Drei Mechanismen der „Lügenpresse“

Überall dieser Tage Ein verbreitetes Misstrauen gegenüber den Medien gipfelt im Begriff der „Lügenpresse“. Ein aktuelles Beispiel zeigt, wie diese Wahrnehmung entsteht.

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Die Meldung

Seit gestern Abend ging die Meldung durch die Weltpresse, dass sowohl Russland als auch die Türkei über den Hergang des Abschusses der russischen Su-24 durch die türkische Luftwaffe gelogen hätten. Das hätten zwei belgische Astrophysiker, Giovanni Lapenta und Tom Van Doorsselaere von der Katholischen Universität (KU) Leuven, berechnet. Die deutsche Version findet sich in der On-Line-Version des Fokus . Englische Versionen finden sich mehrere, wobei die prominenteste Zeitung vermutlich der britische Independent ist, aber auch die New York Post erwähnt die Information. Inzwischen kann man auch den Originalartikel auf der Blogseite der KU Leuven per Google-Suche mit vertretbarem Aufwand finden, heute früh war mir das noch nicht gelungen. Ich verdanke das Link Tom Van Doorsselaere persönlich, der mich auch auf eine „anständige englische Übersetzung“ (seine Worte ins Deutsche übertragen) hingewiesen hat.

Ich halte die Meldung der Substanz nach für eine Falschmeldung und werde im Folgenden versuchen, diese Meinung zu begründen. Dabei werde ich analysieren, was in diesem Fall schief gelaufen ist. Desweiteren halte ich das Ganze für typisch. Es ist eher einer der unschuldigeren Fälle, denn die beiden Wissenschaftler wollten sicher keine Propaganda gegen Russland betreiben, haben ehrlich geglaubt, was sie in ihrem Blog geschrieben haben und die Journalisten haben Ihnen vermutlich vertraut. Dennoch entsteht die Wahrnehmung einer Lüge, wenn man den gesamten Hergang überblickt. Weil solche Fälle so häufig sind, entsteht der Eindruck, dass systematisch gelogen wird. Ich werde deshalb auch eine Meinung darüber abgeben, ob es der Verfall journalistischer Standards ist, der den Kampfbegriff „Lügenpresse“ populär macht.

Die Falschmeldung

Die beiden Astrophysiker haben die von der Türkei und Russland behaupteten Flugbahnen anhand einfacher Bewegungsgleichungen analysiert. Für die von der Türkei behauptete Flugbahn finden Sie, dass die behauptete Aufenthaltszeit von 17 Sekunden im türkischen Luftraum mit der Geschwindigkeit des Flugzeuges unvereinbar ist. Das ist sicherlich richtig und kommt nicht ganz überraschend, denn von US-Seite war bereits vorher von den 2-3 Sekunden gesprochen worden, die auch Van Doorsselaere und Lapenta berechnen. Desweiteren stellen Sie fest, es sei nicht plausibel, dass die türkischen Streitkräfte, wie behauptet, während fünf Minuten die Piloten der Su-24 zehnmal gewarnt hätten. Die Türkei könne so früh gar nicht vorhergesehen haben, dass die Maschine in den türkischen Luftraum eindringen würde (wenn sie das je getan hat, G.J.), zumal ein Kampfjet sehr agil sei und noch kurz vor der Grenze hätte abdrehen können. Auch damit habe ich keine Probleme. Derartige Manöver waren zu Zeiten des Kalten Krieges von Seiten der USA Routine. Man flog auf die Grenze zu bis die gegnerischen Abfangjäger starteten und drehte im letzten Moment ab.

Interessant wird es bei der Diskussion der von Russland gezeigten Flugbahn, die einen rechtwinkligen Knick enthält. In ihrem Blog-Beitrag schreiben Van Doorsselaere und Lapenta, dass eine solche Richtungsänderung durch einen Raketentreffer nur möglich wäre, wenn die Rakete selbst rechtwinklig eingeschlagen wäre und einen viel größeren Impuls gehabt hätte als der Jet, also sehr viel schneller und sehr viel schwerer gewesen wäre als der Jet oder Beides. Auch bis zu diesem Punkt habe ich kein Problem. Solche Raketen gibt es nicht, schon gar keine Luft-Luft-Raketen, deren Impuls vielmehr sehr viel kleiner ist als derjenige eines Jets.

