Prolog mit Fragezeichen
Die beste Analyse des Brexit findet sich noch immer im Roman „Der Premierminister“ (engl. „Head of State“) von Andrew Marr, der bereits 2014 erschienen ist. Das ist weniger erstaunlich, als es klingt. Andrew Marr ist einer der angesehensten Politjournalisten Großbritanniens und die Bruchlinien in der britischen Bevölkerung und unter britischen Politikern bezüglich der EU lagen 2014 bereits offen. Daneben findet sich in dem Roman auch eine profunde Kritik des Zustands der Medien und ihrer Rolle in der Politik. Eine der Protagonistinnen lässt Marr über Artikelunterschriften nachdenken, die mit einem Fragezeichen enden. Lucy weiß, dass diese grundsätzlich die Antwort verdienen: „Nee, nicht wirklich“. Behalten Sie das im Hinterkopf. In diesem Wortlaut.
Zwei Fehldiagnosen
Am 4. März 2018 fielen Georgia Pridham (25) zwei Personen ins Auge, die zusammengesackt auf einer Parkbank in Salisbury saßen (The Telegraph). Der fein gekleidete Mann hatte die Hände erhoben und starrte auf das gegenüberliegende Gebäude. Seine Begleiterin sah grau aus und lehnte an seiner Schulter. Pridham dachte, es sei doch seltsam, dass so gut gekleidete Menschen auf Drogen seien. Heute wissen wir, dass es sich um Sergej Skripal und seine Tochter Julia handelte und nicht um Drogen, sondern um ein Nervengift. Die Ärzte allerdings tippten zunächst auch auf Fentanyl. Fentanyl ist ein synthetisches Opiat, das um ein Vielfaches wirksamer als Morphium ist, als Schmerzmittel verwendet, aber auch als Designerdroge hergestellt wird.
Am 30. Juni 2018 wurde Dawn Sturgess (44) ins Krankenhaus eingeliefert, nachdem sie im Haus ihres Partners Charles Rowley (45) in Amesbury, etwa 13 km von Salisbury entfernt, das Bewusstsein verloren hatte (BBC). Die Polizei und die Ärzte tippten zunächst wieder auf Opiate, in diesem Fall Heroin oder Crack Kokain. Dawn Sturgess sah nicht zu fein für solche Drogen aus. Nach einiger Zeit bemerkten sie allerdings, dass die Symptome denen der Skripals ähnelten und tatsächlich stellte sich heraus, dass es sich wieder um das Organophosphor-Nervengift handelte, das britische Behörden kurz und falsch als „Nowitschok“ bezeichnen.
Wie in solchen Fällen heutzutage üblich, wurden die Ärzte hinterher von Laien kritisiert. Sie verteidigten sich damit, dass es eine naheliegende Diagnose war. Dawn Sturgess war Trinkerin und nahm Drogen. Ihre Freunde behaupten allerdings, sie habe niemals Heroin oder Crack genommen, sondern nur Amphetamine (The Sun). Auch das sind Designerdrogen. Ecstasy und Crystal Meth gehören zu dieser Klasse von Verbindungen.
Dawn Sturgess konnte nicht gerettet werden. Sie starb am 9. Juli, entweder, weil in diesem Fall die Dosis zu hoch oder weil ihre Gesundheit bereits angegriffen war. Während die Skripals gleichzeitig betroffen waren, dauerte es am 30. Juni acht Stunden, ehe auch Charles Rowley ins Koma fiel. Er befindet sich inzwischen auf dem Weg der Besserung und hat bereits mit den Untersuchungsbehörden gesprochen. Dass die Polizei am 11. Juli die Flasche mit „Nowitschok“ in seinem Haus fand, könnte auf diese Gespräche zurückzuführen sein. Erstaunlich ist nur, dass sie dort nicht eher suchte, denn sowohl Dawn als auch Charlie hatte es in der Wohnung in Amesbury getroffen und Organophosphor-Nervengifte wirken im Normalfall innerhalb von Minuten.
Das Desinteresse deutscher Medien
Der Fall Skripal schlug in den deutschen Medien große Wellen und hatte mit gegenseitigen Diplomatenausweisungen und Auseinandersetzungen in der UNO und bei der Organisation zum Verbot von Chemiewaffen (OPCW) erhebliche politische Auswirkungen. Man hätte erwartet, dass die selben Medien die neuen Entwicklungen diskutieren und zum Fall Skripal in Beziehung setzen. Wahrscheinlich ist allerdings, dass Ihnen, wenn Sie vor allem deutsche Medien verfolgt haben, die meisten oben dargestellten und weiter unten folgenden Details des Falles Sturgess-Rowley unbekannt sind.
