Die Urbanen und die Bodenständigen

Der tiefe Graben Politiker und Journalisten verstehen nicht, warum ein großer Teil der Bevölkerung ihnen die Liebe entzogen hat. Hier ist ein Erklärungsversuch.

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Haßloch

Das öffentlich-rechtliche Fernsehen ist der Frage nachgegangen, warum sich die Bürger der angeblich durchschnittlichsten deutschen Kleinstadt Haßloch von den Volksparteien abwenden und das Feuilleton der F.A.Z. hat versucht, die Antwort auf den Punkt zu bringen. Sie lautet schlicht: Wir verstehen es nicht. Der Eindruck, den die Journalisten vermitteln wollen, ist allerdings ein anderer: Die Leute haben gar keinen guten Grund. Die Journalisten schließen das daraus, dass die Befragten vor der Kamera keine konkreten Punkte angegeben haben, mit denen sie unzufrieden sind oder wenn, dann nur belanglose. Sie scheinen grundsätzlich unzufrieden zu sein und dafür kann es im Weltbild der Politiker und Journalisten gar keinen Grund geben.

Abgesehen davon, dass die Leute ja auch eine verständliche Scheu davor gehabt haben könnten, vor der Kamera eines öffentlich-rechtlichen Senders Klartext zu reden, würde jeder rationale Denker zu einem anderen Schluss gekommen sein als die Journalisten. Die Welt selbst ist nämlich nicht postfaktisch. Phänomene haben Ursachen. Wenn ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung den etablierten Politikern und Medien misstraut, dann haben sie natürlich ihre Gründe. Wer die nicht finden kann, übersieht irgendetwas Wichtiges. Am Leichtesten übersieht man Dinge, die ganz offen zu Tage liegen. Hier ist das die Polarisierung der Bevölkerung in zwei Lager, die in Deutschland weniger fortgeschritten ist als in anderen Ländern, aber eben doch deutlich sichtbar.

Im Folgenden bezeichne ich die beiden Lager als die „Urbanen“ und die „Bodenständigen“. Natürlich sind die Dinge komplexer. Diese Unterteilung scheint mir aber doch eine recht gute erste Näherung zu sein, besonders in Fällen, wo die Bevölkerung vor einer binären Entscheidung steht, also einer mit nur zwei möglichen Ausgängen. Das kann etwa ein Brexit-Referendum sein oder eine Präsidentschaftswahl, die entweder Donald Trump oder Hillary Clinton gewinnen wird. Die Urbanen finden sie im „Remain“-Lager (in der EU bleiben) und auf Seiten von Hillary Clinton und den Unisex-Toiletten. Die Bodenständigen finden Sie unter denen, welchen EU-Brüssel ein Gräuel ist und die der Meinung sind, dass Trump Klartext redet.

Wenn wir dieses einfache Konzept auf das Kommunikationsversagen von Haßloch anwenden, so kommen wir mit einer einzigen Zusatzannahme zu einer brauchbaren vorläufigen Erklärung. Dise Zusatzannahme ist, dass die beiden Lager momentan nicht miteinander über konkrete Sachfragen reden. Vielmehr lehnen sie das jeweils andere Weltbild insgesamt ab. Die Journalisten von NDR und F.A.Z. und die Politiker stehen im urbanen Lager, die befragten Bürger im bodenständigen. Um nun festzustellen, ob wir es uns hier zu einfach gemacht haben, müssen wir versuchen, die Begriffe besser zu definieren und dann untersuchen, ob diese Begriffe die Spaltung der Gesellschaft und das Kommunikationsversagen erklären können.

Die Urbanen

Der oder die Urbane geht typischerweise einer Bürotätigkeit nach, sieht sich als weltoffen und aufgeklärt und weiß genau, wie die Welt beschaffen sein sollte. Er oder sie ist auch tatsächlich ein Weltverbesserer, aber in der Regel nur mit Worten, wobei Weltverbesserung mit Worten ausdrücklich das Erlassen von Verordnungen einschließt. Zu Letzterem ist der Urbane prädestiniert, denn er weiß ganz genau, wie Dinge zu tun sind, die er nie im Leben selbst getan hat.

Die Natur ist dem Urbanen ein Freizeitpark. Ein Biber, der einen Deich untergräbt, ist immer noch ein unter Naturschutz stehender Biber und possierlich. Vielleicht kann man ihn ja vergrämen, oder lebend entnehmen (aber nur mit seiner ganzen Familie). Kormorane, die Fischteiche leer fressen, sind immer noch hübsch anzuschauen.

