Die unberechenbaren Wahlen

KIew In sechs Wochen soll in der Ukraine ein neues Parlament gewählt werden. Niemand kann derzeit vorhersagen, wie es zusammengesetzt sein wird.

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Die Vorgeschichte

Das derzeitige Parlament (Werchnowa Rada) der Ukraine ist am 28. Oktober 2012 nach einem kombinierten Verhältnis- und Mehrheitssystem gewählt worden. Dabei wurde die Hälfte der Sitze proportional zu den Wählerstimmen für die jeweilige Partei verteilt, während die andere Hälfte von den Kandidaten besetzt wurde, die in einem Wahlbezirk die meisten Stimmen auf sich vereint hatten. Dieses System der Sitzverteilung war unter Janukowitsch Ende 2011 eingeführt worden. Tatsächlich gewann seine Partei der Regionen (PoR) die meisten Stimmbezirke und hatte zusammen mit der Kommunistischen Partei der Ukraine (CPU) ein solide Mehrheit in der Werchnowa Rada. Während der Maidan-Proteste gab es von der Oppositionsseite her eine starke Propaganda gegen diese Art der „undemokratischen“ Sitzverteilung, die objektiv gesehen allerdings ziemlich in der Mitte der Sitzverteilungssyteme in repräsentativen Demokratien liegt. Heute, mehr als ein halbes Jahr nach dem erfolgreichen Putsch der Maidan-Kräfte gilt für die kommende Parlamentswahl immer noch das gleiche System der Sitzverteilung.

Nach einer Deeskalation am Wochenende vom 15./16. Februar und Gesprächen von Klitschko und Jazenjuk mit Merkel in Berlin am 17. Februar, kam es am 18. Februar nach Aufrufen von Dmitry Yarosh (Rechter Sektor) und der Volksunion des Maidan unter Jazenjuk und Klitschko zu einem Marsch von etwa 20'000 Maidan-Demonstranten auf die Werchnowa Rada. Dieser Marsch wurde von bewaffneten Kräften des Rechten Sektors und der Maidan-Selbsverteidigungskräfte unter Andri Parubi begleitet. Die Demonstranten durchbrachen Polizeisperren, wurden aber vor dem Parlament aufgehalten. Nach Kämpfen mit mehreren Toten und nach bis heute unaufgeklärten Scharfschützenattacken auf Polizisten und Demonstranten aus dem gleichen, von Parubi kontrollierten Gebäude, kam es am 21. Februar zu einer Übereinkunft zwischen Jazenjuk, Klitschko und dem Führer der Swoboda, Oleh Tjanibok, auf der einen Seite und Janukowitsch auf der anderen Seite. Diese Vereinbarung wurde von Frank-Walter Steinmeier, dem französischen Außenminister Fabius und dem polnischen Außenminister Sikorski als Zeugen unterzeichnet. Bestandteile der Übereinkunft waren unter anderem neue Wahlgesetze und Präsidentschaftswahlen bis spätestens Dezember 2014. Am Abend des gleichen Tages lehnte der Führer des Rechten Sektors, Dmitry Yarosh, die Übereinkunft ab. Er stellte sich hinter die Forderung des Maidan-Aktivisten Wolodymyr Parasiuk, Janukowitsch müsse bis 10 Uhr morgens am 22. Februar zurückgetreten sein, anderenfalls werde es einen bewaffneten Umsturz geben. In der Nacht verließ Janukowitsch Kiew. Die Sommerresidenz des pro-russischen Politiker Wiktor Medwetschuk ging in Flammen auf.

Am 22. Februar wurde das Parlament von Demonstranten, bewaffneten Kräften des Rechten Sektors und der Selbstverteidigungskräfte des Maidan umstellt. Abgeordnete, die das Parlament betreten wollten, wurden geschlagen, in einem Fall vor laufender Kamera. Zuvor hatte es Drohungen gegen Abgeordnete und deren Familien gegeben. Unter diesem Druck setzte die Werchnowa Rada verfassungswidrig Präsident Janukowitsch ab. Am 24. Februar entließ das Parlament die fünf Richter des Verfassungsgerichts, die es vor dem Putsch selbst auf neun Jahre ernannt hatte, ohne neue Richter zu bestimmen. Damit waren nur 10 Richter übrig, so dass das Verfassungsgericht das erforderliche Quorum von 12 Richtern nicht mehr erreichte und keine Beschlüsse fassen konnte. Erst am 12. März wurden neue Richter ernannt, um eine Entscheidung des Verfassungsgerichts gegen das Krim-Referendum zu ermöglichen.

In der Folge unterstützte die Werchnowa Rada einen Teil der Gesetzesvorlagen der Jazenjuk-Regierung, andere wiederum nicht. Es gab Raufereien im Parlament und Ausschlüsse oder Auszüge der Oppositionsfraktionen bei bestimmten Debatten. Nach einem zwischenzeitlichen Rücktritt von Jazenjuk am 24. Juli, eine Woche nach dem Abschuss von Flug MH17, kam es am 31. Juli zu einer Vertrauensabstimmung über Jazenjuk. Er wurde wieder eingesetzt, weil nur 16 Abgeordnete der Werchnowa Rada gegen ihn stimmten, wie man in westlichen Medien erfuhr und auf Wikipedia nachlesen kann. Weniger publiziert wurde, dass von den 450 Abgeordneten nur 309 an der Sitzung teilnahmen und von diesen wiederum 184 nicht an der Abstimmung über Jazenjuk. Es gab zwei Stimmenthaltungen und 109 Stimmen (24,2% aller Abgeordneten) für Jazenjuk (Ukrinform).