Die Erklärung ist einfach. All diese Medien hatten Anfang März das britische Regierungsnarrativ kolportiert. Dieses liest sich inzwischen so: Der russische Geheimdienst hat versucht, den ehemaligen Doppelagenten Sergej Skripal kurz vor der Wiederwahl Putins und der Fußballweltmeisterschaft in Russland mit einem in Russland entwickelten Nervengift umzubringen, ist gescheitert und die Flasche mit dem Nervengift ist daraufhin in die Hände einer Drogen einnehmenden Trinkerin und ihres Partners gefallen. Angesichts dieser Situation sind auch begnadete Demagogen hilflos.
Dem russischen Gegennarrativ ergeht es allerdings auch nicht besser. Dieses liest sich nun so: Der britische Geheimdienst hat versucht, Russland aus Propagandagründen einen Giftanschlag auf Sergej Skripal in die Schuhe zu schieben. Er hat dabei die Kontrolle über eine Flasche mit Nervengift verloren, die in die Hände einer Drogen einnehmenden Trinkerin und ihres Partners gefallen ist.
Eine dieser implausiblen Geschichten muss wahr sein – oder ein privater Akteur in Salisbury hat Zugang zu einem Organophosphor-Nervengift, über das in der Öffentlichkeit fast nichts bekannt ist.
Drogenverstecke und tote Briefkästen
Dawn Sturgess hat nicht bei Charles Rowley gelebt, sondern in der Herberge John Baker House in Salisbury, die entwurzelten Menschen Unterstützung bietet. Zwischen dieser Herberge und dem Restaurant Zizzi, in dem die Skripals am 4. März zwischen 14:20 Uhr und 15:35 Uhr gegessen hatten (BBC), liegen nur wenige hundert Meter. Der Notruf wurde am 4. März um 16:15 Uhr ausgelöst und die Skripals wurden auf einer Bank außerhalb des Zizzi gefunden.
Einen Hinweis darauf, woher Dawn Sturgess das Fläschchen mit dem Gift gehabt haben könnte, schreibt die Sun ihren Freunden zu. Ein Tom Ricks sprach von einem Drogenversteck in den Queen Elizabeth Gardens in Salisbury. Die Lieferung über derartige Verstecke minimiert das Risiko des Dealers, bei der Übergabe verhaftet zu werden. Der gleichen konspirativen Technik bedienen sich Geheimdienste, um das Zusammentreffen zweier Agenten zu vermeiden. Man spricht dann von einem „toten Briefkasten“. Die Queen Elizabeth Gardens befinden sich – Sie ahnen es schon – wenige hundert Meter entfernt vom Restaurant Zizzi und vom Einkaufszentrum Maltings, in dem Sergej Skripal sein Auto geparkt hatte.
Sollte Dawn Sturgess das Fläschchen tatsächlich aus einem Drogenversteck haben, was ziemlich plausibel ist, so müssen wir zwei Fragen beantworten. Welche Beziehung hatte Sergej Skripal zu diesem Versteck? Dass der russische Geheimdienst das Fläschchen nach einem Attentat dort abgelegt hat, dürfen wir dabei wohl ausschließen. Auch dürfte er kaum Sturgess als Attentäterin benutzt haben. Und wie kommt ein potentes Nervengift in ein Drogenversteck?
Nervengiftsymptome bei geringer Dosis
Zunächst müssen wir die Titelfrage dieses Blogs beantworten: Könnte man ein Organophosphor-Nervengift bei geringer Dosis als Designerdroge benutzen? Man kann das nicht ohne Prüfung ausschließen. Gewisse Symptome bei zu hoher Dosis scheinen denen von Opiaten bei zu hoher Dosis zu ähneln. Eine Verringerung der Reizleitung zwischen Nerven könnte zu Rauschzuständen führen.
