Götzendämmerung

Debakel Entschuldigung am Mittwoch, große Sprüche am Donnerstag, Reflektion nicht zu erwarten.

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Zugegeben, dieser Titel ist Friedrich Nietzsche sehr viel eher eingefallen als mir und sein bestes Werk war das nicht. So tief, wie die politische Sonne steht, ist das aber kein Manko. Selbst bloße Schatten werfen jetzt noch lange Schatten. Hier fällt dieser Schatten auf Angela Merkel, ihre Entourage und alle weiteren Politiker und Journalisten, die von Mutti nicht loskommen. Und auf das, was sie eint.

Mit Götterdämmerungen haben Götzendämmerungen gemeinsam, dass dem Sonnenuntergang kein Aufgang mehr folgt. Dieser Sonnenuntergang wird nicht schön anzusehen sein. Wenn es dabei nur um diejenigen gehen würde, die ihre Positionen auf die eine oder andere Weise der Kanzlerin verdanken, wäre es keinen Text wert. Was hier geschieht, scheint aber sehr viel tiefer zu gehen. Es geht – möglicherweise – um den Untergang einer ganzen politischen Richtung, die in Deutschland von Angela Merkel verkörpert wird. Im Bestreben, ihre eigene Person alternativlos zu machen, hat sie diese Richtung sehr breit ausgedehnt. Entsprechend viel steht auf dem Spiel.

Diese politische Richtung ist freilich nicht auf Deutschland beschränkt. Sie existiert im ganzen politischen Westen. In den internationalen Institutionen, die der politische Westen geschaffen hat, gibt sie den Ton an. Um sie kurz zu charakterisieren, kann man sagen, dass die Anhänger dieser Richtung an Aktivismus glauben, an Professionalität hingegen nicht. Wohin das führt, ist nach einem Jahr Corona-Krise überdeutlich geworden. Die Masse der Bevölkerung hat das nicht rational erfasst, wird es vielleicht auch nie rational erfassen, aber sie wird sich früher oder später davon abwenden.

Was geschah Montagnacht?

Schon vor dem Treffen der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer am Montagabend hatte die Deutsche Welle orakelt, dass die Macht von Angela Merkel schwinde. Was dann genau geschah, wissen wir nicht. Nach Aussage von Bodo Ramelow, Ministerpräsident des einzigen Bundeslandes, das der Schweiz als Risikogebiet gilt, verabschiedete sich Angela Merkel nach zweistündigen Verhandlungen in eine fünfzehnminütige Pause, die dann sechs Stunden dauerte und während der auch einige andere Ministerpräsidenten fehlten. Zurück kam sie dann mit dem Vorschlag der Osterruhe. Dieser Vorschlag hätte auch um 2 Uhr nachts von Leuten mit Regierungserfahrung als völlig unpraktikabel und mit der Rechtsordnung unvereinbar erkannt werden müssen. Dennoch einigte sich die Runde darauf – ob einige dabei die Kanzlerin absichtlich ins offene Messer laufen ließen, werden wir wohl nie erfahren. Es wäre beruhigender, wenn dies der Fall war, als wenn ausnahmslos alle an das glaubten, was sie da taten.

Vorgeschlagen wurden zwei zusätzliche Feiertage, deren genauer Charakter noch nicht einmal definiert war, die aber in weniger als zwei Wochen hätten vorbereitet werden müssen. An ihrem sonst eher byzantinischen Hof muss dann doch irgendjemand Angela Merkel gesagt haben, dass die Regierung stürzen würde, wenn man ernsthaft versuchen würde, das umzusetzen. Bereits am Mittwoch nahm Angela Merkel die Entscheidung zurück und entschuldigte sich. Die Eile war wohl dem Umstand geschuldet, dass der Bundestag sie sonst in einer am Mittwochmittag geplanten Sitzung zerpflückt hätte. Konsequenzen zog sie keine. Schon am Donnerstag trat sie wieder mit bestimmtem Ton auf und machte Ansagen. Das ist ein weiteres Charakteristikum dieser Politikrichtung. Ihre Akteure lernen nicht dazu, nicht einmal aus groben Fehlern. Das war Teflon-Merkel vom Feinsten.

Wie geht das weiter?