Am 25. August löste Präsident Poroschenko die Werchnowa Rada auf und setzte Neuwahlen für den 26. Oktober an. Der formelle Grund war eine Aufkündigung der Regierungskoalition durch Klitschkos UDAR und Tjaniboks Swoboda im Zusammenhang mit dem zwischenzeitlichen Rücktritt Jazenjuks. Die Pressemitteilung Poroschenkos allerdings gibt als tatsächliche Gründe die Unterstützung eines „diktatorischen Vorgehens“ von Janukowitsch durch dieses Parlament an, sowie die Existenz einer „fünften Kolonne“ unter den Abgeordneten. Das erste Argument erscheint selbstwidersprüchlich. Eine vom Parlament unterstützte Politik eines Präsidenten ist eben durch diese Unterstützung nicht diktatorisch. Das Argument der „fünften Kolonne“ tauchte erstmals am 2. August auf, als die Werchnowa Rada es ablehnte, die „Donezker Volksrepublik“ und „Luhansker Volksrepublik“ offiziell als terroristische Organisationen zu bezeichnen. Poroschenko hatte damals gesagt, mit einem solchen Parlament könne er nicht arbeiten und vorgezogene Neuwahlen angekündigt. Das allerdings erweckt nun den Anschein diktatorischen Vorgehens. Unabhängig davon ist meine eigene Meinung jedoch, dass das jetzige Parlament vollständig diskreditiert ist und tatsächlich ersetzt werden muss, um die politische Situation zu stabilisieren. Ob letzteres unter den gegenwärtigen Bedingungen gelingen kann, untersuche ich im Folgenden.

Die Neuordnung der politischen Landschaft vor den Wahlen

Seit dem 28. August 2014 ist der Wahlkampf für die Parlamentswahl erlaubt. Am morgigen Montag, dem 15. September läuft die Frist ab, zu der alle Parteien Kongresse abgehalten und Kandidaten bestimmt haben müssen. Diese kurze Vorbereitungszeit nach Ankündigung der Neuwahlen hat zu einer rasanten Neuordnung der politischen Landschaft geführt, welche Voraussagen über den Ausgang erschwert. Zuvor hatten die Krimkrise, die drängenden Probleme des Bürgerkriegs im Donbass und die Lage der Staatsfinanzen am Rande des Kollapses diese eigentlich seit März fällige Neuordnung blockiert. Obwohl all diese Probleme weiter bestehen, musste die Ankündigung von Neuwahlen zu einer Änderung der Prioritäten führen, weil damit die Machtfrage gestellt wird.

Das vielleicht Erstaunlichste an den erheblichen Umwälzungen der letzten Tage sind die extrem zurückhaltenden und knappen Nachrichten darüber in westlichen Medien. Ein Artikel der Washinton Post vom 6. September ist bereits völlig veraltet. Auch die Kyiv Post berichtet sehr sparsam und ohne Kommentar oder Analyse. Niemand scheint sich hervorwagen zu wollen, mit einer Ausnahme. Der Journalist Pawel Wujez von Glavcom hat sich in der vergangenen Woche mit drei Hintergrund-Artikeln über die neuen Parteien von Arseni Jazenjuk, Wiktor Medwetschuk und Sergei Tihipko sowie einem Interview mit einem Soziologen über Meinungsumfragen hervorgetan. Meine folgende Darstellung greift darüber hinaus auf andere Nachrichten der letzten neun Monate und auf Internet-Recherchen zurück, ist aber auch von der Information aus Wujez' Artikeln beeinflusst. Dort wo ich im Folgenden auf Kommentare oder Analysen von Wujez zurückgreife, ist das gekennzeichnet. Zunächst analysiere ich die neuen Machtblöcke in der Reihenfolge ihrer gegenwärtigen politischen Bedeutung, die nicht notwendigerweise mit ihren Wahlchancen übereinstimmen muss.

Block Poroschenko

Personal:

Die dominante Figur ist natürlich Poroschenko selbst. Parteivorsitzender ist der Westukrainer Juri Luzenko (Listenplatz 2), eine der aktiven Figuren der Orangenen Revolution 2004 und des Euromaidan. Luzenko war Innenminister unter Premierministerin Timoschenko und, auf Bitte des damaligen Präsidenten Juschtschenko, im Kabinett Janukowitsch 2006-2009. Der Spitzenkandidat ist Witali Klitschko, der allerdings auch nach der Wahl Bürgermeister von Kiew bleiben will. Der gegenwärtige Vizepremier für regionale Fragen, Volodymyr Groysman, der auch mit der Untersuchung des MH17-Abschusses betraut ist und vom 24.-31. Juli kurzzeitig formell Premierminister war nimmt Listenplatz 4 ein. Er könnte der neue Premierminister werden.