Nun würde man vielleicht denken, man könne das schwer überprüfen, weil wohl niemand entsprechende Experimente an Menschen durchgeführt habe. Das ist falsch. Ein sehr detaillierter englischsprachiger Bericht über solche Experimente Ende der 1950er Jahre im Edgewood Arsenal der US-Armee ist öffentlich zugänglich. Dabei wurde Freiwilligen der Kampfstoff VX in geringer Dosis injiziert oder über einen Tropf zugeführt. Zur teilweisen Ehrenrettung der drei beteiligten Wissenschaftler ist zu sagen, dass einer von ihnen (Van M. Sim, ein Arzt), der erste Freiwillige war. Es sind die Symptome, die bei ihm aufgetreten sind, die in dem Bericht detailliert beschrieben werden. Der einzige drogenähnliche Effekt war eine Verzerrung der visuellen Wahrnehmung, bei der die Kollegen etwas größer und sehr dünn erschienen. Es gab aber jede Menge unangenehmer Symptome, so dass sich VX, bei welcher Dosis auch immer, wohl keiner Person zweimal als Droge verkaufen ließe. Die US-Armee hat Versuche mit chemischen Kampfstoffen an Freiwilligen 1975 eingestellt.
Im militärischen Kontext ist eine Applikation auf der Haut relevant. Dass in Edgewood zunächst mit Injektionen experimentiert wurde, hatte den Grund, dass diese für die ersten Experimente als zu riskant erschien. Das wiederum wusste man in Edgewood wohl, weil es dabei anderswo im Mai 1953 einen Todesfall gegeben hatte. Anderswo ist Porton Down, wo VX auch entwickelt worden ist. Ronald Maddison starb, nachdem ihm VX auf den Arm geträufelt worden war (The Guardian). Das bedeutete nicht das Ende derartiger Forschungen in Porton Down. Zwischen 1945 und 1989 wurden dort 3400 Freiwillige Nervengift ausgesetzt. Porton Down liegt – Sie ahnen es ungefähr – etwa 10 km nordnordöstlich von Salisbury und etwa 10 km südsüdöstlich von Amesbury.
Die Ergebnisse der entsprechenden Forschungen hat Helen Rice, die heute in Porton Down arbeitet, 2017 in einem 36-seitigen Kapitel eines Buchs über die Toxikologie in der chemischen Kriegsführung zusammengefasst. Sie bestätigen die Symptome der ohne Bezahlung zugänglichen amerikanischen Studie. Rice argumentiert, man müsse heutzutage in der Verteidigungsforschung die Dosis-Wirkungs-Beziehung aus Tierversuchen ableiten, da man nicht am Menschen experimentieren könne. Die Ergebnisse der Untersuchungen mit niedrigen Dosen an Menschen in Porton Down aus den 1940er-1980er Jahren wären dafür hilfreich.
Aus den Ergebnissen in Edgewood und Porton Down können wir schließen, dass weder die vor 1945 in Deutschland entwickelten Kampfstoffe Sarin, Soman und Tabun, noch VX oder dessen russisches Äquivalent VR bei geringen Dosen als Designerdrogen brauchbar wären. Gilt das auch für „Nowitschok“-Verbindungen, insbesondere für A-234? Damit wurden nach Aussagen des damaligen britischen Außenministers Boris Johnson gegenüber dem russischen Botschafter die Skripals vergiftet. Man kann es nicht genau wissen. Im Gegensatz zu den deutschen Kampfstoffen sowie VX und VR, hat A-234 keine Phosphor-Kohlenstoffbindung. Das Fehlen dieser Bindung kann toxikologisch relevant sein, denn Pestizide ohne diese Bindung haben eine viel geringere Warmblütertoxizität. Wenn allerdings A-234 in Salisbury als Designerdroge im Umlauf wäre, wäre die Quelle mit fast absoluter Sicherheit ein Chemiker aus Porton Down. Weiß man in Porton Down dazu genug über die Substanz?
Der Westen und Nowitschok
Mit hoher Sicherheit ist A-234 die von Mirzayanov vorgeschlagene und nicht die von Hoenig vorgeschlagene Struktur zuzuweisen. Dieses A-234 hatte in Edgewood Dennis K. Rohrbaugh in den Händen – natürlich nur im übertragenen Sinne – denn er hat dessen Massenspektrum in der Datenbasis des National Institute of Standards and Technology (NIST) der USA hinterlegt. 2001 wurde es daraus wieder entfernt – die Geheimhaltungsstufe hatte sich geändert. Verschwunden ist es auch aus den anderen vier Datenbanken, die der damalige NIST-Eintrag für die Verbindung aufführte – unter anderem derjenigen zur Toxikologie. Möglicherweise hatte man inzwischen neue Information, zum Beispiel diejenige, dass die Verbindung in Russland bereits bekannt und 1995 beim Mordanschlag auf den Bankier Kivelidi in Moskau eingesetzt worden war. In den Gerichtsakten des Moskauer Prozesses findet sich nämlich ebenfalls eine Liste von Massenfragmenten des eingesetzten Gifts und diese stimmt mit Rohrbaughs Daten überein. Die damaligen Ereignisse legen nahe, dass auch A-234 in Minuten wirkt.
