Oft gestellte Fragen zur Regierungsbildung

FAQ Der Bundespräsident will mit den drei größten Wahlverlierern über eine Regierungsbildung reden. Was ist zu beachten?

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Ihre Freitag-Redaktion

25.11.2017, 18:45 Uhr

Soll die SPD Martin Schulz (61) ersetzen?

Nein. Dass Martin Schulz im Januar Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur übernahm, spricht nicht so stark gegen ihn, wie manche glauben. Schließlich kam er als Außenseiter, der die Partei gar nicht kannte. Auch dass er mit diesem Klotz von Partei am Bein keinen Wahlkampf gewinnen konnte, ist ihm nicht allzu sehr anzulasten. All das scheint in der SPD vielen - man möchte fast sagen: allzu vielen - durchaus bewusst zu sein. Die SPD kann Schulz als Parteivorsitzenden schlecht absetzen, da sie kaum wieder jemanden mit ausreichenden Persönlichkeitseigenschaften finden wird, dem oder der man das Amt plausibel anbieten kann. Zumindest niemanden, der die Partei so wenig kennt, um es auch anzunehmen.

Soll die CSU Horst Seehofer (68) ersetzen?

Ja, unbedingt. Horst Seehofer hat sich in den vergangenen beiden Legislaturperioden in zwei verschiedenen Regierungskoalitionen ausgesprochen destruktiv verhalten. Dabei hat er politische Projekte durchgesetzt, die sowohl von einer Mehrheit innerhalb der Koalition als auch von einer Mehrheit der Bevölkerung und der Kommentatoren als widersinnig angesehen wurden. Das konnte aus Sicht der CSU so lange als machttaktisch sinnvoll angesehen werden, so lange noch Grund zu der Annahme bestand, die bayrischen Wähler würden es goutieren. Diese Annahme ist am 24. September 2017 widerlegt worden. Zudem verfügt die CSU über mindestens eine Politikerin (Ilse Aigner, 52) und mindestens einen Politiker (Markus Söder, 50), die das Amt des Parteivorsitzenden und Ministerpräsidenten nach einer Anlaufzeit mindestens so gut wie Horst Seehofer ausfüllen könnten. Es gibt keinerlei Grund, an ihm festzuhalten.

Soll die CDU Angela Merkel (63) ersetzen?

Ja.

Wenn Sie meiner Analyse vom Abend des 21. November nicht trauen, können Sie sehr ähnliche Schlussfolgerungen auf der Basis ähnlicher Argumente in einem Kommentar vom 24. November von Eric Gujer in der NZZ nachlesen. Günter Bannas von der FAZ argumentiert heute gegen die Idee vom Ende der Ära Merkel, allerdings auf etwas zweischneidige Art.

Warum ist Frank-Walter Steinmeier (61) Bundespräsident?

Weil nach den Fällen Köhler und Wulff keine unabhängig denkende Person aus dem Umkreis der Union mehr ein Stück Brot von Angela Merkel annehmen wollte.

Soll die SPD ohne Neuwahl in eine Große Koalition mit den Unionsparteien eintreten?

Höchstwahrscheinlich nicht. Diese Lösung wird zwar von großen Teilen des politischen und journalistischen Establishments bevorzugt, aber nur aus unreflektiert nostalgischen Gründen. Es besteht eine tiefe Sehnsucht nach den Gewissheiten der Berliner Republik unter Merkel bis zum August 2015. Es besteht eine große Hoffnung, Angela Merkel könne wieder die Stabilität herbeiführen, für die sie einmal stand. Es wird aber kein Zurück geben. Was immer man von Merkels ursprünglicher Entscheidung zur Grenzöffnung hält, sie hat von Oktober 2015 bis zur Schließung der Balkanroute durch andere Staaten politisch versagt. Sie hat auf dem Bundesparteitag der CDU vor einem Jahr politisch versagt. Sie hat während der Jamaika-Verhandlungen politisch versagt. Sie hat nach dem Ende der Jamaika-Verhandlungen politisch versagt. Niemand außerhalb der CDU vertraut ihr mehr und viele in der CDU tun das auch nicht. Die SPD tut weder sich, noch Deutschland, noch der EU einen Gefallen, wenn sie die Regierungszeit von Angela Merkel unnötig verlängert.

Wenn die Unionsparteien Horst Seehofer und Angela Merkel ohne vorherige Neuwahlen ersetzen, was allerdings sehr unwahrscheinlich ist, so kann eine Große Koalition wegen der inhaltlichen Nähe beider Parteien sinnvoll sein. Wesentlich wäre dabei, der Bevölkerung gegenüber wirklich glaubhaft den Eindruck eines Neuanfangs zu vermitteln und ein konstruktives Regierungsprogramm zu entwickeln, das sich den Herausforderungen der Zeit stellt.