Als weitere prominente Namen wurden gestern diejenigen der Journalisten Mustafa Nayem (Ukrayinskaya Pravda) und Sergej Leshchenko bekannt. Beide finden sich zwischen Platz 10 und 20 der Liste. Mustafa Nayem gilt als derjenige, der durch einen Facebook-Aufruf die ersten Demonstrantion von 1000 Leuten am Abend des 21. November 2013 auf dem Maidan angestoßen hat. Er selbst meint, keine einzelne Person könne beanspruchen, diese Proteste ausgelöst zu haben. Sergej Leshchenko ist ein Enthüllungsjournalist, der durch Artikel über die Luxusresidenz von Janukowitsch und dessen Firmengeflechte bekannt wurde. Auf Listenplatz 6 taucht Yuliy Mamchur auf, ein Oberst der ukrainischen Luftwaffe auf der Krim, der im Gegensatz zu vielen anderen ukrainischen Offizieren seinen Posten bis zuletzt nicht aufgegeben hatte, gleichzeitig aber diplomatisch genug war, um Blutvergießen zu vermeiden. Am 23. März wurde seine Basis überrannt, danach war er drei Tage in Einzelhaft. In der Ukraine gilt er als Held. Ich persönlich halte ihn für die anständigste Persönlichkeit während der gesamten Krim-Krise.

Listenplatz 3 nimmt Olga Bogomolets ein, Liedermacherin, Ärztin und Maidan-Aktivistin. Im Westen wurde sie als Kontakt der EU-Außenpolitik auf dem Maidan bekannt, als kurz nach dem Putsch ein mitgeschnittenes Telefongespräch zwischen dem estnischen Außenminister Paet und der EU-Außenbeauftragten Ashton öffentlich wurde. Die Kontakte waren so eng, dass Ashton wusste, von wem Paet sprach, obwohl er nur den Vornamen Olga erwähnte. Die Kontakte waren so bekannt, dass die ukrainischen Medien sofort wussten, wer „Olga“ war. Sie war die Quelle, die Paet kurz nach dem Umsturz über die in Kiew schon damals umlaufenden Gerüchte berichtet hatte, dass Kräfte der damaligen Opposition und neuen Regierung hinter den Scharfschützenattacken auf Demonstranten und Polizisten gesteckt hatten. Weder Paet noch Ashton schienen das für unglaubhaft zu halten. Auch Bogomolets halte ich für anständig.

Listenplatz 5 ist eine Geste in Bezug auf die Krim und an die Krimtartaren. Es ist Mustafa Dshemilev, einer der Führer der Krimtartaren. Angeblich darf er für die nächsten fünf Jahre nicht in die Russische Föderation einreisen. Ein Dokument mit diesem Inhalt, von dem er angibt, es an der Grenze ausgehändigt bekommen zu haben, ist nicht unterschrieben und hat keinen offiziellen Briefkopf. Der Russische Föderale Migrationsdienst hat verlauten lassen, es habe keine Information über eine solche Reisebeschränkung. Nach all dem halte ich Dshemilev bis auf Weiteres nicht für anständig.

Finanzier:

Die Partei benötigt neben Poroschenko keinen weiteren Finanzier.

Programm:

Keine der Parteien hat gegenwärtig ein echtes Programm, wie auch? Man kann aber die Richtung charakterisieren. Der Block Poroschenko vertritt die Position des im November und Dezember 2013 dominierenden und danach marginalisierten Teils der Maidan-Bewegung, eine Annäherung an die EU zu suchen, ohne alle Brücken mit Russland abzubrechen. Der Block strebt außerdem eine NATO-Mitgliedschaft an, eine Eindämmung der Korruption und eine Modernisierung der Wirtschaft.

Geschichte:

Der Block ist aus der kleinen Partei Solidarität von Poroschenko und aus Klitschkos UDAR (Schlag) hervorgegangen, die kaum Personal hat, aber dennoch in Umfragen von Ende April bis Mitte Juli 2014 mit einer weiter unten erwähnten Ausnahme die stärkste Kraft war. Auf neuere Umfragen komme ich ebenfalls weiter unten zu sprechen.

Allianzen:

Jazenjuks neue Volksfront will keine feste Allianz, während Luzenko Timoschenkos Vaterland und die Volksfront als mögliche Partner nennt. Es gab Meldungen, nach denen der Block Poroschenko in zehn Wahlbezirken, in denen die Volksfront gute Aussichten hat, keinen Direktkandidaten aufstellen wird. Gestern hat ein Berater Poroschenkos kritisiert, Jazenjuk denke bereits an die nächste Präsidentenwahl, wenn er des Namens Block Poroschenko wegen keine Allianz eingehe. Ich werde bei der Volksfront diskutieren, was meines Erachtens der wirkliche Grund ist.

Die Mehrheit der EU-Staaten unterstützt diesen Block.