Wir wissen auch, dass eine Diskussion von Mirzayanovs 2008 veröffentlichtem Buch über das „Nowitschok“-Programm durch westliche Vertreter bei der OPCW dem damaligen britischen Verteidigungsminister sehr ungelegen kam. Er intervenierte bei seinen niederländischen und finnischen Amtskollegen. Die US-Botschaft in Den Haag fand das so wichtig, dass sie die CIA, den Nationalen Sicherheitsrat, den US-amerikanischen Verteidigungsminister und die US-amerikanische Außenministerin in einer Depesche vom 26. März 2009 informierte und Anweisungen erbat. Diese Depesche wiederum fiel später in die Hände von Wikileaks. Die Antwort von Hillary Clinton, damals US-Außenministerin, stammt vom 3. April 2009. Die Anweisung lautete „Vermeiden Sie jede substantielle Diskussion von Mirzayanovs Buch“.
Porton Down hat auf Anfrage der britischen Presse weder dementieren noch bestätigen wollen, dass es im Besitz von „Nowitschok“ ist.
Man kann sicher davon ausgehen, dass es in Edgewood und Porton Down Tierversuche an A-234 gegeben hat. Dennoch kann man wohl auch sicher ausschließen, dass ein Chemiker aus Porton Down versucht hat, A-234 als Designerdroge in Umlauf zu bringen. Es ist einfacher, weniger riskant und unverdächtiger, Amphetamine zu synthetisieren – zumal das auch in einem Heimlabor machbar wäre.
Die Sache mit dem Fragezeichen
Nein, nicht wirklich. Ich hatte Sie gewarnt, aber vermutlich fühlen Sie sich nun doch etwas hintergangen. Wie die Journalisten von Boulevard-Blättern werde ich mit dem Trick wohl trotzdem Erfolg bei Ihnen haben, denn die paar restlichen Zeilen lesen Sie jetzt auch noch.
Denn wir müssen ja noch klären, welche Verbindung es nun zwischen Sergej Skripal und Dawn Sturgess gegeben haben könnte. Fangen wir mit dem Giftfläschchen an. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit stammt es aus Porton Down. Dann gab es dort entweder einen Kontrollverlust oder es handelt sich doch um eine Geheimdienstaktion. Bei einem Kontrollverlust ist schwer zu erklären, wie es in das Drogenversteck gelangte, das die wahrscheinlichste Verbindung von Skripal und Sturgess ist. Aber ist das nicht auch bei der Geheimdienstversion absurd?
Was nun folgt, ist Spekulation, die Sie auch eine Verschwörungstheorie nennen dürfen. Ich habe keine Belege. Nehmen wir an, ein Chemiker aus Porton Down war Amphetamin-Lieferant örtlicher Drogendealer. Nehmen wir weiter an, er ist aufgeflogen. Er wird einen Kurier benötigt haben, da er kaum so blöd gewesen sein dürfte, sich direkt mit Drogendealern zu treffen. Wer in Porton Down arbeitet, hat eine Sicherheitseinstufung und ist nicht naiv. Wer könnte der Kurier gewesen sein, der dann ja ein unverdächtiger Kontakt gewesen sein muss?
Warum eigentlich wohnte Sergej Skripal in Salisbury? Als Agent war er verbrannt, aber er scheint noch Kontakt mit seinem ehemaligen MI6-Führungsoffizier Pablo Miller gehabt zu haben, der bei Orbis Business Intelligence arbeitete und dessen Linked-In-Profil am 7. März 2018 gelöscht wurde. Orbis Business Intelligence ist von einem anderen ehemaligen MI6-Agenten, Christopher Steele, gegründet worden, der ein (fragwürdiges) Dossier über Trump und Russland in Umlauf gebracht hat. Wovon lebte Sergej Skripal und was tat er so den ganzen Tag? Er wäre nicht der erste ehemalige Geheimdienstler, der die erlernten konspirativen Techniken und erworbenen Kontakte privat nutzte. Unter diesen ist mit Ludwig-Holger Pfahls ein ehemaliger Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz.
