, dass die Sanktions- und Konfrontationspolitik Russland gegenüber gescheitert ist, aber weiterhin wirtschaftliche Opfer erfordert. Alles lässt erwarten, dass die Meinung in der EU über die Russlandpolitik kippt, zumal die instinktiv antirussischen Länder östlich von Deutschland auch wirtschaftlich unter den Sanktionen leiden. Sie wären nur zu froh, wenn diese trotz ihres vehementen Protests beendet würden. In dieser Situation ist es wenig sinnvoll, noch weiter auf die Palme hinauf zu klettern.

Töricht ist es aber vor allem, einen Mann weiter wie einen Idioten zu behandeln und zu beschreiben, der demnächst US-Präsident sein wird. Selbst wenn er tatsächlich ein Idiot wäre (was er nicht ist, er hat nur andere Ansichten, die wir geschmacklos finden, die aber im geschichtlichen Vergleich nicht sehr ungewöhnlich sind), müsste man sich doch mit ihm arrangieren. Das wird die deutsche Politik am Ende auch tun, weil die Machtverhältnisse es gebieten, aber unter einem unnötig großen Gesichtsverlust, der einen weiteren Vertrauensverlust in die etablierten Parteien nach sich ziehen wird.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gunnar Jeschke

Naturwissenschaftler, in der DDR aufgewachsen, gelebt in Schwarzheide, Dresden, Wako-shi (Japan), Bonn, Mainz, Konstanz und Zürich.

Gunnar Jeschke

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