Wochenende

In eigener Sache Auch der längste Freitag ist irgendwann vorbei. Ich ziehe Bilanz.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Freitagmorgen

Der Freitag begann für mich am 31. August 2014. Spiegel Online reagierte gerade schwer allergisch auf meine Kommentare zur Ukraine-Krise. In der Freitag Community (dFC) hingegen konnte ich nicht nur kommentieren. Ich konnte längere Blogbeiträge veröffentlichen, die ohne vorherige redaktionelle Begutachtung schön formatiert erschienen. In meinem ersten Beitrag stellte ich die These auf: “Ein Krieg um den Donbass- möglicherweise um die gesamte Ost- und Südostukraine- ist kaum noch vermeidbar. Die EU steht vor einem strategischen Dilemma.” Er zog nur vier Kommentare auf sich. Der zweite Beitrag, in dem es um die vermutliche Energieknappheit in der Ukraine im Winter 2014/15 ging, sogar nur drei. Seitdem sind mehr als acht Jahre vergangen.

Monatelang konnte ich in der dFC in aller Ruhe publizistisches Schreiben üben, ohne dass es vielen Leuten auffiel; schon gar nicht der Redaktion. Das änderte sich erst, als ich am 10. Januar 2015 einen schludrig recherchierten Artikel von CORRECTIV zum MH-17-Abschuss in der Ostukraine sezierte. Die 223 Kommentare, einschließlich meiner eigenen, sind nach heutigen Standards nicht viel. Damals waren sie es. Die CORRECTIV-Redaktion las meinen Beitrag und ich nehme an, dass auch die Redaktion des Freitag seit diesem Beitrag meinen Namen kannte. Zum ersten Kontakt mit der Redaktion kam es allerdings erst ein Jahr später, nachdem ich eine pointierte Gegenposition zu einem gerade erschienenen Beitrag von Michael Jäger über das “Unwort des Jahres” 2015 veröffentlicht hatte. Herr Jäger schrieb damals selbst einen Kommentar zu meinem Beitrag und verteidigte seinen Standpunkt. Ich fühlte mich anerkannt und fand, dFC sei ein kultiviertes Diskussionsmedium, das sich angenehm vom Zeitgeist abhob.

Die Sache verlief immer harmonischer. Am 17. April 2016 und am 8. Mai 2016 erhielten Beiträge von mir Redaktionsempfehlungen, was ihrer Popularität unter Kommentatoren allerdings wenig half. Das geschah noch mehrfach. Manche dieser Beiträge fanden ein größeres Echo in der dFC, auch manche der nicht empfohlenen. Mehr als 100 Kommentare unter einem Blogbeitrag blieben aber eine Seltenheit. Es hätte noch lange so weitergehen können.

Dreizehn Uhr mittags

Am 26. April 2018 schlug es 13. Der Community Support teilte mir mit, dass ich vier Wochen lang gesperrt sei. Zuvor waren zwei meiner Kommentare unter einem Beitrag der damals noch recht neuen Redakteurin Else Koester eingeklappt worden. Die Begründung bezog sich jedoch nicht auf den Wortlaut eines dieser Kommentare. Auf Rückfrage hieß es, ich sei mehrfach durch die aktive Beteiligung an anti-feministischen Diskussionen aufgefallen und in der Summe habe das nun zu einer Sperre geführt. Das kam knapp zwei Monate nach meiner bis dato letzten Redaktionsempfehlung.

Ich bin nicht leicht mundtot zu machen, wenn ich nicht schweigen will. Eine neue E-Mail-Adresse, ein neuer Username, ein neuer Blogbeitrag. Der Beitrag verschwand. Eine neue E-Mail-Adresse, ein neuer Username, ein neuer Blogbeitrag. Das spielten wir eine Weile miteinander. An einem Samstagabend veröffentlichte eine gewisse Drosphila (“Lebt nicht lange, legt aber viele Eier”) einen Blogbeitrag zum Umgang der EU mit Italien. Am Sonntag musste ein vielleicht nicht ganz so erfahrener Mitarbeiter die Redaktionsempfehlung auswählen. Er fand, dass Drosophila akzeptabel schrieb und das Thema in die dFC passte. Am Montag, dem 4. Juni 2018 erkannte jemand in der Redaktion meinen Stil. Mein urprüngliches Konto wurde wiederhergestellt. Man muss dem Freitag zugute halten, dass er auch danach noch einen meiner Beiträge mit einer Redaktionsempfehlung versah.