Nehmen wir also spaßeshalber an, Sergej Skripal sei der Amphetamin-Kurier des Chemikers aus Porton Down gewesen. Wenn das aufgeflogen ist, gab es beim MI6 Krisensitzungen. Ein ehemaliger Doppelagent, der erpressbar ist und Kontakte in die Verteidigungsforschung hat, ist wirklich ein Großunfall. Natürlich hätte man ihn lautlos verschwinden lassen können. Aber ein Geheimdienst, der etwas auf sich hält, neigt zur Mehrfachverwendung von Aktionen. Russland war gerade dabei, in Syrien eine geostrategische Auseinandersetzung zu gewinnen, in die der MI6 viel investiert hatte. Es wäre ein Leichtes gewesen, Skripal mit A-234 statt Amphetamin zu beliefern und dafür zu sorgen, dass er mit dem Gift in Kontakt kommt, zumal die Lieferung über einen zweiten toten Briefkasten gelaufen sein dürfte.
In diesem Narrativ hat es dann zwei unvorhergesehene Komplikationen gegeben, die zu Kollateralschäden führten. Erstens kam auch Julia Skripal in Kontakt mit dem Gift, was hochproblematisch war, weil sie im Gegensatz zu ihrem Vater russische Staatsbürgerin ist. Möglicherweise durch diesen unvorhergesehenen Zwischenfall wurde das Fläschchen nicht rechtzeitig wieder aufgesammelt. Es geriet in die Hände von Dawn Sturgess, die sich aber nicht sofort vergiftete und in der Aufregung dieses Tages das Fläschchen auch nicht öffnete. Das tat sie erst Monate später, mit fatalen Folgen für sich und ihren Partner.
Fazit
Wir wissen nicht, was geschehen ist und wir werden es, wie in solchen Fällen üblich, wohl nie sicher wissen. Wie ebenfalls in solchen Fällen üblich, wissen wir aber, dass das offizielle Narrativ jeder Wahrscheinlichkeit entbehrt.
Kommentare 15
Es freut mich, wieder von Ihnen zu lesen und es freut mich auch, dass ich mit der Boten- Theorie nicht ganz allein bin. Ich glaube nicht, die Wahrheit zu wissen, aber eine gute Theorie sollte zumindest die veröffentlichten und einigermaßen glaubhaften Fakten beinhalten.
Kernpunkt ist für mich das politische Umfeld. Gerade die von GB massiv unterstützten „Freiheitskämpfer“ in Syrien geben mir dabei zu denken. Die reichlich stümperhaften Giftgasangriffe mit Chlorgas oder irgendwo zusammengekratzten oder im Kellerlabor schlecht synthetisierten Kampfstoffen würden einen ganz anderen drive bekommen, wenn man einen Kampfstoff einsetzen könnte, der in den Augen der Weltöffentlichkeit als originär russisch durchgehen würde.
Dass Restbestände einer der Nowitschok- Substanzen bei einem ehemaligen Mitarbeiter eines sowjetischen Chemiewaffenlabors oder einem Ex- KGBler vorhanden sind, kann man bei den Zuständen in der Zusammenbruchphase der UdSSR nicht ausschließen. Der Ex möchte seine Rente aufbessern. Sergej Skripal könnte die Lieferung aus Russland vermittelt haben und seine Tochter war der eigentliche Bote. Dazu passt sehr gut die Parfümflasche.
Die Freunde der Freiheitskämpfer agieren offiziell privat, sicherlich mit wohlwollender Beobachtung von MI6, CIA usw. Aber so ganz genau will man es nicht wissen und weiß es auch nicht, was da im Detail abläuft. Es sollen später keine Aktenvermerke auftauchen. Insofern kannten die Geheimdienste sicherlich die Grundzüge der Aktion aber nicht die Details und alle handelnden Personen.
