Die Ära Merkel ist vorbei

Optionslos Angela Merkel hat das Vertrauen ihrer politischen Gegner verloren. Und damit die Grundlage ihrer Art, Politik zu betreiben.

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Nichts geht mehr. Die FDP schließt Jamaika aus. Die SPD schließt eine Große Koalition aus. Der Bundespräsident schließt Neuwahlen aus. Die Einzige, die eine Minderheitsregierung führen könnte, schließt diese so gut wie aus. Immerhin will sie nicht "Nie" sagen. Damit ist sie die einzige, die auch nur angedeutet hat, sie könne sich vorstellen, wieder Bewegung in die Sache zu bringen. Und irgendjemand wird sich nach Lage der Dinge ja wohl bewegen müssen.

Natürlich kann formell die gegenwärtige Regierung geschäftsführend im Amt bleiben. Das aber würde innen- wie außenpolitisch Stillstand bedeuten und damit eine noch kompliziertere Situation als eine Minderheitsregierung. Eine Minderheitsregierung wiederum, zu der Angela Merkel für alle ersichtlich dadurch gezwungen würde, dass unter ihrer Führung keine Regierungsmehrheit mehr gefunden werden kann, wäre für ihre Stellung ebenfalls ein Desaster. Zudem bliebe alles, was schiefgeht, an der Union und nur an der Union hängen. Angela Merkel würde so bald zur Belastung für ihre eigene Partei werden. Zwar stimmt es, dass niemand in der Union auch nur annährend ihr Format hat. Jedoch, bildlich gesprochen: Um Julius Cäsar aus dem Weg zu räumen, braucht man niemanden vom Formate eines Julius Cäsar.

Dass der Bundespräsident seine eigene Partei oder die FDP gegen deren Interessen in eine Regierungskoalition zwingen kann, ist unwahrscheinlich. Gesteuerte Medien und suggestive Umfragen werden sich zwar alle Mühe geben, ihn dabei zu unterstützen. Nur wissen die Politiker der SPD und FDP, dass die Medien wenig Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft haben und dass Umfrageergebnisse heutzutage wenig stabil sind. Das gilt besonders in diesem Fall. Sobald eine neue Entwicklung eintritt, zum Beispiel die Bekanntgabe eines neuen Wahltermins, sind alle Umfrageergebnisse und Stimmungen von vorher bedeutungslos. Wir haben das jetzt so oft gesehen. Es wundert mich, dass die Journalisten dennoch zu glauben scheinen, der Quark könne Sahne werden, den sie da schlagen.

Man kann die Dinge drehen wie man will. Wenn kein dramatisches äußeres Ereignis eine sofortige Regierungsbildung dringend nötig erscheinen lässt, wird es auf Neuwahlen hinauslaufen oder auf eine unfallartige Minderheitsregierung. Den Unfall kann entweder der Bundespräsident erzwingen oder es können dies Abgeordnete von anderen Parteien als der Union tun. Irgendwann wird sich Frank-Walter Steinmeier bequemen müssen, dem Bundestag eine Kandidatin oder einen Kandidaten zur Kanzlerwahl vorzuschlagen. Wenn Frau Merkel nicht von sich aus verzichtet, wird er sie vorschlagen müssen. Innerhalb von zwei Wochen wird sie dann möglicherweise mit einer absoluten Mehrheit vom Bundestag gewählt („Kanzlermehrheit“). Das ließe sich arrangieren, ohne das die Verantwortung dafür lokalisierbar sein würde: Die Wahl ist geheim. Oder sie würde mit einer relativen Mehrheit gewählt, weil die Union ja wohl für sie stimmen muss. Im Falle einer Kanzlermehrheit hätte sie noch keine Regierungsmehrheit, wäre aber auch nicht mehr durch den Bundestag abwählbar, ohne dass dieser eine neue Person mit Mehrheit zum Kanzler bestimmt („konstruktives Misstrauensvotum“). Dem Bundespräsidenten wären in diesem Fall die Hände gebunden. Im Fall einer nur relativen Mehrheit könnte der Bundespräsident Frau Merkel als Kanzlerin einer Minderheitsregierung einsetzen. Er könnte aber andererseits auch den Bundestag auflösen und Neuwahlen ansetzen, je nach eigenem Gusto. Ich würde dann nicht in seiner Haut stecken wollen, mich aber an seiner Stelle für Neuwahlen entscheiden. Frau Merkel war im September vielleicht noch eine plausible Kanzlerin für eine Minderheitsregierung. Jetzt ist sie es nicht mehr.

Was bei Neuwahlen geschehen wird, wissen wir nicht. Journalisten, die glauben, das aus gegenwärtigen Umfragen vorhersagen zu können, sind entweder naiv oder täuschen die Öffentlichkeit absichtlich. Eines liegt ja nun offen auf der Hand und wird über kurz oder lang auch der Mehrheit der Wähler dämmern. Es gibt verdammt viele Politiker in Deutschland, die eines um keinen Preis wollen: In eine Regierung mit Angela Merkel eintreten. Weil auf der einen Seite so viele stehen und auf der anderen Seite nur eine Person, wird das wohl nicht an denen auf der ersten Seite liegen. Es liegt an Angela Merkel.