Die Urbane hat zumeist studiert und oft eine Sozialwissenschaft oder eben Journalismus. Ihre Fähigkeiten bestehen vorzugsweise darin, dass sie mit anderen Urbanen kommunizieren kann, also die Sprache der Urbanen spricht und die Denkweise der Urbanen beherrscht, was Leuten sehr schwer fällt, die keine Sozialwissenschaft studiert haben. Wo Urbane über Einstellungen entscheiden, werden auch vorzugsweise Urbane eingestellt, weil dort nur Urbane hineinpassen. Zuwanderung aus anderen Kulturkreisen ist für die Urbane daher auch kaum drohende Konkurrenz- die meisten Zuwanderer sind schließlich alles andere als urban. Selbst die Personenfreizügigkeit innerhalb der EU führt für die Urbane nicht zur Jobkonkurrenz, weil es bei ihrer Arbeit vor allem darauf ankommt, dass man die gleiche Sprache spricht und die gleiche Denkweise teilt. Zuwanderung und Freihandel sind für die Urbane netto ein Vorteil, denn sie fragt Produkte und Dienstleistungen nach, die dadurch billiger werden.

Der Urbane ist immer auf der Suche nach dem Neuen. Dass sich die Welt so schnell verändert, ist wahnsinnig spannend, besonders, wenn er es im Privaten so halten kann, dass sich nichts ändert. Der Urbane will alles reformieren, auch wenn es gerade reformiert wurde und die vorherige Reform vielleicht noch gar nicht völlig umgesetzt ist. Man könnte es ja noch besser machen. Das hat auch den Vorteil, dass keiner wirklich nachprüfen kann, ob die vorherige Reform wirklich eine Verbesserung gebracht hat. Wenn offensichtlich nicht, steckte man ja noch in den Anfangsschwierigkeiten und jetzt eben wieder, aber dann wird alles besser, falls man nicht noch eine Reform machen muss, die alles noch besser macht, nachdem deren Anfangsschwierigkeiten überwunden sein werden. Et cetera ad infinitum.

In der Außenpolitik verfolgt oder befürwortet der Urbane einen „moralischen Ansatz“. Ausnahmen werden nur gemacht, wenn gerade ein Verbündeter unmoralisch handelt. Das ist zwar praktisch immer der Fall, aber eben: Man muss in der Außenpolitik moralisch handeln. Schließlich ist der Urbane ja Teil einer Wertegemeinschaft.

Der Bodenständige

Dem Bodenständigen gehört der Fischteich, den die Kormorane leergefressen haben. Oder das Feld, auf dem gerade der Traktor in einen Bibergang eingebrochen ist. Oder seinem Nachbarn gehört das Schaf, dass der in Brandenburg zugewanderte Wolf geholt hat. Kurz, für den Bodenständigen ist die Natur ein Wirtschaftsfaktor oder sein Lebensraum. Wenn er kann, erschießt er den Biber. Oder er verwechselt den Wolf in der Dämmerung mit einem in seinem Jagdrevier streunenden Hund, auf den er auch schießen darf.

Der Bodenständige benutzt so geschraubte Worte wie „Kulturpessimist“ nicht, aber er ist einer. Jeder Neuerung steht er zunächst einmal misstrauisch gegenüber. Sein Leben ist auch ausgefüllt, ohne dass sich die Dinge ändern, warum sollte man sie ändern? Es geht doch auch so.

(Ich muss hier nicht gendern. Natürlich gibt es weibliche Bodenständige, sogar etwa 50%, nur haben die kein Problem damit, dass in der deutschen Sprache männliche Personenbezeichnungen beide Geschlechter meinen).

Der Bodenständige hat eine Arbeit, bei der ihn ein Zuwanderer oder jemand in einem Billiglohnland ersetzen könnte. Zuwanderung und ungezügelter Freihandel und Kapitalverkehr sind für ihn netto ein Nachteil, denn sie drücken seinen Lohn oder machen ihn arbeitslos.

Auch eine außenpolitische Meinung hat der Bodenständige, aber ja doch. Wenn von Propaganda unbeeinflusst, will er vor allem Frieden. Er glaubt nicht, dass man sich in fremde Händel einmischen sollte und den moralischen Ansatz in der Außenpolitik betrachtet er als pure Heuchelei. Der Bodenständige ist ein Isolationist und wenn er das Dau-de-dsching von Laudse gelesen hätte, könnte er sich in dieser Frage auf einen alten chinesischen Philosophen berufen. Wenn er Schweizer ist, hat ihm Christoph Blocher gesagt, dass er sich auf Niklaus von Flüe berufen kann.

