Ein Haushalt für die Ukraine - oder nicht?

Kiew Poroschenko und Jazenjuk haben die Voraussetzungen für Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfond geschaffen. Der Preis ist hoch.

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Am Montagmorgen um 4:15 Uhr war es soweit: Die ukrainische Rada hat mit 233 Stimmen das Gesetzesprojekt Nr. 1000 "Über den Regierungshaushalt der Ukraine für das Jahr 2015" angenommen. Nötig wären mindestens 226 Stimmen gewesen. Während fünf fraktionslose Abgeordnete zugestimmt haben, fanden sich in den Fraktionen der Regierungskoalition nur 228 Befürworter, obwohl diese Parteien eigentlich über eine verfassungsgebende Mehrheit von 300 Stimmen verfügen. Der eigentlich für den 28. Dezember geplanten Abstimmung waren stundenlange Unterbrechungen und Diskussionen vorausgegangen und man geht wohl kaum fehl mit der Annahme, dass der Zeitpunkt der Abstimmung derjenige war, zu dem sich Poroschenko und Jazenjuk erstmals sicher sein konnten, dass sie mindestens die 226 nötigen Stimmen erreichen.

Vorausgegangen war eine Meldung, dass Poroschenko am Nachmittag des 28.12. all denen empfohlen hatte, die Fraktion seiner Partei zu verlassen, die nicht für das Budget stimmen wollten. Das dementierte am frühen Abend der Vorsitzende der Partei Block Poroschenko, Jurij Luzenko, der sagte, die Regierungskoalition stehe und kein Abgeordneter würde auf Betreiben des Präsidenten aus der Fraktion ausgeschlossen. Am Ende stimmten 30 der 150 Abgeordneten des Block Poroschenko nicht für das Haushaltsgesetz, einer der 82 Abgeordneten von Jazenjuks Volksfront nicht, 10 der 32 Abgeordneten der Partei Selbsthilfe des Lwiwer Bürgermeisters nicht, 5 der 22 Abgeordneten der Radikalen Partei Oleh Liaschko nicht, und unter den 19 Abgeordneten der Vaterland-Partei von Julia Timoschenko gab es keine einzige "Ja"-Stimme. Der prominenteste Gegner des Haushalts im Block Poroschenko ist vermutlich Mustafa Najem, der Journalist dessen Aufruf zu einer Demonstration am Abend des 21. November 2013 der Ausgangspunkt des Euromaidan war. Der Vollständigkeit halber sollte man sagen, dass unter den 5 formell fraktionslosen Befürwortern der Parlamentssprecher Wiktor Groisman (Block Poroschenko) und der Vize-Sprecher Andrij Parubi (Volksfront) waren, mit deren "Ja"-Stimmen Poroschenko und Jazenjuk fest rechnen konnten.

Die Gräben in der Regierungskoalition und selbst innerhalb des Block Poroschenko sind auch nach der Abstimmung noch tief. Sergij Leschtschenko, ein Journalist der Ukrainskaja Prawda, der dem Block Poroschenko angehört, hat sich über das Ende der Parlamentssitzung so geäußert: "Die Vergewaltigung des Parlaments auch noch mit der Nationalhymne abzusegnen, ist schon ein spezielle Art von Patriotismus." Igor Luzenko aus der Fraktion der Vaterland-Partei hat in einem Blog auf der Webseite der gleichen Zeitung geschrieben, dass der Haushalt nicht wirklich existieren würde. Das Kabinett sei gerade erst im Begriff, ihn zu schreiben. Der vor ein paar Tagen herumgereichte Entwurf sei veraltet. Tatsächlich sind die letzten auf der Webseite des Parlaments verfügbaren Dokumente der Entwurf in der Form vom 22. Dezember und eine Stellungnahme von Experten vom 24. Dezember. Der Entwurf ist aber seitdem und auch während der gestrigen Diskussionen verändert worden. Allerorten wird zugegeben, dass viele Abgeordnete das Dokument gar nicht gesehen hätten, über das sie um 4:15 Uhr abgestimmt haben. Der Abgeordnete Volodymyr Parasyuk spricht von einem Blanko-Scheck, den das Parlament Jazenjuk ausgestellt habe. Die tatsächlichen Zahlen würden von am gleichen Tag angenommenen Gesetzen beeinflusst und seien gar nicht bekannt. Jazenjuk können nun in den Haushalt schreiben, was er wolle und damit diejenigen bevorzugen, die er bevorzugen wolle.