Der Fehler liegt in der Schlussfolgerung in Bezug auf diese Richtungsänderung. Laut Fokus „schließen sie [daraus], dass der Pilot gar nicht versucht hatte, den (sic!) türkischen Luftraum zu entgehen.“ Diese Behauptung findet sich am Ende des Blogeintrags tatsächlich, sie ist aber nicht nachvollziehbar. Entweder behauptet Russland, der Raketentreffer habe die Richtung um 90 Grad weg von der Richtung auf die türkische Grenze verändert. Dann hätte das gar nichts mit einem bewussten Versuch des russischen Piloten zu tun, den türkischen Luftraum zu vermeiden. Oder Russland behauptet, der Knick sei ein solcher bewusster Versuch gewesen, den türkischen Luftraum zu vermeiden. Dann war die Richtungsänderung ein Steuermanöver und das Argument mit dem Impulsübertrag von der Rakete ist ohne Belang. So ein elementarer logischer Widerspruch kann in einem lokalen Blogeintrag durchaus mal vorkommen. Er hätte aber Journalisten auffallen müssen, die aus dem Blogeintrag eine Meldung generierten.

Auf die Frage, ob an der russischen Version irgendetwas verdächtig ist, komme ich weiter unten zurück, wenn ich die Stellungnahmen von Lapenta und Van Doorsselaere wiedergebe und diskutiere. Sicher ist jedenfalls, dass auch aus dem originalen Blogeintrag nicht geschlossen werden kann, dass die möglichen Fehler in der türkischen und russischen Version auf einer Stufe stehen. Die Türkei hat den Jet abgeschossen und sie hat zumindest bezüglich der Zeitdauer seines Aufenthalts im türkischen Luftraum grob (ein Faktor von mehr als fünf) gelogen. Zudem ist das Argument nicht plausibel, die türkische Seite habe den Piloten mehrfach gewarnt. Russland hingegen, ja worin hat denn Russland nun laut Lapenta und Van Doorsselaere im schlimmsten Fall etwas falsch dargestellt? Im Kurs der Maschine nachdem sie von der Luft-Luft-Rakete getroffen wurde. Offensichtlich ist das völlig belanglos für die Frage, wer den Zwischenfall zu verantworten hat, denn zu diesem Zeitpunkt war er ja bereits geschehen.

Die Methode des irreführenden Titels

Ohne etwas von Physik zu verstehen, mit elementarer Logik hätte also jeder Journalist erkennen können, dass die von den beiden belgischen Physikern gemachten Behauptungen im Fall der türkischen Version für den Hergang des Abschusses von Belang sind, im russischen Fall hingegen nicht. Wenn er (oder sie) sich also nun eine Kurzfassung und insbesondere einen Titel für den Artikel ausdenken musste, so musste er (oder sie) das berücksichtigen. Was ist nun dabei herausgekommen?

Fokus: „Weder Russland noch die Türkei sagen die Wahrheit über den Su-24-Abschuss". Man beachte, dass Russland zuerst genannt wird. Außerdem sind die Anführungszeichen nicht gerechtfertigt. Dieser Satz findet sich so nicht im Blogeintrag der beiden belgischen Astrophysiker. Man muss schon sehr großzügig übersetzen. Am Nächsten kommt noch „Volgens onze berekeningen is het duidelijk dat zowel het verhaal van Turkije als Rusland met een korrel zout genomen moet worden.“ Auf Deutsch: „Aus unseren Berechnungen wird deutlich, dass sowohl die von der Türkei als auch die von Russland präsentierte Geschichte mit Vorsicht zu genießen ist.“ Die „anständige Übersetzung” auf Motherboard: “Belgian Physicists Calculate that Everyone Is Lying About the Downed Russian Jet” (Belgische Physiker berechnen, dass alle über den abgeschossenen russischen Jet lügen). Auch das gibt die Substanz des Artikels nicht richtig wieder.

