Ist da was?

Covid-19 Die am Robert-Koch-Institut beheimatete Arbeitsgemeinschaft Influenza hat seit der 16. Kalenderwoche keinen positiven SARS-Cov2-Test mehr erhalten. Was bedeutet das?

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Laut ihrer Selbsterklärung ist das Ziel der Arbeitsgruppe Influenza (AGI) am Robert-Koch-Institut (RKI) „die zeitnahe ganzjährige Überwachung und Berichterstattung des Verlaufs und der Stärke der Aktivität akuter Atemwegserkrankungen“ (Hervorhebung der AGI). Sie tut das, indem sie sich aus Sentinelpraxen (etwa 1% der Arztpraxen in Deutschland) Proben akut infizierter Personen zuschicken lässt und diese auf verschiedene Viren untersucht. Obwohl 1% der Artzpraxen nur ein geringer Anteil ist, erhält man durch die Verteilung ein repräsentatives Bild für die Gesamtbevölkerung, mit dem man wegen der Stabilität der Teststrategie auch zuverlässige Aussagen über Epidemieverläufe getroffen werden können.

Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf Influenza, die bis Anfang dieses Jahres auch als der wahrscheinlichste Kandidat für eine Pandemie galt. Seit Kalenderwoche 8 (begann am 17. Februar) untersucht die AGI die Proben auch auf SARS-Cov2 und hat in Kalenderwoche 10 den ersten positiven Test gemeldet. Die Wochen- bzw. Monatsberichte sind seit Kalenderwoche 40/2008 vollständig archiviert. In der Erkältungssaison sind es Wochenberichte, im Sommer nur Monatsberichte. Der letzte Wochenbericht bisher umfasst die Woche vom 9. Mai bis 15. Mai.

Halt, halt, halt. Ich dachte, wir hätten diesen Sommer eine hohe Aktivität akuter Atemwegserkrankungen. Aber die AGI handelt völlig konsistent. Seit Kalenderwoche 16, die am 13. April begann, hat sie keine einzige SARS-Cov2-positive Probe mehr eingesandt bekommen. Sie hat seitdem immerhin 749 Proben akut atemwegsinfizierter Personen untersucht.

„Die Aktivität der akuten Atemwegserkrankungen in der Bevölkerung (GrippeWeb) ist von der 29. bis zur 32. Kalenderwoche (KW) 2020 bundesweit gesunken. Auch die Werte der ARE-Konsultationsinzidenz (Arbeitsgemeinschaft Influenza) sind im Berichtszeitraum leicht gesunken und befinden sich weiterhin auf einem jahreszeitlich üblichen niedrigen Niveau wie im Vorjahr um diese Zeit.“ aus dem aktuellen Bericht der AGI

Halt, halt, halt, nochmal. ZDF, ARD und Deutschlandfunk sagen mir jeden Morgen und jeden Abend das Gegenteil. Wie geht das zusammen?

Die Einschätzung der AGI passt durchaus zu den offiziellen Corona-Daten (linke Grafik in Abbildung 1), sofern man auf die Sterbefälle schaut. Man sieht, bis auf die Streuung, die man bei kleinen Zahlen erwartet, seit dem Höhepunkt Mitte April einen stetigen Abfall. Für die offizielle Zahl positiver SARS-Cov2-Tests, die eine andere Abteilung des RKI ermittelt, galt das bis Anfang Juni auch. Seit etwa Mitte Juni steigt sie aber wieder. Das gilt für die letzten fünf Wochen (bis auf die in der rechten Grafik von Abbildung 1 nicht mehr gezeigte Woche 33) sogar für den Anteil positiver Tests. Es gilt aber nicht für diesen Anteil bei den an die AGI eingesandten Proben. Von den 392 Proben seit dem 1. Juni war keine einzige positiv.

Weil die Probenzahl bei der AGI aber nicht sehr hoch ist, müssen wir etwas genauer prüfen, ob die beiden Datensätze miteinander konsistent sind. Exakter gesagt prüfen wir die Hypothese, ob die Proben der AGI und diejenigen, auf denen die offiziellen Corona-Daten beruhen, die gleiche Grundgesamtheit abbilden und mit vergleichbarer Zuverlässigkeit charakterisiert wurden.

Der statistische Test

Ich prüfe das auf die folgende Weise. Aus dem Covid-19-Berichten, in denen das RKI wöchentlich die Gesamtzahl der Tests und positiven Tests pro Woche veröffentlich entnehme ich diese Daten und berechne den Anteil der positiven Tests (Prävalenz). Dieser ist in der rechten Grafik von Abbildung 1 dargestellt. Die statistische Unsicherheit dieses Anteils resultiert hauptsächlich daraus, dass die Zahlen der positiven Tests pro Woche keine sehr großen Zahlen im statistischen Sinn sind. Ich habe diese Unsicherheiten über eine Normalverteilung abgeschätzt. Für diese Abschätzung sind die Zahlen hoch genug.