Volksfront

Personal:

Parteivorsitzender und dominierende Figur ist der gegenwärtige Premierminister Arseni Jazenjuk. Erheblichen Einfluss muss man auch dem Stabschef der Partei, ehemaligen Interimspräsidenten und gegenwärtigem Sprecher der Werchnowa Rada, Olexandr Turtschinow, zutrauen. Das Amt entspricht in etwa demjenigen eines Generalsekretärs einer deutschen Partei. Die meisten weiteren Personalinformationen finden sich nur bei Wujez. Der politische Rat, eine Art Parteivorstand, umfasst den von Poroschenko entlassenen ehemaligen Vorsitzenden des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats, Andri Parubi, der auch die ukrainische Nationalgarde aufgebaut hat, Justizminister Pawel Petrenko, der am 8. Juli ein Verbot der Kommunistischen Partei der Ukraine beantragt hatte, Innenminister Arsen Awakow, der noch vor Parubi der Hauptverantwortliche für die „Anti-Terror-Operation“ (ATO) im Donbass war und Lily Hrynevych, Vorsitzende des Parlamentsausschusses für Wissenschaft und Bildung. Ebenfalls dem politischen Rat gehört Vyacheslav Kirilenko an, ein Parlamentsabgeordneter, der sich am 23. Februar mit dem zunächst erfolgreichen Versuch hervorgetan hatte, das Sprachengesetz der Ukraine von 2010 außer Kraft zu setzen. Dieser Versuch hatte die Beziehungen zur russischsprachigen Mehrheit in der Ostukraine von Anfang an vergiftet. Komplettiert wird der Vorstand von Tetiana Chornovol, einer Enthüllungsjournalistin mit rechtsradikaler Vergangenheit. Gegenwärtig ist sie Vorsitzende des nationalen Anti-Korruptions-Komitees der Regierung. Ihre Berichte, nach denen der ostukrainische Oligarch Rinat Achmetow in kriminelle Aktivitäten und Gewalt involviert war, musste die Zeitung Obozrevatel auf Anordung des Hohen Justizgerichts London zurückziehen und sich öffentlich dafür entschuldigen. Chornovol wurde am 25. Dezember 2013 brutal zusammengeschlagen. Die ukrainische Polizei hatte bald fünf Verdächtige verhaftet, darunter den Fahrer des Porsche Cayenne, der bei dem Angriff benutzt wurde. Sie hatten Verbindungen zu einer kriminellen Organisation. Ein politisch motivierter Auftrag für den Angriff wurde nie nachgewiesen.

Die Volksfront hat auch einen Militärrat, was dadurch nötig wurde, weil aktive Offiziere nicht als offizielle Kandidaten von Parteien auftreten dürfen, andererseits aber die Zielgruppe der Volksfront die Kämpfer der ATO als Helden ansieht. Diesem Militärrat gehören die Kommandeure der an der ATO beteiligten Freiwilligenbataillone Asow (Yuri Beletsky) und Dnjepr (Andrej Birch) sowie der vehement anti-russische Militärjournalist Dmitry Tymchuk als informeller Sprecher an. Tymchuk ist einer der Koordinatoren der Information Resistance, einer Art unabhängigen militärischen Geheimdienstes, der auch regierungskritische Kommentare abgibt. Tymchuk ist hoch intelligent, als Reserveoffizier fachkundig, ein begnadeter Propagandist und er vermischt auf geschickte Weise entwaffnende Ehrlichkeit mit groben Propagandalügen.

Finanzier:

Hier zitiere ich am besten direkt und so getreu wie möglich übersetzt Wujez: “Böse Zungen behaupten, die Finanzierung dieses Projekts habe der allgegenwärtige Ihor Kolomoisky selbst übernommen”. Kolomoisky ist ein Multimilliardär, der die PrivatBank und mehrere kleine Fluglinien besitzt. Am 2. März 2014 hatte Turtschinow ihn zum Gouverneur der Oblast Dnjepropetrowsk ernannt. Bereits die PrivatBank verfügte über paramilitärische Kräfte, die bei feindlichen Firmenübernahmen eingesetzt wurden. Kolomoisky kontrolliert das Bataillon Dnjepr, verfügt also inzwischen über eine Privatarmee. Desweiteren kontrolliert Kolomoisky angeblich seit 2011 über PrivatGroup die Burisma Holdings, ein ukrainisches Erdgasunternehmen. Dem Verwaltungsrat der Burisma Holdings gehören an: Alan Apter (ehemals Merryl Lynch und Morgan Stanley), Aleksander Kwasniewski (polnischer Präsident 1995-2005), Hunter Biden (Sohne des US-Vizepräsidenten Joe Biden) und Devon Archer (ehemaliger Wahlkampfhelfer des jetzigen US-Außenministers John Kerry und enger Freund von dessen Familie).

Programm:

Man kann es kurz sagen. Das ist die anti-russische Kriegspartei. In einer Glavcom-Meldung wurde Turtschinow folgendermaßen zitiert: “Wir haben diejenigen zusammengeholt, die willens sind, den Kampf fortzusetzen.” Diese Bemerkung ist im Kontext des Waffenstillstands im Donbass und von Poroschenkos Verständigungspolitik zu sehen.