Man könnte nun argumentieren, wer den Artikel lese, könne sich ja selbst eine Meinung bilden. So einfach ist das aber nicht. Erstens lesen bekanntermaßen im Internet (und selbst in der Zeitung) viele Leute von bestimmten Artikeln nur die Überschrift. Wenn diese die Substanz des Artikels nicht richtig wiedergibt, muss man also von Irreführung reden. Zweitens beeinflusst die Überschrift aber auch noch diejenigen, die den Artikel lesen. Das ist aus der Psychologie wohlbekannt. Menschen sind keine logisch-rationalen Automaten. Wie etwas präsentiert wird, beeinflusst sie stark.

Nun könnte man noch ins Feld führen, dass nicht hinter allem sofort eine Verschwörung vermutet werden solle. Nun gut, der Titel ist irreführend. Aber das kann ja mal vorkommen, wenn man die Botschaft eines Textes auf ein paar Worte reduzieren muss. Wenn man allerdings viele Meldungen kritisch liest, fällt eben auf, dass die Titel von der Substanz des Artikels ausnahmslos in Richtung einer besseren Übereinstimmung mit der redaktionellen Linie abweichen. Genau das aber müsste ein Journalist bewusst vermeiden, denn das ist ein Anfängerfehler beim Recherchieren und Schreiben.

Achten Sie einmal auf diese Methode. Wenn Ihr Blick geschärft ist, werden Sie deren Anwendung immer wieder bemerken. In all diesen Fällen können Sie davon ausgehen, dass die Realität (oder wenigstens die Faktenlage) mit dem Weltbild des Journalisten und der Redaktion nicht übereinstimmt. Der neutrale Originaltitel des Blogeintrags lautet übrigens, getreu übersetzt: „Abschuss des russischen Kampfjets durch die Türkei: Was uns die Wissenschaft sagt.“

Die Methode der partiellen Falschdarstellung

Große Teile der hier betrachteten Meldung sind richtig. Transportiert wird aber auch ein Teil, der zumindest logisch fehlerhaft ist und diesem wird dann sowohl im Titel als auch im Fazit die gleiche Bedeutung zugewiesen wie dem richtigen Teil. Auch das ist eine Methode, deren Anwendung man immer wieder beobachten kann. Im vorliegenden Fall könnte man zugunsten der Journalisten noch annehmen, es handele sich nur um Schlamperei. Sie haben eben einfach geglaubt, was in dem Blogeintrag stand und der logische Fehler findet sich ja schon dort. In vielen Fällen kann man diese Annahme allerdings nicht machen. Oft fehlen Fakten, die jedem mit der Sache vertrauten Menschen bekannt sind, aber nicht in das Bild des Artikels passen würden. Das war zum Beispiel in der Ukraine-Berichterstattung der meisten deutschen Journalisten im Jahr 2014 zu beobachten, besonders im Januar bis April, zum Teil aber weit darüber hinaus. Die Journalisten waren mit dem Thema vertraut, teilweise sogar vor Ort.

Die Kombination von teilweise wahren Fakten mit der Auslassung relevanter anderer Fakten und gegebenenfalls sogar mit Falschdarstellungen ist eine sehr effiziente Form der Irreführung des Lesers, Zuhörers oder Zuschauers. Wer ein anderes Weltbild hat als das (ziemlich uniforme) Weltbild der meisten Journalisten in den Medien mit großem Verbreitungsgrad („Mainstream-Medien“) wird diese Art von Irreführung bemerken und zwar wieder und wieder.

Die Methode des ungeprüften Kopierens

Was werfe ich den Journalisten des Focus und Independent denn eigentlich vor? Sie haben doch nur, stark verkürzt und unter anderem Titel, wiedergegeben, was Van Doorsselaere und Lapenta in ihrem Blogeintrag geschrieben hatten.

Aber sie haben es nicht überprüft. Nicht auf logische Stimmigkeit und nicht durch Gegenrecherche, etwa, indem sie eine zweite Meinung bei einem anderen Experten eingeholt hätten. Diese Technik des ungeprüften Umschreibens anderer Texte ist so häufig, dass Sie die meisten Artikel in „Mainstream-Medien“ wirklich nicht lesen müssen. Es handelt sich nur um Hörensagen. Die Zuverlässigkeit der Information unterscheidet sich nur unwesentlich von derjenigen eines Gerüchts.