Die Beiden im Vergleich

Sag dem Webdesigner:

Bau den Boiler wieder ein.

Und er steht vor den Grenzen

Vom Webdesign.

Rainald Grebe

Sie werden niemals beobachten, dass ein Bodenstämmiger etwas aus dem Manufactum-Katalog bestellt oder dass eine Urbane ein Kaninchen schlachtet.

Der Urbane wohnt in einer sicheren Gegend unter Seinesgleichen und sie schickt ihre Kinder möglichst in eine Schule, in der es wenige Migrantenkinder gibt. Während ihre Kinder dort beschult werden, schreibt sie einen Artikel, in dem sie zur Nachsicht gegenüber minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen mahnt, die in Bautzen regelmäßig Einheimische angepöbelt haben. Sie empört sich vehement über diejenigen, die sich dort auf den Platz gestellt und dem Einhalt geboten haben.

Der Bodenständige dagegen ist Bautzner. Oder er lebt dort, wo im vorigen Jahr der Geldautomat der Deutschen Bank gesprengt wurde und bis heute nicht wieder ersetzt, weil offenbar auch die Deutsche Bank nicht glaubt, dass der Staat der Serie von Geldautomatensprengungen in dieser Gegend Einhalt gebieten kann. (Das habe ich nicht erfunden. Ich bin in der kleinen Stadt aufgewachsen, in der das im Juni 2016 geschah, so wie ein paar Jahre nach mir Frauke Petry dort aufgewachsen ist).

Wenn die Zeiten hart sind, kann die Gesellschaft fast auf alles verzichten, was die Urbanen können und auf fast nichts von dem, was die Bodenstämmigen können. Siehe oben.

Wenn Sie unverschuldet in eine Notlage geraten sind und tätige Hilfe brauchen, wenden Sie sich besser an einen Bodenstämmigen. Wenn Sie sich irgendwie benachteiligt fühlen und gern hätten, dass jemand dazu aufruft, dass Dritte Ihnen helfen oder der Staat, dann wenden Sie sich besser an einen Urbanen.

Und was bin nun ich? Dem Lebensstil und meiner Arbeit nach ganz sicher ein Urbaner. Aber eben: Ich bin in der Lausitz unter Bodenstämmigen aufgewachsen und wie Sie oben nachlesen können, kann ich das wohl auch nicht verleugnen. Ganz so einfach ist es mit der Klassifizierung also nicht. Dennoch kann ich mich und meinesgleichen im Folgenden mit Fug und Recht als statistisch vernachlässigbar betrachten und auf der Zweiteilung der Gesellschaft als Erklärungsmuster beharren.

Die Medien

Sabine Christiansen macht die Welt nicht klarer.

Die Wahrheit sagt Dir jeder Taxifahrer.

Rainald Grebe

Die Weltsicht der Urbanen findet sich im redaktionellen Teil. Die Weltsicht der Bodenstämmigen findet sich in den Kommentarspalten der Online-Medien und dominiert diese. Deshalb wird die Kommentierbarkeit von Online-Artikeln zunehmend eingeschränkt. Bei Spiegel Online nimmt sie seit Mai 2015 etwa linear ab, wie Sie aus David Kriesels Vortrag auf der 33c3 über SpiegelMining entnehmen können (Minute 29:19).

Außerhalb der Kommentarfunktion von Online-Medien findet sich die Meinung der Bodenstämmigen nur in Publikationen, die der Mainstream als rechtsextrem bezeichnen würde und, mit Einschränkungen, in lokalen Medien. Wer sich aus überregionalen Mainstream-Medien informiert, weiß von den Bodenstämmigen: Nichts. Die finden dort nicht statt, höchstens als rechtsextreme Wutbürger. Das ist ein völliges Zerrbild und die Bodenstämmigen wissen das. Die Urbanen wissen es nicht.

Das hat mit Zensur wenig zu tun, obwohl nicht ganz auszuschließen ist, dass Chefredakteure Artikel mit der „falschen Tendenz“ unterdrücken und dass Journalisten, weil sie das wissen, eine „Schere im Kopf“ haben. Der Hauptgrund ist die Monokultur in den Redaktionen. Auch dort finden nur Urbane statt. Die nur mit Urbanen verkehren. Die Wenigen, die ursprünglich aus einem bodenstämmigen Milieu kamen, sind zumeist dünkelhaft froh, diesem entkommen zu sein und stolz darauf.