Geschichte:

Die Volksfront ist eine Abspaltung von Julia Timoschenkos Vaterland-Partei. Anlass war die Entscheidung von Vaterland am 21. August, Julia Timoschenko selbst anstelle von Jazenjuk als Spitzenkandidatin für die Parlamentswahlen aufzustellen. Obwohl die Partei bereits am 31. März 2014 registriert wurde, konstituierte sie sich erst am 10. September.

Allianzen:

Einer Allianz mit Vaterland stehen die Egos von Timoschenko und Jazenjuk entgegen. Über den Block Poroschenko sagte Jazenjuk, seine Partei sei mit Poroschenko nicht zufrieden. Es gäbe bezüglich notwendiger Reformen gemeinsame Positionen, aber Schwierigkeiten in der Einigkeit der Parteien. Man kann es klar sagen: Die Schwierigkeit besteht in der Frage, wie man in Bezug auf die Ostukraine weiter vorgehen soll. Poroschenko dürfte auch Schwierigkeiten damit haben, dass Parubi dem politischen Rat der Volksfront angehört.

Die USA und vermutlich Litauen unterstützen die Volksfront.

Radikale Partei

Personal:

Der volle Name der Partei lautet: Radikale Partei von Oleh Lyashko. Diese Partei hat nur einen Führer. Sie hat gegenwärtig auch nur einen Parlamentsabgeordneten, Oleh Lyashko. Lyashko wurde 1993 wegen Veruntreuung zu sechs Jahren Haft verurteilt. Die Strafe wurde später auf vier Jahre reduziert und 1996 kam Lyashko im Zuge einer Amnestie frei. Danach arbeitete er als Journalist, ab August 1996 als Chefredakteur der Zeitschrift Politika, die 1999 von einem Kiewer Bezirksgericht wegen “Verrats von Staatsgeheimnissen” geschlossen wurde. Bei den Präsidentschaftswahlen vom 25. Mai 2014 war Lyashko mit 8,32% der Stimmen der drittplatzierte Kandidat hinter Poroschenko (54,70%) und Julia Timoschenko (12,81%). Zwei Tage vor der Wahl hatte er die Verantwortung für die Erstürmung eines lokalen Regierungsgebäudes in Torez durch sein Freiwilligenbataillon Ukraine übernommen, bei der ein unbewaffneter pro-russischer Separatist getötet und ein weiterer Unbewaffneter schwer verwundet wurde. Weitere auf Lyashko's Webseite veröffentlichte Videos über eigene Aktionen und Aktionen des Bataillons Ukraine haben dazu geführt, dass Human's Rights Watch und Amnesty International Lyashko verurteilten (Kyiv Post).

Listenplatz 2 nimmt der Stellvetrtreter Lyashkos, Andrej Lozovoy ein, Platz 3 der Kommandeur des ebenfalls von Amnesty International verurteilten und in OSZE-Berichten mehrfach im Zusammenhang mit Folter, Raub und Entführung genannten Freiwilligen-Bataillons Aidar. Ein weiterer Kommandeur eines Freiwilligen-Bataillons (Luhansk-1), Artem Vitko, steht auf Platz 7.

Finanzier:

Es ist nicht genau bekannt, wer die Radikale Partei finanziert. Lyashko werden Verbindungen zu Dmitro Firtash nachgesagt, einem Oligarchen, der am 13. März 2014 in Österreich auf Betreiben der USA wegen Bestechung festgenommen wurde. Allerdings wurde auch Klitschkos UDAR bei den Wahlen 2012 eine Finanzierung durch Firtash nachgesagt und die Partei dementierte das.

Programm:

Es gibt kein offen gelegtes Programm. Die Richtung kann aus den Aktionen im Donbass und aus einem Gesetzentwurf abgeleitet werden, den Lyashko während der Krimkrise eingebracht hat. Darin schlug er die Todesstrafe für Teilnehmer an separatistischen Demonstrationen vor, die Einführung einer Visapflicht für russische Staatsbürger, die Kündigung aller Verträge mit Russland, das Verbot der Kommunistischen Partei und der Partei der Regionen und einen Aufruf an die EU, alle Einwohner der Krim mit russischen Pässen von der Einreise in die EU auszuschließen.

Geschichte:

Die Partei wurde am 18. August 2010 als Ukrainische Radikal-Demokratische Partei gegründet und an ihrem dritten Kongress am 11. August 2011 von Lyashko übernommen und umbenannt. Bei der Parlamentswahl 2012 gewann sie 1,08% der Wählerstimmen.

Allianzen:

Kein vernünftiger Mensch sollte mit Yarosh kooperieren wollen, aber Politik ist nicht vernünftig. Gedanklich am nächsten steht ihm der Rechte Sektor von Dmitro Yarosh, einem von Interpol gesuchten Rechtsradikalen. Der Rechte Sektor hatte im März in Betracht gezogen, sich als Partei zu konstituieren, blieb dann aber in der außerparlamentarischen Opposition. Er verfügt über paramilitärische Kräfte beträchtlichen Umfangs und hat diese am 17. August erfolgreich als Drohkulisse eingesetzt, um bei Arsen Awakow die Entlassung des stellvertretenden Innenministers zu erreichen.