Dann habe ich mit einer Monte-Carlo-Rechnung zufällig je Versuch für alle Wochen seit dem 1. Juni jeweils so viele Proben je Woche aus der Grundgesamtheit entnommen, wie die AGI auch untersucht hat. Dabei habe ich in jeder Woche die vom RKI behauptete Prävalenz angenommen. Auf einem Computer geht das sehr schnell, sodass ich eine Milliarde Mal „würfeln“ konnte. Mit dieser Zahl von Versuchen kann ich die Wahrscheinlichkeit, dass beide Datensätze konsistent sind, zu (0.0980 ± 0.0005)% ermitteln. Der Einfachheit halber runde ich auf 0.1%. Mit einer Wahrscheinlichkeit von mindestens 1000:1 entsprechen die offiziellen Corona-Daten nicht dem gleichen Phänomen wie die AGI-Daten.

Das „mindestens“ resultiert daraus, dass man eigentlich einen höheren Anteil positiver Tests in den AGI-Daten erwartet. Diese Proben stammen alle von symptomatischen, akut infizierten Personen. Die offiziellen Corona-Daten enthalten dem Vernehmen nach sehr viele Tests an nicht symptomatischen Personen, die sich gesund fühlen und einfach nur aus dem Ausland zurückgekommen sind. Es werden derzeit so viele Tests durchgeführt, dass rechnerisch jede Woche 1% der deutschen Bevölkerung getestet werden. So viele Leute mit akuten Atemwegsinfektionen gibt es im Sommer gar nicht – denken Sie mal daran, wie groß Ihr eigener Bekanntenkreis ist.

Wer hat Recht?

Da die Datensätze mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit inkonsistent sind, kann nur einer ein realistisches Bild der Epidemiesituation zeichnen. Instinktiv glaubt man eher der AGI, die insgesamt fast 20 Jahre Erfahrung hat und deren Angehörige sich seitdem Tag für Tag mit genau der Art von Problem befassen, um das es hier geht. Deshalb ist es wichtig, auch zu prüfen, was die Daten der AGI statistisch gesehen aussagen.

Wenn es keine positiven Tests gibt, ist die wahrscheinlichste Hypothese natürlich, dass es keine Infektionen gibt. Wegen der begrenzten Anzahl von Tests ist sie aber nicht die einzige Hypothese, die eine realistische Wahrscheinlichkeit besitzt. Man kann nun auf die gleiche Weise mit einem Monte-Carlo-Verfahren prüfen, mit welcher mittleren Infektionsrate seit Kalenderwoche 16 die 749 negativen Tests in Folge noch vereinbar sind. Ich habe das in Schritten von 0.05% getan. Nimmt man wie üblich ein Vertrauensintervall von 95% an, so ist ein mittlerer Anteil von 0.4% SARS-Cov2-positiven Personen unter Patienten mit akuten Atemwegsinfektionen seit dem 13. April gerade noch mit den AGI-Daten vereinbar. Multipliziert man das mit dem Anteil der Personen mit Atemwegsinfektionen in der Gesamtbevölkerung, dann kann man beim besten Willen nicht von einer andauernden Covid-19-Epidemie in Deutschland reden.

Was ist falsch an den offiziellen Corona-Daten?

Wir wissen nicht genau, warum die offiziellen Corona-Daten ein völlig verzerrtes Bild der Situation zeichnen. Wir erkennen aber einige Schwächen und insgesamt eine extreme Intransparenz:

  • Es ist nicht sicher, ob in allen Fällen mindestens zwei verschiedene Genabschnitte getestet werden
  • Es ist nicht sicher, dass die in die Statistik eigehenden Tests alle an verschiedenen Personen durchgeführt werden. In der Schweiz ist das beispielsweise nicht der Fall. Mehrfache positive Tests der gleichen Person zeichnen bei geringer Prävalenz ein stark verzerrtes Bild
  • Es ist völlig intransparent, wie sich die Grundgesamtheit zusammensetzt, aus der die getesteten Personen ausgewählt werden, wie repräsentativ sie ist und ob die Teststrategie zeitlich stabil ist

Die offiziellen Corona-Daten haben zweifellos einen großen Propaganda-Wert, der auch weidlich ausgenutzt wird. Das kann man schon daran sehen, dass sie seit März in den Medien und von Politikern ohne Normierung auf die Gesamtzahl der Tests diskutiert werden, was offensichtlich das Bild verzerrt.

Ebenso unzweifelhaft ist es, dass die offiziellen Corona-Daten keinerlei wissenschaftlichen Wert haben. Wer aus den seit Anfang Juni aufgelaufenen Daten Rückschlüsse auf die Entwicklung der Epidemiesituation zieht, ist nichts weiter als ein Scharlatan.

Nachtrag:

Über die Diskrepanz zwischen den Daten der AGI und den offiziellen Corona-Testdaten hat (meines Wissens) erstmals Oliver Märtens am 21. Juni auf Multipolar berichtet.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gunnar Jeschke

Naturwissenschaftler, in der DDR aufgewachsen, gelebt in Schwarzheide, Dresden, Wako-shi (Japan), Bonn, Mainz, Konstanz und Zürich.

Gunnar Jeschke

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