Der Fall Waadt

Covid-19 Im Schweizer Kanton Waadt wurden neue Einschränkungen erlassen – auf der Basis von höchst dubiosen Argumenten.

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Am vergangenen Dienstag, dem 15. September, war machte das Schweizer Boulevardblatt „Blick“ mit einem alarmistischen Beitrag über die Covid-19-Situation im Kanton Waadt auf. Die Grundaussage war: »Regierungsrätin Ruiz warnt vor Kollaps des Gesundheitssystems: „Unsere Spitäler sind quasi voll.“« Von der allgemeinen journalistischen Qualität des Blattes sehen wir einmal ab - Frau Ruiz ist Staatsrätin, nicht Regierungsrätin. Stattdessen will ich hier auf die Argumentation von Rebecca Ruiz auf der Medienkonferenz der Waadter Kantonsregierung am 14. September eingehen, auf die dieser Artikel zurückgeht. Diese Argumentation wirft nämlich ein Schlaglicht auf die Panikmache durch (un)verantwortliche Politiker(innen) und ihre Bedeutung geht daher weit über den Schweizer Kanton Waadt hinaus.

Was ist geschehen? Im Kanton Waadt ist die Zahl positiver SARS-Cov2-PCR-Tests in den letzten Wochen stark angestiegen, ähnlich wie in einigen westeuropäischen Ländern. Wer sich näher mit den Daten beschäftigt hat, weiß, dass das keinerlei Aussage über den Epidemieverlauf zulässt, weil diese Testdaten je nach Land und Region seit Monaten oder mindestens seit Wochen keinerlei Korrelation mehr mit den Covid-19 zugeschriebenen Todesfällen aufweisen. Weil das inzwischen sehr viele Leute wissen, weil Wissenschaftler und Mediziner vermehrt darauf hinweisen und weil die Diskussion inzwischen auch in den Mainstream-Medien angekommen ist, mussten weitere Argumente her, um die gewollte Verschärfung von Zwangsmaßnahmen gegenüber der Allgemeinheit zu begründen. Mit den Sterbefällen ließ sich nach Lage der Dinge schlecht argumentieren, obwohl Frau Ruiz auch das versuchte – ich komme darauf zurück. Das Hauptargument war daher ein Anstieg der Zahl von Covid-19-Patienten in Waadtländer Spitälern.

Covid-19-Patienten in Waadtländer Spitälern

Die tatsächlich vom Kanton Waadt gemeldeten Daten zu Hospitalisierungen sind in Abbildung 1 dargestellt. Die von Ruiz genannte Zahl von 33 Hospitalisierungen zum Zeitpunkt der Medienkonferenz ist zutreffend, aber irreführend. Ausweislich der offiziellen statistischen Daten gab es im Kanton Waadt 2018 (letzte verfügbare Zahl) 2268 und in der Genferseeregion, die in diesen Statistiken bewusst auch zusammengefasst aufgeführt wird, 4608 Krankenhausbetten (Akutpflege und Geburtshaus). Die 33 Covid-19-Patienten entsprechen somit etwa 1,3% der verfügbaren Bettenkapazität im Kanton Waadt – ohne dass man eine mögliche Zusammenarbeit mit Nachbarkantonen in Betracht zieht. Hier von einem drohenden Kollaps zu reden ist absurd, übrigens auch dann, wenn man die gegenwärtige Situation mit der im März und April vergleicht, in der es nicht zu einem Kollaps gekommen ist.

Desweiteren bezeichnete Ruiz es als besorgniserregend, dass der Anteil von Personen über 65 Jahren an den Covid-19-Krankenhauspatienten zunehme. Der Kanton Waadt meldet auch die Zahl der Covid-19-Patienten auf Intensivstationen. Wie ebenfalls aus Abbildung 1 ersichtlich ist, ist diese Zahl in den letzten Wochen nicht gestiegen, sondern tendenziell etwas gesunken. Die Daten nach dem 14. September bestätigen diesen Trend. Der Kanton Waadt meldet seine Daten später und unregelmäßiger als andere Kantone, so dass die letzte bis heute (20. September) verfügbare Information vom 16. September stammt. An diesem Tag gab es im Kanton noch 3 Intensivpatienten mit positivem Covid-19-Test. Der Durchschnitt für die Periode vom 15. August bis 14. September hatte etwa 4,5 betragen.