Freitag nach eins

Danach muss sich entweder die Qualität meiner Beiträge verschlechtert haben oder wir haben uns inhaltlich auseinandergelebt. Die Empfehlung vom Juli 2018 blieb die letzte. Es ging aber alles gut, immer wieder mal ein Beitrag, keine Sperre. Ansonsten verschwanden zunehmend Foristen, die ich mal gekannt hatte. Nicht jeder, der aus irgendeinem Anlass gesperrt wurde, kam hinterher zurück. Ich selbst hatte aber lange keine Probleme. Ich hatte sie selbst dann nicht, als ich der Frage nachging, warum im im Bahnhofskiosk Lübbenau die Zeitschrift Compact als einziges buntes Politikmagazin ausliegt. Dieser Blogbeitrag traf einen Nerv, wenn man das an der Anzahl der Kommentare ablesen kann. Selbst der Herausgeber von Compact wurde aufmerksam. Er las Anerkennung seiner selbst, wo eigentlich nur Kritik an den journalistischen Leistungen auf der Gegenseite war. Auf mehr als 500 Kommentare brachte es aber auch dieser Beitrag nicht. Das war nur der Kritik an der gesellschaftlichen Rezeption Greta Thunbergs beschieden. Inzwischen sagt sie, nach dieser Zeit befragt, sie wolle nicht zu streng mit ihrem damaligen Selbst sein. Die Greta Thunberg von heute ist erwachsener als ihre alten Jünger von damals. In der Regel aber blieben meine Blogbeiträge wenig beachtet.

Wie so Vieles, geriet auch Dieses erst nach dem Corona-Lockdown aus dem Gleis. Seit meinem zweiten Beitrag zur Corona-Krise liegt die durchschnittliche Zahl der Kommentare zu meinen Texten über 100, Tendenz steigend. Das galt auch für Beiträge, die sich nicht auf Corona bezogen. Das galt sogar für einen Beitrag zum Ursprung von Corona, der mehrfach entfernt und nach einigen Tagen doch zugelassen wurde. Zwischendurch war auch mein Kommentarzugang gesperrt gewesen, diesmal, ohne dass mich der Community Support informiert hätte. Eine genaue Erklärung gab es nie, obwohl Michael Jäger sich zu diesem Vorwall in den Kommentarspalten meldete. Vermutlich hatte die Readaktion Angst vor einer Klage Herrn Drostens.

Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine gerieten die Kommentarzahlen unter meinen Beiträgen, wie so Vieles, endgültig außer Kontrolle. Bereits mein erster Beitrag über den Krieg und die westliche Reaktion darauf zog, einschließlich meiner Antworten, über 500 Kommentare auf sich. Seitdem ist die Zahl, mit einer knappen Ausnahme, nie mehr unter 500 gefallen, selbst wenn ich über ein anderes Thema schrieb.

Mitternacht

Die Geisterstunde brach unerwartet an. Am 12. Oktober wurde die Kommentarfunktion meines letzten Beitrags deaktiviert, ohne mich zu fragen oder zu benachrichtigen. Stattdessen erhielt ich heute früh noch eine Zusammenfassung der Links zu vier Kommentaren, die ich gar nicht mehr lesen konnte. Der Beitrag hatte bis zur Deaktivierung 967 Kommentare auf sich gezogen.

Die Diskussion war, bis auf die Zahl der Kommentare, nicht außer Kontrolle geraten. Einzelne Kommentare wurden eingeklappt, aber nicht am Tag vor der Deaktivierung. Auch Foristen, deren Kommentare eingeklappt wurden, beteiligten sich danach wieder konstruktiv an der Diskussion. Menschen mit entgegengesetzten Meinungen begegneten sich, in der Regel zivil und mit Argumenten.

Natürlich frage ich mich, warum das nicht toleriert werden konnte. Andeutungen eines Foristen in der Vergangenheit legen nahe, dass die Popularität meiner Beiträge unter Kommentatoren von der Redaktion als problematisch betrachtet wurde und dass sie die Kommentarfunktion deshalb deaktivieren ließ. Sollte dem so gewesen sein, so wäre das aus meiner Sicht unakzeptabel und auch intellektuell unanständig. Solange sich die Redaktion oder der Community Support nicht mir gegenüber erklären, muss ich davon ausgehen, dass dem so war.

Anders als die Enfernung von Blogbeiträgen oder eine vollständige Sperrung animiert mich dieses Verhalten nicht zum Kampf. Ich werde die Kommentarspalte dieses neuen Beitrags noch betreuen, so lange sie existieren darf und dann werde ich mich in ein metaphorisches Wochenende verabschieden. Der Freitag ist für mich verstrichen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gunnar Jeschke

Naturwissenschaftler, in der DDR aufgewachsen, gelebt in Schwarzheide, Dresden, Wako-shi (Japan), Bonn, Mainz, Konstanz und Zürich.

Gunnar Jeschke

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