Nun ist beim Auspacken der Koffer von Julia Skripal etwas schief gegangen und die beiden haben sich kontaminiert. Allerdings haben sie es noch geschafft, die Flasche in den toten Briefkasten abzulegen. Ob Dawn Sturgess und Charles Rowley die nächsten Boten waren oder die Flasche nur zufällig gefunden haben, ist nach der derzeitigen Informationslage nicht zu entscheiden. Hat die Polizei wirklich so schlecht gesucht, um diesen toten Briefkasten nicht zu finden oder konnten Sturgess und Rowley den Briefkasten noch vor der Polizei leeren? Dann lag die Flasche die ganze Zeit bei ihnen zu Hause; nur der nächste Bote kam nicht mehr.
Dieses Szenario würde auch viele der britischen öffentlichen Reaktion erklären. Dann ist es ein Fakt, das Gift kam aus Russland. Mit diesem Fakt, ohne die weiteren Umstände, konnte man im internen Kreis und gegenüber den Verbündeten überzeugend argumentieren. Julia Skripal hat dann auch keinen Anlass, nach Russland zurückzukehren. Auf der anderen Seite ist es für die russische Politik und Geheimdienste kein Ruhmesblatt, zugeben zu müssen, Privatpersonen besitzen chemische Kampfstoffe. Alle Seiten haben genügend Anlass, die wahre Geschichte nicht zu veröffentlichen.
Wie eingangs betont, eine Theorie.
Warum sollten die Briten die Substanz aus Russland bringen lassen? Die Strukturformel ist bekannt und Porton Down hat alles Nötige, um sie in so kleinen Mengen selbst herzustellen.
Mengen für einen (vorgetäuschten) Einsatz als Waffe sind eine andere Sache. Die lassen sich weder privat transportieren, noch mit Labormitteln produzieren. Vor allem: Wenn eine derartige Produktion aufflöge, stünde man als Verletzer der Chemiewaffenkonvention da. Kleinmengen für Tests herzustellen, ist dagegen zulässig.
Ich glaube nicht, dass, „die Briten“, d.h. irgendeine offizielle Institution, auch nicht MI6, die Beschaffung des „Nowitschok“ organisiert hatten. MI6 u.a. haben die Operation nur interessiert beobachtet. Es ist ja in Geheimdienstkreisen nicht unüblich, dass man Vorgänge, die einen potentiell nützlich sein könnten, einfach laufen lässt.
Nun ist über die Parfümflasche wenig bekannt, aber selbst in eine kleine Probeflasche dürfte eine ausreichende Menge für 10 „Nowitschok-„ Tote passen. Das reicht, um auch den skeptischsten Unterhausabgeordneten zu überzeugen.
Dass es in der Zusammenbruchphase der Sowjetunion ein A-234-Leck gab, ist fast sicher, denn, wie im Blog beschrieben, ist wohl Kivelidi von einer russischen Mafiagruppierung damit ermordet worden.
Dass Skripal "eine Lieferung organisiert" hat und dann noch über seine eigene Tochter, kann man ganz sicher ausschliessen. Er hat jahrelang erfolgreich als Doppelagent gearbeitet, hat also Ahnung vom Geheimdienstgeschäft. Er ist dann aufgeflogen und weiss, dass er und seine engsten Kontakte unter Beobachtung stehen.
Er wüsste auch, dass man so einen Stoff nicht in einer Parfümflasche per Flugzeug von einem Land in ein anderes schmuggelt. Niemand, der Ahnung hat, würde eine solche Substanz in einer Parfümflasche auch nur handhaben, ohne Schutzkleidung zu tragen.
Die "Parfümflasche" ist übrigens eine Behauptung des Bruders von Charlie Rowley, die von der Polizei auf Pressenachfrage nicht bestätigt worden ist. Diese hatte von einer "kleinen" Flasche gesprochen.
Hier noch ein Stück Psychologie. Nehmen Sie an, jemand habe die Angewohnheit, Müll nach brauchbaren Dingen zu durchsuchen (das wird Dawn Sturgess und Charlie Rowley nachgesagt). Nun findet er oder sie eine Parfümflasche. Was tut ein Mensch als Erstes, bevor er entscheidet, ob er die Flasche mitnimmt? Das ist nicht geschehen.
In "Reizleitung und Reizmanipulation" (Hintergrund 02/2018) schrieben sie in der Zweitüberschrift: Der Fall Skripal - Politik und Ermittlungsbehörden treffen gerne einmal wissenschaftlich ungedeckte Aussagen.