Soll die SPD nach einer Neuwahl in eine Große Koalition mit den Unionsparteien eintreten?

Diese Frage wird sich vermutlich nicht in dieser Form stellen. Wenn diese Kombination nach einer Neuwahl noch eine Mehrheit haben wird, so doch keine solche Mehrheit, dass es noch sinnvoll wäre, von einer Großen Koalition zu sprechen.

Soll die Union eine Minderheitsregierung bilden?

Nein. Ausweislich der Verhandlungen zur Jamaika-Koalition ist Angela Merkel weder dazu in der Lage, in der jetzigen Situation programmatisch zu führen, noch dazu, Kompromisslinien zu finden, die von diversen eigenständigen Partnern akzeptiert werden können. Angela Merkel wird keine politisch handlungsfähige Minderheitsregierung aufbauen können. Wenn die Union sich aber dazu durchringen kann, Angela Merkel zu ersetzen, besteht die Notwendigkeit einer Minderheitsregierung nicht mehr.

Soll eine andere Partei oder Gruppe von Parteien eine Minderheitsregierung bilden?

Diese absurde Idee ist tatsächlich in Mainstream-Medien diskutiert worden. Wer sie ernsthaft in Erwägung zieht, hat keinen blassen Schimmer von Politik.

Sind Neuwahlen die beste Lösung?

Ja. Die Parteien haben in den zwei Monaten seit der Wahl eindrucksvoll demonstriert, dass sie aufgrund dieses Wahlergebnisses und mit dem derzeitigen Personaltableau keine Regierung mit einem plausiblen Programm bilden können. Keine noch so langen Gespräche zwischen Merkel, Schulz und Seehofer können daran noch etwas ändern. Wenn dabei einer Regierung irgendeiner Art zustande kommt, sei es eine formelle Koalition, eine tolerierte Minderheitsregierung oder eine Minderheitsregierung auf der Basis wechselnder Mehrheiten, so wird das im In- wie im Ausland immer als eine Notlösung angesehen werden. Entsprechend schwach wird diese Regierung sein.

Gegen Neuwahlen wird gern ins Feld geführt, dass derzeitige Umfragen in etwa das gleiche Wahlergebnis vorhersagen wie am 24. September. Lassen wir beiseite, dass die Ergebnisse der Umfragen vom 19. September von Allensbach und Forsa nahezu übereinstimmten, aber das Wahlergebnis vom 24. September nicht vorausgesehen hatten (CDU/CSU um etwa 3% überschätzt, SPD um etwa 2% überschätzt, AfD um 2,5-3% unterschätzt). Sobald den Wählern klar ist, dass das Wahlergebnis nicht zu einer Regierungsbildung geführt hat, werden einige ihre vorherige Wahl überdenken. Ein weiterer Teil wird das tun, bevor sie ihre Stimme abgeben. Die Umverteilung ist schwer vorherzusagen, aber Verluste der Union sind sehr wahrscheinlich, da das Versagen von Angela Merkel dann auch politisch weniger interessierten und informierten Bürgern offenbar wird. In der Folge wird Angela Merkels Stellung in der Union geschwächt werden und es wird wahrscheinlicher, dass die Union einen Neuanfang wagt.

Hat die Union außer Angela Merkel keine potentielle Bundeskanzlerin?

Annegret Kramp-Karrenbauer (55) könnte es. Sie würde sich nie selbst dafür bewerben. Genau das lässt sie in dieser Situation als besonders geeignet erscheinen. Wahrscheinlich würde sie es auch nicht wollen, aber sie würde sich aus Verantwortung für das Ganze überzeugen lassen. Christian Wulff (58) könnte ebenfalls als Bundeskanzler amtieren. Die Union hätte allen Grund, ihm gegenüber Wiedergutmachung zu betreiben. Wenn diese beiden am besten geeigneten Kandidaten in der CDU nicht durchsetzbar sind, wäre Volker Bouffier (66) als Übergangslösung für eine Wahlperiode immer noch eine bessere Lösung als Angela Merkel zum vierten Male. Wenig charismatisch, aber wahrscheinlich besser geeignet als Bouffier, ist Armin Laschet (56). Er wäre ebenfalls parteiintern leichter durchsetzbar als Kramp-Karrenbauer oder Wulff.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gunnar Jeschke

Naturwissenschaftler, in der DDR aufgewachsen, gelebt in Schwarzheide, Dresden, Wako-shi (Japan), Bonn, Mainz, Konstanz und Zürich.

Gunnar Jeschke

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