Mutti verlässt den Raum

Interregnum Angela Merkel hat keine Autorität mehr in der CDU.

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Der angekündigte Rückzug von Annegret Kramp-Karrenbauer aus der CDU-Spitze wird von Leitmedien dargestellt, als resultiere er aus ihrem Autoritätsverlust gegenüber dem Thüringer Landesverband. Das mag nicht völlig falsch sein, verdeckt aber ein viel folgenschwereres Problem. Die Kanzlerin, die derzeit selten den Mund vor den Medien öffnet und dann noch gar im Ausland zu innenpolitischen Fragen, hatte sich in Südafrika zur Wahl Kemmerichs zum Thüringer Ministerpräsidenten geäußert. Angela Merkel sprach ein Machtwort, nannte das Verhalten der Parlamentarier dieses Landesverbandes „unverzeihlich“ und regte baldige Neuwahlen in Thüringen an. Daraus folgte in der Thüringer CDU – nichts.

Annegret Kramp-Karrenbauer verhandelte in Erfurt als Emissär der Kanzlerin und blieb auf der ganzen Linie erfolglos. Sie gab am Montag nichts mehr auf, was ihr nicht ohnehin genommen worden wäre – eher genommen, als sie es jetzt freiwillig hergeben will. Politisch naiv wäre es freilich, wenn sie wirklich glaubte, was sie bezüglich des Zeitraums für den Führungswechsel und ihre Rolle bei dessen Moderation gesagt hat. Wer in der CDU noch etwas werden will, muss sich nicht mit Kramp-Karrenbauer gut stellen, sondern einer neuen Führung in den Sattel helfen. In diesem Spiel werden sich viele versuchen. Eine aber wird keinerlei Einfluss mehr ausüben können: Angela Merkel.

Das sind schlechte Nachrichten für ihre Entourage und diejenige Annegret Kramp-Karrenbauers. Für diejenigen, die wegen ihrer Loyalität zur Kanzlerin oder ihrer Unterstützung für die Wahl von AKK zur Parteivorsitzenden in Ämter befördert wurden, für die es ihnen an politischem Können fehlt, wird nun die Luft dünn. Peter Altmaier, Anja Karliczek und Paul Ziemiak werden nach der Neuordnung der CDU-Führung ihre Positionen verlieren.

Viel wichtiger sind aber die inhaltlichen Fragen. Angela Merkel hatte vor einigen Jahren richtig erkannt, dass die Union im städtischen Raum und unter jüngeren Leuten als gesellschaftspolitisch verstaubt galt und an Boden verlor. Sie hat ihre Partei ein ganzes Stück weit in Richtung dieses Milieus bewegt. Im Großen und Ganzen hat sie damit den Grünen einen Anschein von Seriosität verschafft und den Wählerwechsel in diesem Milieus weg von der CDU eher beschleunigt. Gleichzeitig hat sie unter älteren Leuten und auf dem Land Wähler verloren.

Niemand glaubt mehr an diese Strategie, außer einigen Politjournalisten, die nur im urban-intellektuellen Milieu verkehren. Sie kann der CDU nach der nächsten Bundestagswahl maximal die Rolle eines Juniorpartners in einer grün-schwarzen Koalition einbringen. Nicht einmal das ist mehr sicher. Die Proponenten dieser Strategie werden den Kampf um den Parteivorsitz nicht noch einmal gewinnen. Ihr Einfluss in der CDU wird auf allen Ebenen drastisch zurückgehen. Das ist kein Verlust für die Demokratie, denn um die Gunst der urban-intellektuellen Wähler buhlen derzeit vier Parteien – Grüne, CDU, SPD und die Linke, in gewissem Maße auch noch die CSU. Um wessen Gunst die FDP derzeit auf der Basis welcher Inhalte und Werte buhlt, müsste mir erst jemand erklären.

Eine Abwendung von Merkels Strategie ist jedoch auch riskant. Die Erosion im traditionellen Milieu kann nicht gestoppt oder umgekehrt werden, ohne dass die Wende deutlich ausfällt. Sie kann aber nur deutlich ausfallen, wenn die CDU die Illusion aufgibt, weiter Volkspartei zu sein. Das wiederum würde die Wanderung bestimmter CDU-Wählerschichten zu den Grünen beschleunigen. Zudem wird eine deutliche Rückwendung der CDU zu konservativen Positionen und zu einer Recht-und-Ordnung-Politik die AfD hoffähiger machen. Ohnehin ist mit dieser politischen Richtung unter Ausschluss der AfD auf absehbare Zeit keine Regierungsmehrheit zu holen. Aus all dem folgt, dass es gar nicht so wichtig ist, wen die CDU als Kanzlerkandidaten aufstellt. Sie wird den nächsten Kanzler nicht stellen, so oder so nicht.

Bleibt Söder, der letzte Mohikaner des Volksparteikonzepts. Mit einem Kandidaten Söder hätte die Union derzeit noch eine realistische Chance, nach Bundestagswahlen stärkste Fraktion zu werden. Auch das gilt aber nur, wenn sich die CDU ohne Muttis Moderation nicht selbst zerfleischt. Deshalb müsste bald gewählt werden. Die unvermeidliche Abwendung der CDU von Merkels Kurs wird das gesellschaftliche Klima und die öffentliche Diskussion verändern. Im neuen Klima wird Söders Stern weniger hell strahlen.

Die beste Machtoption der Union wäre daher eine möglichst schnelle Neuwahl mit Söder als Kanzlerkandidaten. Die Aspiranten für den CDU-Parteivorsitz allerdings werden ihren Einfluss dahingehend gelten machen, dass ihre eigenen besten Machtoptionen wahrgenommen werden. Mit den gegeneinander gerichteten Dolchen noch im Gewande werden sie sich einig sein, dass es einer nicht werden dürfe – Söder. Die eigenen Chancen überschätzen Spitzenpolitiker immer. Pessimisten steigen so weit nicht auf.

Angela Merkel wird bei all diesen Entwicklungen kein Wort mehr mitzureden haben. Die kommenden Männer der CDU – und es sind nur Männer – werden sie dulden, bis sie untereinander ihr Turnier ausgefochten haben, weil ihnen vorher Neuwahlen ungelegen kämen. Sobald es einen Kanzlerkandidaten gibt, wird dieser auch Kanzler – das gebietet die politische Vernunft. Ich wäre erstaunt, wenn Angela Merkel im Herbst noch im Amt ist.

Ohnehin hat Deutschland seit dieser Woche neben einem Bundespräsidenten mit der Kraft der warmen Worte (Grebe) nun auch eine Bundeskanzlerin, die nicht viel mehr hat als die Kraft der warmen Worte.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gunnar Jeschke

Naturwissenschaftler, in der DDR aufgewachsen, gelebt in Schwarzheide, Dresden, Wako-shi (Japan), Bonn, Mainz, Konstanz und Zürich.

Gunnar Jeschke

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