Das ließe sich auch so formulieren: Die wissenschaftlich ungedeckten Aussagen im Fall Skripal geben dem Verdacht Nahrung, die eher auf die Verdunkelung bekannter Tatsachen hinweisen. Aber das wäre dann wohl Fake News oder gleich eine Verschwörungstheorie.
Das konnte ich leider nicht verlinken. Als ich dieses Blog geschrieben habe, war es noch nicht online.
Aber ja, wer verdunkelt, hat in aller Regel auch etwas zu verbergen.
ich vermute mal jemand mit geld, talent und leuten - also ein geheimdienst - hätte das fläschen nicht vergessen.
das persistente nichtaufklären seitens der journalisten in UK ist nur als vorauseilender gehorsam zu verstehen.
die berichte über die hautaufnahme von a-2xx sind auch sehr unlogisch, tabun/sarin brauchen stunden, nowitschok minuten und der rest auf der haut hört auf zu wirken - gibts eine sättigungsgrenze?
just my 3 cents
Es wäre erstaunlich, dass ein Geheimdienst das Fläschchen nicht wieder aufnimmt, aber nicht undenkbar, wenn bei der Aktion etwas anderes schiefgegangen ist und das Fläschchen dann zufällig schon weg war.
Wie kommen Sie darauf, dass die Hautaufnahme von Sarin und Tabun Stunden braucht? Diese beiden Stoffe sind sehr flüchtig, die Aufnahme erfolgt durch Inhalation.
VX (und VR) sind relativ gut untersucht. Diese sind sehr viskos und die Hautaufnahme ist relevant. Sie findet schon über längere Zeit statt, auch Gift, dass bereits unter die Hautoberfläche vorgedrungen ist, wird noch über längere Zeit in den Blutkreislauf abgegeben. Ueber A-234 ist nichts bekannt, aber nach den zu erwartenden Moleküleigenschaften könnte es sich durchaus ähnlich verhalten.
Dass jemand mit dem Gift in Kontakt kommt und dann erst längere Zeit später ins Koma fällt, ist nicht ausgeschlossen, aber sehr unwahrscheinlich. Dass es bei vier Personen passiert ist, kann man praktisch ausschliessen, es sei denn, es handelte sich um eine sehr ausgeklügelte Formulierung (Mischung mit anderen Substanzen), die zu so einer Toxikokinetik führt.
je nach kontext ergeben sich verschiedene szenarien, ein kleines parfümfläschen lässt sich beim fliegen leichter schmuggeln - ist etwas alltägliches. als behältnis für eine spitzelaktion schon wieder weniger, denn eine mitnahme und duftprobe sind wohl kaum auszuschliessen - es dann danach nicht einzusammeln ist ein gau für ein geheimdienst.
die wirkzeiten beziehen sich auf reine hautexposition geringer dosen - bei wikipedia - eine bessere referenz ist cdc - die verzögerungen können bis zu 18h betragen:
@Signs/Symptoms SKIN EXPOSURE:
https://www.cdc.gov/niosh/ershdb/emergencyresponsecard_29750004.html
https://www.cdc.gov/niosh/ershdb/emergencyresponsecard_29750001.html
lt. einem interview mit charlie rowley, hatte er seiner freundin das zeug gegeben, ohne es selbst auszuprobieren (ich mag mal sagen, das war was bekanntes), sie kollaberte in minuten, er erst nach 5h. sie hatte es wohl eingeatmet, er nur über die haut aufgenommen. obs bei den skripals es ähnlich ablief - falls die hände nach fisch rochen, wollten sie es mit dem neuen duft überdecken und auch proberiechen? es scheint mir hier unwahrscheinlich zu sein, dass die beiden sehr unterschiedlichen personen über die verzögerte hautaufnahme gleichzeitig umfallen. der polizist brauchte länger, also hier auch nur hautkontakt - klar ist es spekulation, denn die medien sind hier sehr zurückhaltendend und auch die polizei hält funkstille bei beweisen wie photos und videoaufnahmen. es muss auch mehr fläschen gegeben haben, da charlie meinte, es war noch versiegelt.