Die Hygiene des Lesens: Wenn Ihnen der Journalist, der den Artikel gezeichnet hat, nicht schon seit längerem bekannt ist, nehmen Sie die Information stets nur unter Vorbehalt auf. Sie ist ungesichert. Wenn Sie zu diesem Thema gesicherte Information haben wollen, müssen Sie selbst gegenrecherchieren. Wenn der Artikel oder die Meldung nicht gezeichnet ist, müssen Sie grundsätzlich selbst gegenrecherchieren oder sie vergessen die Meldung besser wieder.

Das ist leider der gegenwärtige Zustand des Journalismus. Es gibt nur ganz wenige Medien, denen Sie im Ganzen weitgehend vertrauen können. Das einzige, das ich kenne, ist der britische Economist, der natürlich auch Meinungen verbreitet, aber diese darlegt, nachdem die Faktenlage nach bestem Wissen und Gewissen objektiv dargestellt wurde.

Die Stellungnahme von Giovanni Lapenta

Nachdem ich heute früh zuerst die Meldung auf der Seite des Independent gelesen hatte, habe ich das folgende E-Mail an Giovanni Lapenta und Tom Van Doorsselaere geschrieben:

Lieber Dr. Lapenta, lieber Dr van (sic!) Doorsselaere,

Ich weiß, dass Sie in diesen Tagen viel E-Mail bekommen müssen. Können Sie bestätigen, dass die Nachrichten Ihre Analyse verfälscht wiedergeben? Ich gehe davon aus, dass Sie sehr gut wissen, dass ein Kampfjet eine 90-Grad-Kurve fliegen kann, nicht in einem Augenblick, aber sehr schnell. In der Tat erwähnen Sie das an einem anderen Punkt der Analyse.

Was ist dann falsch an der russischen Behauptung über eine 90-Grad-Wendung? Können Sie aus den öffentlich zugänglichen (niedrig aufgelösten) Daten wirklich sicher schließen, dass die von Russland behauptete Flugbahn falsch sein muss? Wenn ja, wie haben Sie das berechnet?

Oder war es vielmehr so, dass der Journalist, der Sie über Ihre Ergebnisse befragt hat, versucht hat, von Ihnen irgendeine Aussage zu bekommen, was möglicherweise an der russischen Version falsch sein könnte?

Mit freundlichen Grüßen

Gunnar Jeschke

PS: Meine Fragen beziehen sich auf die im britischen Independent veröffentlichte Version, aber laut meiner Internet-Recherche präsentieren alle Medien die Geschichte mit der gleichen Kernaussage.

Das E-Mail ist im Original Englisch, ich habe es hier so getreu wie möglich übersetzt. Gleiches gilt für die Antworten.

Hier ist die Antwort von Giovanni Lapenta, der die Gruppe leitet, in der Tom Van Doorsselaere ständiger Mitarbeiter ist:

Lieber Jenschke (sic!)

ich spreche nur für mich selbst, wenn ich sage, dass das physikalische Argument über die Falschheit der türkischen Version unangreifbar ist. Die lügen. Die russische Version ist unter bestimmten Annahmen plausibel, wie etwa denjenigen, die Sie machen. Annahmen allerdings, die man in Zweifel ziehen kann. Meiner Meinung nach ist die russische Geschichte physikalisch möglich, aber es gibt gewisse mögliche Zweifel, die man den Journalisten fairerweise mitteilen musste, um eine ausgewogene Sicht der Möglichkeiten zu präsentieren. Die türkische Version ist Nonsens. Ich bin nicht sicher, dass mein Kollege mit dieser Ansicht übereinstimmen würde.

Gruß

Giovanni

Ich war über die schnelle Antwort (an einem Sonntag!) sehr erfreut und finde sie befriedigend, mit Ausnahme eines Punktes. Was am Ende herausgekommen ist, schon im Blog, aber vor allem in den „Mainstream-Medien“ ist alles andere als ausgewogen.

Die Stellungnahme von Tom Van Doorsselaere

Die Antwort Toms gebe ich an zweiter Stelle wieder, weil ich sie später erhalten habe, aber immer noch sehr schnell. So viel zu der Frage, ob die Journalisten der einzelnen Medien hätten weitere Erkundigungen einziehen können.

Lieber Gunnar,

Es ist schön, mit einem Wissenschaftler darüber zu reden. Ich vermute, Du hast selbst sehr ähnliche Rechnungen durchgeführt.