Auf dem Yalta European Strategy Meeting, das wegen der Besetzung der Krim dieses Jahr vom 11.-13. September in Kiew stattfand, haben sich laut Glavcom der Vizepräsident der Europäischen Volkspartei im EU-Parlament, Pat Cox, der ehemalige Präsident Polens und Direktor von Burisma Holdings, Aleksander Kwasniewski, und der EU-Kommissionspräsident Barroso mit Lyashko getroffen. Dabei verlangte Lyashko die Lieferung moderner Waffen, einschließlich von Kampfflugzeugen, an die Ukraine.

Starke Ukraine

Personal:

Die Partei wird von Serhiy Tihipko geleitet. Tihipko war zuvor Wirtschafsminister 2000, Chef der Nationalbank 2002-2004 und ab 2010 als Vizepremierminister verantwortlich für alle unpopulären Reformen der Regierung Azarov unter dem Präsidenten Janukowitsch. Weitere bekanntere Persönlichkeiten sind ein ehemaliger Finanzminister, Ihor Umansky, und die im Ausland unbekannte aber in der Ukraine bekannte Fernsehjournalistin Svetlana Fabrikant.

Finanzier:

Serhiy Tihipko ist selbst Milliardär. Er hatte eine Bank aufgebaut und diese 2009 für knapp 1 Milliarde US$ an die Swedbank verkauft.

Programm:

Wenn eine der Parteien eines hat, dann am ehesten diese. Kurz gefasst geht es um Frieden im Land durch Verhandlungen, um eine Dezentralisierung bei Erhalt der Einheit der Ukraine. Auf ökonomischen Gebiet sollen Großunternehmen gerettet, die Arbeit kleiner und mittlerer Unternehmen vereinfacht und temporär Importstopps für in der Ukraine produzierte Produkte eingeführt werden. Gegen Korruption ist ja sowieso jeder. Tihipko hat sich gegen soziale Kürzungen in der gegenwärtigen Situation ausgesprochen.

Geschichte:

Nach dem Putsch war Tihipko derjenige Politiker in Janukowitschs Partei der Regionen, dem man am Ehesten Rückhalt in der Bevölkerung zutrauen konnte. Am 28. März entschied sich die Partei jedoch für Mykhailo Dobkin, den von Turtschinow abgesetzten Governeur der Oblast Charkiw, als Präsidentschaftskandidaten. Dobkin wurde während des Wahlkampfes in Kiew tätlich angegriffen, am Ende entfielen auf ihn 3,03% der Stimmen. Tihipko, der gegen Dobkin kandidierte, wurde deshalb am 7. April 2014 aus der Partei der Regionen ausgeschlossen. Am 23. April gründete Tihikpo Starke Ukraine neu, eine Partei die sich im März 2012 nach einer Vereinigung mit der Partei der Regionen aufgelöst hatte. Bei der Präsidentschaftswahl belegte er den fünften Platz mit 5,23% der Stimmen. Die Partei der Regionen will laut Itar-Tass die Parlamentswahl am 26. Oktober 2014 boykottieren und eine “Gegenregierung” bilden. Mitglieder der Partei dürften sich jedoch als Direktkandidaten aufstellen lassen.

Allianzen:

Die Starke Ukraine hält die Politik der gegenwärtigen Regierung für desaströs und verlangt eine Alternative. Sie ist aber nicht radikaloppositionell und mit ihrer Position erscheint sie als Koalitionspartner des Blocks Poroschenko viel geeigneter als etwa die Volksfront oder Vaterland. Poroschenko und Luzenko werden das aber keinesfalls vor der Koalitionsbildung zugeben. Die Starke Ukraine kann sicherlich nicht mit der Volksfront koalieren.

Ferner laufen

Vaterland-Partei (Batkivshchyna)

Es mag erstaunen, dass ich Timoschenkos Partei nicht mehr als bedeutenden Faktor ansehe. Timoschenko war bei der Präsidentschaftswahl am 25. Mai zweitplatziert, wenn auch mit weniger als einem Viertel des Stimmanteils von Poroschenko. Jeder ihrer offiziellen Äußerungen wird von den ukrainischen Medien aufgegriffen und im Wahlkampf äußert sie sich häufig. Vaterland ist die einzige Partei, die flächendeckend über Strukturen verfügt. Unter normalen Bedingungen wäre das ein entscheidender Vorteil. Die Bedingungen sind aber alles andere als normal.

Schon vor der Abspaltung der Volksfront war Vaterland auf dem absteigenden Ast. Mit Jazenjuk haben nun fast alle Politiker Vaterland verlassen, von denen man in dem letzten Monaten in der Öffentlichkeit etwas gehört hatte. Zudem hat die Partei, die nun eine Ein-Frau-Partei ist, keine politische Position, die sie von der Volksfront abheben könnte. Initiativen, die Timoschenko im März angekündigt hatte, sind ausnahmslos im Sande verlaufen. Listenplatz 1 nimmt in eimem Propgandacoup erster Güte nicht Julia Timoschenko ein, sondern Nadezhda Savchenko, eine ukrainische Pilotin im Bataillon Aidar, die sich derzeit in Haft in Russland befindet, weil sie an Zielinformation gegeben haben soll, die zur Tötung eines russischen Journalisten führte.