Eigentlich wissen die Journalisten das ja auch. Es gehört zur Folklore der vergangenen zwölf Jahre der Berliner Republik, dass ein kleinerer Koalitionspartner von Frau Merkel das gleiche Risiko eingeht wie ein Kopulationspartner einer Schwarzen Witwe. Im schlimmsten Falle wird er im Anschluss an das Einvernehmen gefressen. Die Strategie von Angela Merkel ist natürlich subtiler als diejenige einer Spinne. Sie vermeidet so lange jegliche Sachauseinandersetzung und eigene Vorschläge, bis sich die anderen Parteien hoffnungslos ineinander verhakt haben, und von denen gibt es durch das Vorhandensein der CSU immer mindestens zwei. Dann setzt sie den eigenen Willen in der Form eines Kompromissvorschlags durch.

Diese Masche kennen die SPD und die FDP zur Genüge- aus leidvoller Erfahrung. Die scharfen verbalen Angriffe von Martin Schulz gegen Angela Merkel im Wahlkampf waren kein Theater. Sie waren ernst gemeint. Die beiden kommen nicht zueinander, nicht mit Merkel im Führersitz und im Beifahrersitz würde sie ohnehin nicht Platz nehmen. In den Jamaika-Verhandlungen hat sich die gleiche Situation mit Christian Lindner wiederholt. Er hat ganz offen gesagt, dass es genau dieses Verhalten von Angela Merkel war, das zum Bruch geführt hat. Die Journalisten hätten nur zuhören müssen. Wahrscheinlich haben sie es sogar begriffen und Ausraster, wie derjenige von Marietta Slomka im gestrigen heute-journal, sind nur Ausdruck einer kognitiven Dissonanz.

Liebe Freunde in den Medien: Eure Heilige Kanzlerin ist das Problem. Es wird keine Lösung geben, solange sie bleibt.

Nun bedeutet das natürlich noch lange nicht, dass sie auch gehen wird. Sie kann durchaus noch all die Jahre bis zum nächsten regulären Bundestagswahltermin Kanzlerin bleiben- wenn sie Pech hat. Pech wird es deshalb sein, weil sie dann schon als Kanzlerin einer Nach-Merkel-Ära agieren und die Erinnerung an eine bisher erfolgreiche Politikerkarriere trüben wird.

Es mag paradox klingen, dass Angela Merkel Kanzlerin in einer Nach-Merkel-Ära sein kann. Allein, die Würfel sind bereits gefallen, egal wozu sie sich entscheidet. Eine Bundeskanzlerin Merkel, die nach innen oder außen auch nur annähernd den Einfluss hat wie die frühere Bundeskanzlerin Merkel, wird es definitiv nicht mehr geben. Es mag möglich sein, den durchschnittlichen Wähler noch eine Weile propagandistisch zu täuschen. Aber das Machtspiel findet unter politisch gewieften Leuten statt und diese haben seit September genug gesehen. Merkels Masche hat nach der Bundestagswahl nicht mehr funktioniert und sie wird nie wieder funktionieren. Mit Koalitionspartnern nicht und international nicht. Und sie hat keine andere.

Warum sind dann Horst Seehofer und die Grünen so sch…freundlich zu ihr? Sie haben keine andere Machtoption, Seehofer gar nicht und die Grünen auf absehbare Zeit nicht. Die CSU steht im Begriff, der größte Kollateralschaden von Merkels Sturheit zu werden. Nicht, dass mir das leidtäte.

Angela Merkel war ein politisches Phänomen. An ihr blieb keine Kritik hängen, so dass US-Botschaftskreise in Berlin sie als Teflon-Merkel bezeichneten. Das galt weitgehend selbst in der Flüchtlingskrise, obwohl die Bundestagswahl im September dann zeigte, dass die veröffentliche Meinung und die Ergebnisse der Umfragen nicht der tatsächlichen Meinung der Wähler entsprachen. Vor allem aber setzte Angela Merkel über Jahre ihren politischen Willen zumeist durch, ohne auf ihn zu pochen. Das gelang ihr, weil ihre sachliche Vernunft und ihre Kompromissvorschläge in verfahrenen Situationen anderen Politikern oft hilfreich erschienen, bis in die Reihen ihrer Gegner hinein.

Es dauerte lange, bis diese weniger kühlen und weniger intelligenten Gegenspieler begriffen, dass Angela Merkel sie an Fäden zog wie Marionetten. In der vergangenen Legislaturperiode gelang es zum Beispiel Horst Seehofer, diesem Spiel zu entkommen und sich gegen Merkel durchzusetzen. Er tat es gegen ihre sachliche Vernunft und so bekamen wird die Maut. Vor einem Jahr gelang es Jens Spahn, der selbst in mancher Hinsicht naiv ist und sicherlich nicht Merkels Statur hat, sich auf dem Bundesparteitag der CDU mehrfach gegen sie durchzusetzen. Diese Ereignisse wurden in der SPD wahrgenommen, nicht zuletzt von Martin Schulz, der glücklos ist, aber alles andere als naiv. Diese Ereignisse wurden auch in der FDP wahrgenommen. Die Linke und die AfD scheiden als mögliche Partner Merkels aus. Was immer passiert, es wird in diesem Lande keine politische Mehrheit mehr geben, die sich mit Merkels Politikstil verträgt.

Das weiß auch Angela Merkel selbst, mindestens unterbewusst. Genau deshalb will sie eine Minderheitsregierung nicht völlig ausschließen. Andere sollten das für sie tun, auch in ihrem Interesse.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gunnar Jeschke

Naturwissenschaftler, in der DDR aufgewachsen, gelebt in Schwarzheide, Dresden, Wako-shi (Japan), Bonn, Mainz, Konstanz und Zürich.

Gunnar Jeschke

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