Es ist uns völlig bewusst, das Jets sehr schnelle Kurven fliegen, denn genau dazu wurden sie konstruiert. Allerdings müssen die Beschleunigungskräfte auch vom Piloten toleriert werden, was für die Manöver des Jets der limitierende Faktor ist. Wenn der Pilot die Kraft auf 10 G [zehnfache Erdbeschleunigung] begrenzen möchte, so liegt der Kurvenradius etwas über 700 Meter, wenn die Geschwindigkeit 960 km/h beträgt. Die russische Karte zeigt einen Kurvenradius einiger zig Meter. Bei einem Kurvenradius von 100 Metern würdest Du eine G-Kraft von 70 berechnen, die den Piloten sofort umbringen würde.

Ich hoffe, das war hilfreich.

[es folgen die Links des originalen Artikels und der Übersetzung auf Motherboard]

Tom

Dazu kann ich nur sagen, dass die Physik stimmt. Der Kurvenradius ist genau dadurch begrenzt. Ich halte es allerdings für naiv, aus einer derart schematischen Karte (das ist die im Blogeintrag mit etwas geringerer Auflösung gezeigte Version) so weit reichende Schlussfolgerungen ziehen zu wollen, abgesehen davon, dass diese eben für den Hergang des Abschusses völlig irrelevant sind.

Eine Anekdote zum Schluss

In der nun vergangenen Woche war eine ZDF-Journalistin auf einer AfD-Kundgebung in Cottbus, um dort Demonstranten zu befragen. Die Bildstrecke wurde an verschiedener Stelle gezeigt. Ein Mann, den sie befragen will, antwortet nur: „Ihr recherchiert nicht.“ Sie sagt (sinngemäß): „Aber gerade das tue ich doch jetzt.“ Der Mann verbittert: „Ihr recherchiert nicht.“ Der Demonstrationszug beginnt „Lügenpresse“ zu skandieren. Schließlich wird die Journalistin, die in den Zug hineingegangen war, sogar körperlich bedrängt und Polizisten springen ihr (ruhig und sachlich) bei.

Natürlich hatte die Journalistin Recht. Sie recherchierte gerade. Und es war auch guter Journalismus, zu insistieren. Aber natürlich hatte der verbitterte Mann auch Recht. Im Allgemeinen recherchieren die Journalisten eben nicht, sie selektieren Meldungen und Bilder in einer Weise, die ihr vorgefasstes Weltbild bestätigt und geben das als Berichterstattung aus. Der Mann war natürlich nicht eloquent. Er war ja gerade erbittert, weil in der öffentlichen Meinung immer die Eloquenten gewinnen und diejenigen, die Zugang zu den Medien mit weitem Verbreitungsgrad haben und weil er nie zu Wort kommt. An dem Tag kam er zu Wort und wurde hinterher der Nation als Buhmann vorgeführt.

Auf einer CD von Gerhard Gundermann gibt es die Geschichte, in der er an einer Straßenkreuzung einen Schaukasten der Bild-Zeitung mit einem demagogischen Spruch sieht und versucht ist, einen Stein hineinzuwerfen. Außerirdische versuchen, ihn davon abzuhalten. Das nämlich sei der Wendepunkt der Weltgeschichte. In einigen Jahrzehnten könnten die Erdbewohner, die dann einen Ersatzplaneten bräuchten, nicht gerettet werden, weil die Erde seit den weltweiten Journalistenprogromen von 2020 intergalaktisch geächtet sei. Gundermann beschreibt dann, was alles die erzürnte Menge während der Pogrome mit den Journalisten gemacht habe, das ganze Programm von Mob und Totalitarismus halt, und warum. Und was er, von den Außerirdischen überzeugt, getan habe, um eine solche Zukunft zu verhindern.

In der Tat sollten beide Seiten, unzufriedene Medienkonsumenten und die Journalisten selbst etwas tun, um diese Entwicklung zu stoppen oder sogar umzukehren.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gunnar Jeschke

Naturwissenschaftler, in der DDR aufgewachsen, gelebt in Schwarzheide, Dresden, Wako-shi (Japan), Bonn, Mainz, Konstanz und Zürich.

Gunnar Jeschke

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