Die Probleme der Bodenstämmigen werden also überregional gar nicht diskutiert oder wenn, abwertend als Scheinprobleme, denn es sind ja nicht Probleme der Urbanen. Die Bodenstämmigen sind in den Mainstream-Medien stimmlos bei allen Themen, die nicht kommentiert werden dürfen, wozu zum Beispiel die Justiz sehr weit gehend gehört (Kriesel, Minute 32:10). Hatte ich schon erwähnt, dass es in der Justiz fast nur Urbane gibt?

Die Bodenstämmigen kommunizieren ihre Probleme daher in den sozialen Medien. Das mögen die Urbanen gar nicht und deshalb sollen diesen Medien in Zukunft auch zensiert werden. Die Schlagworte sind Hasskommentare und Fake News. Ein Hasskommentar etwa ist es, wenn jemand über gewaltfreie Demonstranten sagt: „Das sind keine Menschen, die so was tun. Das sind Verbrecher.” Ach so, das hat der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich am 21.2.2016 über ein paar Leute in Clausnitz und Bautzen gesagt. Dann war es wohl kein Hasskommentar.

Aber was ist dann einer? Und wo ist die Grenze von Fake News? Darf man ausführlich und mehrfach ein Konvolut über Donald Trump diskutieren, das angeblich ein ehemaliger britischer Geheimdienstler zusammengetragen hat, der nicht auffindbar ist und das seit Sommer durch US-Geheimdienste nicht belegt werden konnte, wenn man es halt kurz als unbewiesen apostrophiert? Und darf man Ähnliches über Wochen hinweg immer wieder tun? Wenn ja, können alle Propagandisten der anderen Seite in sozialen Medien sich beruhigt zurücklehnen, denn Analoges werden sie ja wohl auch hinbekommen.

Anzunehmen ist allerdings, dass die Urbanen versuchen werden, das Problem von Hasskommentaren und Fake News nicht auf dem Gesetzeswege zu lösen, weil man ja dann Mainstream-Medien und Soziale Medien gleich behandeln müsste. Man wird wohl eher versuchen, das Problem auf dem Verordnungsweg und durch Druck auf die Firmen zu lösen, die soziale Medien bereitstellen. Damit wird man verschiedenes Recht für die Meinungsäußerung durch Urbane und Bodenstämmige schaffen. Das Ergebnis einer solchen Politik ist einfach vorhersagbar: Eine weitere Polarisierung.

Die Politik

Eines kann nicht sein: Dass einige Teile von uns allen darüber befinden, wer das Volk ist, und andere einfach aus dem Volk ausgeschlossen werden

Angela Merkel, heute

In der Lokalpolitik mag der eine oder andere Bodenstämmige vorkommen. In der Bundespolitik ist die CSU unter den etablierten Parteien deren einzige Stimme. Da die CSU aber nicht bundesweit wählbar ist, gibt es für diesen Teil der Bevölkerung in vielen Bundesländern kein etabliertes Politikangebot. Auch das ist keine Verschwörung, sondern liegt einfach daran, dass fast alle Politiker Urbane sind. Das Verhältnis zwischen Urbanen und Bodenstämmigen ist in den Parteien ganz anders als in der Gesamtbevölkerung und zwar fällt es umso einseitiger zugunsten der Urbanen aus, je höher die betrachtete Führungsebene ist.

Für ein solches Problem gibt es in einer Demokratie eine Lösung: Die Gründung einer neuen Partei. Das Problem ist auch in den meisten westlichen Ländern, in denen es auftrat, so gelöst worden. Die Politiker, die es gelöst haben und die neuen Parteien bezeichnen die Urbanen als populistisch. In den USA ist es zu einer anderen Lösung gekommen und dort hat sich gezeigt, dass die Bodenstämmigen etwa die Hälfte der Wähler ausmachen können. Wenn dem so ist, so ist verständlich, warum die "populistischen" Parteien polarisieren: Ihr Wählerpotential ist viel größer als ihr gegenwärtiger Stimmenanteil und die Polarisierung kann ihnen helfen, dieses Potential auszuschöpfen.