Das Nichtanhaften von Verantwortung an Angela Merkel war in fetten Jahren - wenn auch Jahren einer fetten Stagnation - ein machtpolitischer Vorteil. In Krisenzeiten freilich wird das Verantwortungsvakuum offenbar, zumal wenn eine ganze politische Klasse versucht, dieses Verhalten zu imitieren. Die Umfragewerte der Union stürzten schon vor dem Debakel am Dienstag und Mittwoch ab. Was an diesen Tagen geschehen ist, wird den Fall kaum gebremst haben. Wenn die Union sich noch eine Weile geduldet, kann sie auf die komplizierte Kür eines Kanzlerkandidaten verzichten. Freilich ist sie in ihrem jetzigen Zustand auch als Opposition unbrauchbar.

Im Prinzip gibt es drei mögliche Szenarien. Erstens könnte die Union Angela Merkel so schnell wie möglich ersetzen, durch jemanden, der oder die einen glaubhaften Neuanfang verkörpert. Zweitens könnte Angela Merkel selbst eine neue Politik definieren, um den Absturz zu bremsen. Das dritte Szenario ist ein Niedergang, der nicht nur die Union mitreißen wird. Ich diskutiere diese Szenarien nacheinander.

Wir kennen Angela Merkel nach so langer Zeit gut genug, um Eines sicher zu wissen: Sie wird das Feld nicht freiwillig räumen. Irgend so ein Hagen muss die Siegfriedin von hinten erstechen, natürlich nur im politischen Sinne. Diesen Hagen scheint es in der Union nicht zu geben, auch keine Hagin. Dass es niemanden gibt, wissen wir daher, dass die Union sechs Monate vor der Bundestagswahl noch keinen Kanzlerkandidaten hat. Ich kann mir auch keinen der Kandidatenkandidaten so recht als Kanzler vorstellen. Friedrich Merz freilich, der gäbe einen Hagen ab. Unwahrscheinlich ist allerdings, dass eine Merz-Fronde gelingen würde und wenn, würde sie die Union spalten. Je nach der Fallgeschwindigkeit der Umfragewerte der Union in den nächsten Wochen kann man das Königinsturzszenario dennoch nicht völlig ausschließen. Es wird aber in jedem Fall zu spät kommen, wenig überzeugend sein und den Sturz der Union nicht verhindern.

Das zweite Szenario ist deshalb unwahrscheinlich, weil eine Angela Merkel keine Fehler macht. Wenn sie einen eingesteht und sich entschuldigt, handelt es sich nur um ein taktisches Manöver, wie bei all ihren politischen Handlungen. Man sieht das daran, dass man einen Fehler analysieren und Vorkehrungen treffen würde, um dessen Wiederholung zu verhindern. Wer das nicht tut, hat psychologisch nicht anerkannt, einen Fehler begangen zu haben.

Nehmen wir aber mal an, dass auch ihr beim Blick auf die Umfragezahlen – die wenig mit Maskenprovisionen zu tun haben – schwant, dass doch irgendetwas geschehen muss, falls ihr Lebenswerk nicht den Weg der Titanic nehmen soll. Ein glaubhafter Neuanfang wäre schwierig, auch im ersten Szenario übrigens. In einem Jahr von, nicht Philosophie mit dem Hammer, wohl aber Propaganda mit dem Hammer, wurde alles verunglimpft, was professionelles Handeln angesichts der Epidemie wäre. Das Problem wäre nicht einmal in erster Linie, dass man nun vieles tun müsste, was lange Zeit von der anderen Seite verlangt worden ist und was man immer abgelehnt oder ignoriert hat. Der Gesichtsverlust ist sowieso längst geschehen. Ein Problem ist, dass gerade die Restwähler der Union an die Richtigkeit der gescheiterten Politik glauben, obwohl auch sie unzufrieden sind und diese Unzufriedenheit aus dem Versagen dieser Politik resultiert. Das zweite Problem ist noch größer. Das eine Jahr hat eine Entourage von Journalisten und Wissenschaftlern geschaffen, deren Gesichtsverlust bei einer Politikänderung dramatisch wäre. Diese werden alles in ihrer Macht Stehende tun, um einen Neuanfang zu torpedieren.