Argumentation mit den Sterbefällen

Ferner behauptete Rebecca Ruiz, dass es im letzten Monat in Altersheimen (Blick) oder seit dem 17. August in Alters- und Pflegeheimen (NZZ) 9 Todesfälle im Zusammenhang mit Covid-19 gegeben habe. Es fällt auf, dass das (nach der genaueren NZZ-Version) die Gesamtzahl aller vom Kanton Waadt seit dem 17. August gemeldeten Covid-19 zugeordneten Sterbefälle ebenfalls 9 beträgt. Wenn sie alle in Alters- und Pflegeheimen aufgetreten sind, erschließt sich mir nicht, wie man dieses Problem durch Einschränkungen des öffentlichen Lebens lösen will. Die Ursache sind dann entweder mangelnde Schutzkonzepte in den Heimen oder aber die Zahl bedeutet nichts, weil diese Personen auch sonst zu sehr ähnlichen Zeitpunkten gestorben wären. Auf Letzteres deutet der Zusatz in der NZZ hin „wobei die Patienten oftmals unter verschiedenen Krankheiten gelitten hatten“.

Auffälligkeiten in den Hospitalisierungsdaten

Für den Monat Juli hatte ich festgestellt, dass das Schweizer Bundesamt für Gesundheit (BAG) in den täglichen Situationsberichten 22 Todesfälle im Zusammenhang mit Covid-19 gemeldet hatte, in der bereinigten Statistik aber nur 14. Derart große und systematische Abweichungen treten bei den Sterbefällen inzwischen nicht mehr auf. Damals und bis Mitte August gab es solche Abweichungen nicht bei der Zahl der Hospitalisierungen. Das hat sich zuletzt geändert. In den letzten sieben Tagen, für die die Daten vorhanden sind, vermelden die täglichen Situationsberichte 92, die bereinigten Daten aber nur 70 Hospitalisierungen. Diese Daten sind nicht Kantonen zuzuordnen, aber dass sich hier zuletzt eine Lücke auftut, die es vorher nicht gab, ist bei allen vorher bereits beobachteten Unregelmäßigkeiten in den Covid-19-Daten verdächtig.

Politische Implikationen

In politischen Fragen gibt es immer Rum für subjektive Einschätzungen und demzufolge auch einen gewissen Entscheidungsspielraum, der allerdings durch Gesetze begrenzt wird. Selbst dort, wo er irrtümlich überschritten wird, sollte man Augenmaß walten lassen, wenn man Politiker belangt, weil man sonst keine mehr findet. Die Sache sieht freilich anders aus, wenn der Spielraum nicht irrtümlich, sondern in voller Absicht überschritten wird.

Das scheint mir hier – und bei vielen anderen mit Covid-19 begründeten Maßnahmen der Fall zu sein. Es ist ein Muster erkennbar, bei dem in der Kommunikation mit der Öffentlichkeit Tatsachen willkürlich und bewusst verzerrt werden, um Probleme vorzutäuschen, die so nicht existieren. Dann werden Maßnahmen eingeführt, die selbst dann nicht zur Lösung der Probleme geeignet wären, wenn es diese gäbe. Damit wird eine völlig andere Agenda verfolgt, die nicht offengelegt wird, für die die Politiker kein Mandat haben. Die Maßnahmen selbst sind in der Regel schwere Eingriffe in Freiheitsrechte und Rechte wirtschaftlicher Betätigung, für die es keine rechtliche Grundlage gibt.

Ein solcher Fall scheint mir hier vorzuliegen. Zumindest gibt es einen hinreichenden Anfangsverdacht, so dass die Sache untersucht werden sollte. Gegebenenfalls sind Rebecca Ruiz und andere Beteiligte dann zur Verantwortung zu ziehen, auch materiell. Es ist an der Zeit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit wieder Geltung zu verschaffen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gunnar Jeschke

Naturwissenschaftler, in der DDR aufgewachsen, gelebt in Schwarzheide, Dresden, Wako-shi (Japan), Bonn, Mainz, Konstanz und Zürich.

Gunnar Jeschke

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