Warum allerdings die etablierten Parteien und die Mainstream-Medien in dieser Auseinandersetzung ebenfalls polarisieren, ist schwer zu verstehen. Eine rationale Strategie ist es jedenfalls nicht, Veränderungen zu beschleunigen, wenn man den Status Quo verteidigt. Zu vermuten ist, dass die Urbanen deshalb nicht strategisch denken können, weil sie das Problem gar nicht begriffen haben. Auch das erstaunt noch, weil ihnen Brexit und die US-Präsidentschaftswahl nun wirklich genug Anschauungsmaterial geliefert haben sollten.

Im Übrigen muss ich dem Satz der Kanzlerin Recht geben, der diesen Abschnitt einleitet, nicht ohne ihn mit einem Kindergartenspruch zu kontern: Aber Ihr habt angefangen. Die etablierten Parteien haben, bis auf die CSU aber einschließlich der CDU, den Eindruck erweckt, dass nur die Urbanen das Volk seien. Die Bodenstämmigen gehören aber genauso dazu, müssen eine Stimme in der öffentlichen Diskussion und eine Interessenvertretung haben. Nach Lage der Dinge kann die CDU das nicht sein, weil eine Partei nicht gleichzeitig die Interessen der Urbanen und der Bodenstämmigen vertreten kann. Während ich selbst die AfD nicht wählen würde, denke ich doch, dass es für die politische Hygiene des Landes und den gesellschaftlichen Zusammenhalt gut wäre, wenn diese Partei in den Bundestag kommt.

Ich ahne schon, zu welchen Vorwürfen das in den Kommentaren führen wird. In solchen Vorwürfen äußert sich ein grundlegendes Missverständnis von Politik. Politik ist Interessenausgleich. Das erfordert, das auch die Interessen meiner politischen Gegner angemessen vertreten werden müssen. Sonst scheitert Politik und Kommunikation und es bauen sich Ungleichgewichte auf, die sich irgendwann gewaltsam entladen.

Der Elitenhass

Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es hinaus.

Lieber Leser, Sie haben es geahnt. Ich neige dazu, meinen Ansatz zu Tode zu reiten. Nun muss er auch noch zur Erklärung der Ablehnung herhalten, die den Eliten der Gesellschaft gegenwärtig und zunehmend entgegenschlägt. Das Muster ist schon wieder das Gleiche. Die Eliten sind fast ausschließlich urban und setzen sich in ihrer Gesamtheit ausschließlich für die Interessen der Urbanen ein. Der Hass auf sie kommt von Seiten der Bodenstämmigen.

Ich glaube nicht an die Theorie der „Rationalen Wahl“ in den Politikwissenschaften, weil Menschen praktisch nie rational entscheiden. Hier aber fällt die Intuition der Bodenstämmigen und die daraus folgende Emotion tatsächlich einmal mit der Interessenlage zusammen: Die Ablehnung der urbanen Eliten durch den bodenstämmigen Teil der Bevölkerung ist eine vernünftige Reaktion, denn dieser Teil wird von den Eliten vernachlässigt.

Insofern greift auch die Annahme der Urbanen zu kurz, es würde sich bei der Stimmung gegen Migranten um Fremdenfeindlichkeit handeln. Das mag bisweilen und unterschwellig zutreffen, aber das eigentliche Problem ist ein anderes. Hier begehren Leute auf, die sich vernachlässigt fühlen und sehen, mit welchem Aufwand sich die Politik um die Zugereisten kümmert. Wenn ich die dümmstmögliche Reaktion auf dieses Aufbegehren hätte empfehlen sollen, so hätte ich geraten, diesen Leuten mit Verachtung zu begegnen. Genau das haben die Eliten dann ja auch getan und jetzt wundern sie sich über die Stimmung, die ihnen entgegenschlägt.

Um noch ein anderes Missverständnis anzusprechen: Es geht hier bei Weitem nicht nur um das Flüchtlingsproblem oder um Sicherheit. Diese Fragen haben beispielsweise die US-Wahlen nicht entschieden. Es geht um einen tiefen kulturellen Riss in der Gesellschaft und darum, dass die eine Seite keinen Einfluss auf das Geschehen hat. Wenn die Politiker der etablierten Parteien und die Journalisten der Mainstreammedien weiter meinen, man könne entweder die eine Seite verächtlich machen oder den Grand Canyon zukleistern, dann kann man nur noch beten, dass die Bodenstämmigen nicht am Ende doch in der Mehrheit sind.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gunnar Jeschke

Naturwissenschaftler, in der DDR aufgewachsen, gelebt in Schwarzheide, Dresden, Wako-shi (Japan), Bonn, Mainz, Konstanz und Zürich.

Gunnar Jeschke

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