Proteste gegen den Haushaltsentwurf hatte es auch von Seiten der Maidan-Aktivisten gegeben. Etwa 500 Demonstranten des Auto-Maidan und des Finanz-Maidan hatten sich vor dem Parlament versammelt, auch die Fahne des Rechten Sektors war zu sehen. Wie üblich hatten die Maidan-Aktivisten versucht, mit Gewalt in das Parlament vorzudringen, waren aber von Sicherheitskräften daran gehindert worden. Einer der Gründe ist die Rücknahme bisher geltender sozialer Garantien in einem separaten Gesetz, ohne das der Haushaltsentwurf gar nicht gesetzeskonform wäre. Mehrere solcher Gesetze waren vor der eigentlichen Abstimmung beschlossen worden.

Nach den vorliegenden Zahlen, wird die Ukraine 2015 ein Defizit von etwa 4 Mrd. US$ machen, das 3,7% des vorhergesagten Bruttosozialprodukts (BSP) entspricht. Dabei wird angenommen, dass das BSP um 4.3% schrumpft und die ukrainische Währung Hryvnia einen Kurs von 17 gegenüber dem US$ haben wird. Beides sind optimistische Schätzungen. Da die Ukraine die Wirtschaftskraft des Donbass und Exportmärkte in Russland erst im Laufe des Jahres 2014 verloren hat, schlagen diese Verluste im BSP des Jahres 2014 weniger zu Buche, als sie das 2015 tun werden. Selbst wenn sich an der Wirtschaftskraft der Ukraine gegenüber dem heutigen Tag nichts ändern würde, so wäre das BSP 2015 doch deutlich geringer als dasjenige 2014. Genaue Zahlen dazu habe ich nicht, aber die 4,3% dürften eine angemessene Schätzung allein für diesen Effekt sein. Das Diagramm zum Wechselkurs des Hryvnia macht den Eindruck, dass die ukrainische Nationalbank wie schon in Vorbereitung der Parlamentswahlen (Zielkurs 13), so auch in Vorbereitung der Haushaltsabstimmung den Kurs (Zielkurs 15,8) verteidigt hat. Dass er im Mittel über das ganze Jahr 2015 bei 17 gehalten werden kann, ist wenig wahrscheinlich. Die projizierten Zahlen dürften wohl selbst dann nicht mehr stimmen, wenn die Annahmen zum BSP und Währungskurs richtig wären, weil es ja Änderungen im Haushaltsentwurf und in den angegliederten Gesetzen gab, um Abgeordnetenstimmen zu gewinnen. Diese Änderungen werden aller Wahrscheinlichkeit nach mehr Ausgaben und weniger Einnahmen bedeuten.

Vorsichtshalber steht der gerade verabschiedete Haushalt ohnehin schon wieder unter Vorbehalt. Jazenjuk hat angekündigt, dass er Mitte Februar nach den Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) revidiert würde. Diese Verhandlungen, für die nun der Wege frei ist und die am 8. Januar beginnen werden, sind die eigentliche Basis für den Haushalt 2015, denn die Ukraine kann sich derzeit am Kapitalmarkt keine neuen Kredite besorgen und sie wird ohne neues Geld im Jahre 2015 zahlungsunfähig werden. Genau deshalb musste der Haushalt, der keiner ist, auch noch in diesem Jahr vom Parlament in der Form eines Blanko-Schecks beschlossen werden. Was das am Ende für die Stabilität der Regierungskoalition und der ukrainischen Gesellschaft bedeuten wird, steht in den Sternen. Viel politischen Kredit in der Rada dürfen Poroschenko und Jazenjuk jedenfalls nicht mehr verlieren, wenn die Ukraine in der Form einer parlamentarischen Demokratie regierbar bleiben soll.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gunnar Jeschke

Naturwissenschaftler, in der DDR aufgewachsen, gelebt in Schwarzheide, Dresden, Wako-shi (Japan), Bonn, Mainz, Konstanz und Zürich.

Gunnar Jeschke

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