Der einzige glaubhafte Schwenk wäre eine vollständige Öffnung, nachdem jede und jeder ein Impfangebot hatte. Dieser Zeitpunkt wird aber politisch zu spät kommen.

Das Niedergangsszenario

Das wahrscheinlichste Szenario ist daher dasjenige, für das Angela Merkel bekannt ist: Weiter so. Es gibt guten Grund zu der Annahme, dass die Stimmungstrends und Trends in den Wahlumfragen sich dann auch so entscheiden: Weiter so. Die Union wird dann nach der Bundestagswahl sehr wahrscheinlich nicht mehr die stärkste Fraktion stellen und in jedem Fall wird es für die anderen Parteien eine Hypothek sein, sie mit in die Regierungskoalition aufzunehmen – ganz abgesehen von den offenen Rechnungen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird es Koalitionsoptionen unter Ausschluss der Union geben.

Das wäre alles kein Beinbruch, im Gegenteil. Die Union ist politisch verbraucht, hat keinen Führungsnachwuchs und das war schon vor der Corona-Krise so. Es täte der Bundesrepublik gut, wenn sie in der Opposition landen würde, wo sie allerdings Schwierigkeiten haben wird, sich in Gegenwart der AfD zu profilieren.

Das Problem ist ein Anderes. Die anderen Parteien, die eine Regierungskoalition bilden können, verkörpern keine Alternative zu Angela Merkel. Das Vertrauen in diese Parteien wird langsamer fallen als dasjenige in die Union. Deshalb werden sie relativ gesehen in den Umfragen gewinnen. Aber das Vertrauen in diese Parteien wird auch fallen und es ist schon jetzt nicht hoch. Auch diese Parteien haben keinen Führungsnachwuchs und keine plausiblen Kandidaten oder Kandidatinnen für die Kanzlerschaft. Einen Neuanfang könnte lediglich Boris Palmer glaubhaft verkörpern, der aber in seiner eigenen Partei auch nicht annähernd mehrheitsfähig ist – und vermutlich auch zu intelligent, eine Aufgabe anzunehmen, an der er nur scheitern kann.

Das Problem geht aber noch tiefer. All diese Parteien eint nicht nur, dass sie dem Aktivismus allezeit den Vorzug vor der Professionalität geben. All diese Parteien eint auch, mit mikroskopischen Unterschieden, der Glaube an Einschränkungen des Konsums, des Tourismus, des Fliegens, der Billigfleischproduktion, der industriellen Landwirtschaft und der Glaube daran, dass die Bevölkerung erzogen werden müsse. Einzelne Leser werden hier vielleicht einwenden, dass die FDP programmatisch nicht für diese Dinge steht. Allein, davon ist wenig zu sehen und in der bestehenden Ampel-Koalition auf Landesebene gar nichts.

Verstehen Sie mich hier nicht falsch. Ich halte all diese Dinge auch für überzogen und ein Umsteuern für nötig. Leider hat ein Jahr Corona-Krise dieses Umsteuern negativ konnotiert, weil die Epidemie als Vorwand benutzt wurde, Einschränkungen in diesen Richtungen durchzusetzen. Es ist ganz unerheblich, ob die Bevölkerung das rational erkennt. Es ist sogar unerheblich, ob die Politiker die Situation bewusst ausgenutzt haben oder ob diese Annahme eine Verschwörungstheorie ist. Der Punkt ist, dass solche Einschränkungen auf absehbare Zeit mit Zwang und Missstimmung verbunden sind. Psychologisch drängen die Menschen auf Kompensation für die verlorene Zeit, nicht auf Weiterführung der Einschränkungen. Dieser Effekt geht bis weit in die Kreise, die rational für ein Umsteuern sind.

Zusammen mit der professionellen Unfähigkeit der politischen Klasse und der Führungsunfähigkeit auch ihrer hochrangigsten Vertreter, ist das eine explosive Mischung. Früher oder später wird sich eine Kraft finden, die diese Schwäche ausnutzen kann.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gunnar Jeschke

Naturwissenschaftler, in der DDR aufgewachsen, gelebt in Schwarzheide, Dresden, Wako-shi (Japan), Bonn, Mainz, Konstanz und Zürich.

Gunnar Jeschke

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