Zivile Position

Gemessen an ihrem erwiesenen Wähleranteil ist diese Partei in den ukrainischen Medien eindeutig unterbelichtet. Das legt nahe, dass sie keinen einflussreichen Finanzier hat. Außer auf Wikipedia wird sie in westlichen Medien nicht erwähnt. Ihr Parteivorsitzender Anatoliy Hrytsenko belegte bei der Präsidentschaftswahl am 25. Mai Platz 4 mit 5,48% der Stimmen. Er ist ein in den USA und der Ukraine ausgebildeter ehemaliger Militär, der es bis zum Oberst gebracht hat und war unter Timoschenko, Yekhanurov und in der nationalen Einheitsregierung Janukowitsch (in der Quote Juschtschenkos) Verteidigungsminister. Die Partei bildet eine Wahlallianz mit der Demokratischen Allianz, einer mild homophoben Partei. In den letzten drei Umfragen schwankt die Partei um 10% der Wählerstimmen, deutlich mehr als für Vaterland nach Abspaltung der Volksfront zu erwarten ist.

Swoboda

Die ehemalige Sozial-Nationalistische Partei wurde 1991 von Oleh Tjanibok und Andri Parubi gegründet und führte ursprünglich die faschistische Wolfsangel als Symbol. Später war dieses Symbol dem von der Partei abgespaltenen paramilitärischen Zweig Patriot vorbehalten, den Parubi aufgebaut hatte. Die Partei steht für das Recht auf Waffenbesitz, die gerichtliche Verfolgung antiukrainischer Umtriebe, die atomare Wiederbewaffnung der Ukraine, die Nationalisierung der Großindustrie, den Eintrag der ethnischen Herkunft in die Personalausweise und das Verbot des Imports von Lebensmitteln, die auch in der Ukraine selbst hergestellt werden können. Im Ausland hat sie keine Freunde. Das beruht auf Gegenseitigkeit. In der Ukraine selbst hat sie wenige Freunde, aber seit dem Putsch im Februar überproportionalen Einfluss in der Regierung. Bei der Präsidentschaftswahl am 25. Mai kam Tjanibok mit 1,16% der Stimmen auf Platz 10 ein, noch hinter dem Kommunisten Petro Symonenko. Wahlumfragen geben der Swoboda konsistent um 5% der Stimmen. In der Westukraine wird sie vermutlich einige Direktmandate gewinnen. Platz 10 auf der Wahlliste nimmt der auch im Westen bekannte Igor Miroshnichenko ein, der eine in der Ukraine geborene amerikanische Schauspielerin mit einem ukrainischen Pejorativ für eine Jüdin bezeichnet und am 19. März 2014 den Direktor des ukrainischen Fernsehens mittels physischer Gewalt zur Unterzeichnung einer Rücktrittserklärung gezwungen hat. Die Regierung Jazenjuk hat den Fernsehdirektor danach nicht wieder eingesetzt. Gegen Miroshnichenko gab es kein Verfahren. Der damalige Generalstaatsanwalt Machnitzkij war Swoboda-Mitglied und wurde am 18. Juni von Poroshenko in einer seiner ersten Entscheidungen abgesetzt.

Kommunistische Partei der Ukraine

Die von einem Verbot wegen Unterstützung separatistischer Umtriebe bedrohte pro-russische Partei hat einen Wähleranteil um 5%.

Wahlumfragen

Der Soziologe Vladimir Paniotto hat in einem Interview mit Wujez gesagt, 99% der von soziologischen Instituten gesammelten Information werde nicht veröffentlicht. Er argumentiert, die Wähler seien in der Regel über neuere Entwicklungen schlecht informiert. Er argumentiert auch, es mache einen großen Unterschied, welche Namen von Politikern auf dem Umfragebogen hinter dem Parteinamen stehen. All das legt nahe, dass (auch in der Ukraine) bei Parlamentswahlen eher Spitzenkandidaten gewählt werden als Parteiprogramme. Daraus folgt, dass die Spaltung von Vaterland ein Desaster ist, wie auch die Wahlumfrage von KIIS vom 23. August bis 2. September zeigte, bei der auf dem Fragebogen die Spaltung schon vorweggenommen war. Die Stimmen fielen zu etwa gleichen Teilen an Vaterland (6,1%) und die Volksfront (6,4%), während Vaterland in der Umfrage von GfK Ukraine vom 14.-25. August noch bei 13% gelegen hatte.

Ferner stellt Paniotto fest, dass der starke Rechtsruck vom Sommer wieder korrigiert sei. Aus einer auch von der Kyiv Post als alarmierend betrachteten Umfrage von KIIS vom 16.-23. Juli war die Radikale Partei Oleh Lyashko mit 22,2% als stärkste Partei hervorgegangen. In den beiden letzten Umfragen von GfK und KIIS liegt Lyashko nur noch bei 14 bzw. 13,1%. Nach meiner Ansicht wird sich dieser Trend fortsetzen, wenn die Bedeutung der strategischen Niederlage der Kiewer Kräfte in den Tagen vom 23. bis 28. August im Bewusstsein der Öffentlichkeit ankommt und vor allem, wenn sich die Gedanken auf den kommenden Winter richten.