https://en.wikipedia.org/wiki/2018_Amesbury_poisonings#Interview_with_Rowley
Ihre drogenspekulation hat einen widerspruch, opcw geht von "nerve agent" aus, ohne es zu nennen, nur mit selbstreferenz auf den englischen vorschlag, was wiederum ziemlich fischig ist. fentanyl oder derrivate geschmuggelt im flugzeug als parfümfläschen - zur weiteren verarbeitung zu einzeldosen - dies würde auch das schweigen der skripals erklären, die haben ein deal gemacht. nur warum haben sie es getestet? nun ja, sommerloch, da kann jeder gerne mitspekulieren ;)
ich sollte nicht so sehr über die engländer motzen, in D hatten ja auch ein vergiftungsfall vor paar jahren, da hat sich die presse auch nicht aufklärungseifrig gezeigt und die justiz konnte nichts nachweisen noch klagen:
https://www.n-tv.de/panorama/Bekam-ein-BER-Ingenieur-Gift-in-den-Kaffee-article17595946.html
Ihre idee mit dem fentanyl und deren derrivate hat eine schöne seite, es gibt einen antagonisten - naloxon - da muss keiner mit hazmat-anzug rumlaufen.
und dann gibt es noch im zusammenhang der rätselhaften aufforderung zur zurückhaltung des State Department/HC im bezug auf novichok, alle doppel/trippelagents würden dies nach moskau melden - warum wollten die damals dies unter der haube halten - da muss doch ein besonderes eigeninteresse der amis hervorstechen....
Schön, dass Sie wieder schreiben, Herr Jeschke!
Wie ich unter Ihrem letzten Artikel ausgeführt habe (ich beziehe mich nur auf die Skripals, für die neueren Entwicklungen habe ich keine Zeit): Wir wissen noch nicht einmal, ob es sich überhaupt um eines der unter "Nowitschok" zusammengefassten Nervengifte handelte.
Was Spekulationen angeht: Russland war es vermutlich nicht, es sei denn, die Verbindung zu Orbis liefert ein Motiv, und russische Auftragskiller vom FSB sind rasend unfähig. Eine False-Flag wird es auch nicht gewesen sein, es sei denn, sie ist fürchterlich schief gegangen.
Ich spekuliere: Die Ereignisse in Salisbury waren so nicht geplant. Irgendetwas war aber in jedem Fall geplant (ein Attentat auf Putin mit dem "russischen" Nowitschok, nach Russland transportiert von Yulia Skripal, falls es denn Nowitschok war?). Es ist kein Zufall, dass Porton Down in der Nähe liegt. Dort gibt es übrigens, höre ich, Gebäude, die US-amerikanisches Hoheitsgebiet sind. Die britische Regierung musste unter allen Umständen die wahren Geschehnisse verschleiern, denn nur so ist die völlige Hanebüchenheit des offiziellen Narrativs zu erklären. Es hat mit Steele, dem Trump-Dossier und Pablo Miller zu tun.
Neben Craig Murray hat auch http://www.theblogmire.com/ hier hervorragende Arbeit geleistet.
fyi, ansonsten ins /dev/null schieben.
es gab paar screenshots davon bei twitter, die sind aber arangiert - ob das echt ist?
ein paper über die behandlung von orga-phosphor-giften, so ab seite 35 wirds interessant:
https://patentimages.storage.googleapis.com/c9/fa/1c/d7485ae1cc52f3/US9132135.pdf
Das ist tatsächlich interessant. Zwar nennen sie dort Novichoks nur als mögliche Anwendung (getestet haben sie mit Soman und Sarin), aber derartige Patente sind natürlich in Porton Down/Salisbury bekannt. Dort ist also auch bekannt, dass Galantamine (als Razadyne oder Nivalin ein zugelassenes Arzneimittel), als Gegengift sowohl vor dem Kontakt mit Organophosphorgiften als auch danach effektiv ist.
Tatsächlich ist das inzwischen sogar Wikipedia-Wissen. Die entsprechende Forschung wurde übrigens von der US Army gefördert. Man darf annehmen, dass in geheimen Laboren auch Versuche mit "Novichok"-Verbindungen durchgeführt wurden.
daran wurde 2001-2008 geforscht, wenn novichok eingang fand ist nur zu vermuten, 2009 hatte h.clinton den us-diplomaten einen maulkorb verpasst, was eigentlich keinen sinn ergibt.
ja, zeug galantamine hat was, und es stammt von pflanzen aus dem kaukasus - u.u. sind die russen viel früher dran gewesen und haben es weiter entwickelt bis 100% immunisierung, der feuchte traum der cw-designer.
Zum Thema von Desinformationskampagnen durch ehemalige britische Militärs und Geheimdienstler hat nun sogar F.A.Z. online einen Artikel.