Nach all diesen Vorbemerkungen kann ich die Ergebnisse der letzten KIIS-Umfrage (Wikipedia) mit der gebotenen Vorsicht hier wiedergeben. Der Block Poroschenko lag mit 37,1% überwältigend in Führung. An zweiter Stelle lag die Radikale Partei Oleh Lyashko (13,1%), gefolgt von der Zivilen Position Hrytsenkos (9,7%), der Starken Ukraine Tihipkos (7,8%), der Volksfront (6.4%), Vaterland (6.1%), der Kommunistischen Partei (4,6%) und Swoboda (4,4%).

Analyse

Ich erwarte, dass der Block Poroschenko seine Führung weiter ausbauen, aber die absolute Mehrheit unter den proportional vergebenen Stimmen verfehlen wird. Durch eine große Mehrheit bei den Direktmandaten könnte es allerdings insgesamt zu einer absoluten Mehrheit in der Werchnowa Rada reichen. Vermutlich wird die Volksfront auf Kosten Lyashkos und von Vaterland an Wähleranteilen gewinnen. Der Starken Ukraine werden einige Wähler der Partei der Regionen (3,8%) zufallen, weil diese ja nicht antritt. Ein anderer Teil wird den Kommunisten zufallen, falls diese antreten dürfen. Wenn die Zivile Position nicht stärker in den Medien auftaucht, wird sie wohl etwas an Stimmanteil verlieren.

Wichtiger ist, auf welcher Basis nach der Wahl eine Regierung gebildet werden kann. Die große Frage lautet “Krieg oder Frieden”? Wenn sich die gegenwärtigen Trends fortsetzen, so werden die auf Frieden, Verständigung und eine minimale Übereinkunft mit Russland gerichteten Kräfte eine solide Mehrheit erzielen. Das sind genau die Kräfte, die kompromissbereit genug sind, auch eine arbeitsfähige Koalitionsregierung zu bilden. Das drängende Energieproblem des nächsten Winters wird daraufhin dadurch gelöst, dass die Ukraine wieder Gas bei Russland kauft.

Dieser Gang der Dinge lässt sich nur aufhalten, indem vor der Wahl wieder größere Kriegshandlungen aufgenommen werden und ein Kompromiss unmöglich gemacht wird. Das Problem liegt darin, dass es die Volksfront durch ihre faktisch vollständige Regierungsmacht in der Hand hat, die Situation in diese Richtung zu steuern und dass sie dabei die Unterstützung wichtiger Strömungen in der US-Außenpolitik und in der internationalen Hochfinanz hat, wenn auch nicht die Unterstützung Obamas. Je näher die Wahl rückt, desto größer wird der Anreiz für die Volksfront und die Kerry-Biden-Fraktion, das auch zu tun. Dagegen spricht die Möglichkeit einer noch verheerenderen militärischen Niederlage. Die Kyiv Post hatte kürzlich in einem Artikel einer beim Rechten Sektor eingebetteten Journalistin die “sehr niedrige Moral” der regulären Truppen erwähnt. Am 11. September berichtete Tymchuk, dass fast das gesamte Cherkasy-Bataillon (über 400 Soldaten) eine Verlegung an die Frontlinie verweigerte, weil es nur mit Maschinengewehren, nicht aber mit schweren Waffen ausgerüstet war. Die Sympathien der Massen in der Ukraine seien in diesem Fall auf Seiten der “Refuseniks”, der Verweigerer. Die Mobilisierung stieß schon vor den schweren Niederlagen zwischen dem 23. und 28. August auf Widerstand, wie auch den OSZE-Berichten zu entnehmen ist. Die Chance der Friedensfraktion liegt in der Unfähigkeit der Regierung, genügende Kräfte zu mobilisieren, um wieder in die Offensive zu gehen.

Anmerkung zur Umschrift ukrainischer Namen: Ich benutze eine deutsche Umschrift für die Namen, von denen ich annehme, dass meine Leser sie aus deutschsprachigen Medien kennen. Anderenfalls benutze ich die englische Umschrift, weil diese es erleichtert, mit einer Internet-Recherche weitere Information zu den Personen zu finden. Naturgemäß ist die Grenze zwischen beiden Fällen unscharf. Das größte Problem ist– auch in dieser Hinsicht- Andri Parubi (Andriy Parubiy). Obwohl er von Februar bis Juli eine Schlüsselfigur war und deutschsprachige Medien ihn ab und zu erwähnten, ist er auch unter außenpolitisch Interessierten im deutschen Sprachraum weitgehend unbekannt. Erschwerend kommt hinzu, dass deutschsprachige Medien die Umschrift nicht einheitlich handhaben (Andrij Parubij).

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gunnar Jeschke

Naturwissenschaftler, in der DDR aufgewachsen, gelebt in Schwarzheide, Dresden, Wako-shi (Japan), Bonn, Mainz, Konstanz und Zürich.

Gunnar Jeschke

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