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Kleinkarierte Koalition Die SPD opfert die Inhalte für die Ämter. Angela Merkel opfert die Zukunft der CDU.

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Hurra
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Foto: Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

In den Koalitionsverhandlungen hat die SPD in keinem der drei Punkte, die der Parteitag als essentiell für die Verhandlungen bezeichnet hatte, einen echten Fortschritt gegenüber dem Sondierungspapier erreichen können. Nicht nur Schulz und Nahles, sondern auch Angela Merkel war klar, dass mit dieser Nachricht kein positives Mitgliedervotum der SPD zu erwarten ist. Schon aus diesem Grund mussten hinreichend überraschende andere Nachrichten erzeugt werden, um das inhaltliche Ergebnis zu überdecken. Mindestens eine dieser Nachrichten musste den SPD-Mitgliedern als ein großer Erfolg verkauft werden können. Ferner musste eine Lösung für das Problem gefunden werden, dass schon wieder ein SPD-Vorsitzender in eine völlig hoffnungslose Position geraten war. Schließlich musste die CSU bei Laune gehalten und in eine günstigere Ausgangsposition für die Landtagswahl in Bayern gebracht werden.

Dieses formidable Problem hatte keine für die CDU günstige Lösung. Angela Merkel musste Prioritäten setzen. Die erste Priorität war, die Lobbys zufriedenzustellen. Deshalb sind die Inhalte so wie sie sind. Die zweite Priorität war, Neuwahlen bei den vorgegebenen Inhalten so unwahrscheinlich wie möglich zu machen. Deshalb ist die Ressortverteilung so, wie sie ist. Die CDU gibt das Finanzministerium im Austausch gegen das weit weniger einflussreiche Wirtschaftsministerium ab, damit die SPD den notwendigen Erfolg für sich reklamieren kann, ohne inhaltlich etwas erreicht zu haben. Die dritte Priorität war, die CSU bei Laune zu halten, was ein gewichtiges Berliner Amt für Horst Seehofer mit Strahlkraft bei den bayrischen Wahlen erforderte. Der dafür notwendige Abtausch war noch schmerzhafter für die CDU, denn hier handelt sie das bedeutungslose Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft ein, in dem sich niemand für nichts profilieren kann, und gibt das schwergewichtige Innenministerium ab.

Das Resultat ist ein weiterer Machtzuwachs von Merkel in der CDU, zumal das Wirtschaftsministerium mit ihrem treuesten Paladin, Peter Altmaier, besetzt wird. Die plausibelsten Nachfolger Merkels, Annegret Kramp-Karrenbauer und Jens Spahn, gehen leer aus. Neben Merkel wird es in der Regierung keinen einflussreichen CDU-Politiker mehr geben, der geistig von ihr unabhängig wäre. Keine mögliche Nachfolgerin und kein möglicher Nachfolger erhält eine bundesweite Bühne zur Profilierung.

Die neue Regierungsmannschaft kann kurz so charakterisiert werden, dass sie weniger kompetent ist, als diejenige, die vor vier Jahren ausgewählt wurde. Die Inkompetentesten bleiben, Heiko Maas und Ursula von der Leyen. Zwei der Kompetentesten sind gegangen, Wolfgang Schäuble und Johanna Wanka. Im Vergleich zu den vergangenen zwölf Monaten steigt die Kompetenz des Außenministers, wobei aber andererseits ein offensichtlicher politischer Verlierer und unbrauchbarer Stratege zum Chefdiplomaten gemacht wird. Eine ehemalige Weinkönigin zur Landwirtschaftsministerin zu machen, mag als die Beste der neuen Besetzungen durchgehen.

Zur Strategie der SPD kann man sagen, dass es unter Umständen schon günstig sein kann, bei der Festschreibung von Inhalten Abstriche zugunsten der Besetzung von Positionen zu machen, weil man von Positionen aus Inhalte beeinflussen kann. In diesem speziellen Fall ist aber aus einer sozialdemokratischen Sicht kein Vorteil zu erkennen. Im Fall der Migrationspolitik und des Familiennachzugs hat man gegenüber dem Sondierungspapier schwammige Formulierungen gewonnen und überlässt die Definitionsmacht darüber dem von der CSU geführten Innenministerium. Hier hat sich die Situation der Sozialdemokratie gegenüber dem Sondierungspapier und der damals erwarteten Ressortverteilung verschlechtert. Bei der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen ist die Verkürzung der Befristungszeit für Teile der Betroffenen nachteilig und die Definitionsmacht der SPD wird in diesem Punkt durch die Abgabe des Wirtschaftsministeriums geschwächt, nicht gestärkt, noch zumal dem gut vernetzten Wirtschaftsminister Altmaier die Neuministerin Eva Högl für Arbeit und Soziales gegenübergestellt wird, die auf diesem Gebiet keine Erfahrung hat und eher als Europapolitikerin gilt. Als Angehörige des Netzwerks Berlin kann sie nicht im linken Flügel der SPD verortet werden. Die Frage der Schlechterstellung gesetzlich Gesundheitsversicherter gegenüber Privatversicherten wird in einer Kommission beerdigt. Die Definitionsmacht liegt im Gesundheitsministerium und verbleibt damit bei der CDU. Das Ministerium wird mit Annette Widmann-Mauz besetzt, die in den vergangenen beiden Legislaturperioden Staatssekretärin in diesem Ministerium war (und keinen Studien- oder Berufsabschluss hat). Dass sie in dieser Frage an einem Politikwechsel interessiert ist, kann sicher ausgeschlossen werden.

Das einzige Gebiet, auf dem die SPD Definitionsmacht gewinnt, ist die Europapolitik. Auf diesem Gebiet sind das Außenministerium und das Finanzministerium die neben der Kanzlerin einzig wesentlichen Spieler. Das dürfte an den Interessen der sozialdemokratischen Klientel weit vorbeigehen, kommt aber den Interessen des Noch-Vorsitzenden Martin Schulz in jeder Weise entgegen. Weil ein derartiges Geschacher zugunsten von Schulz nun doch zu anstößig ist, muss er wenigstens sein Parteiamt abgeben. Es ist ein kleines Opfer, denn nach den letzten zwölf Monaten waren seine Tage in diesem Amt ohnehin gezählt. Für die eigentliche Verhandlungsführerin der SPD, Andrea Nahles, springt dabei auch ein Machtzuwachs heraus.

Es wird spannend sein, zu beobachten, ob die Medien und Andrea Nahles das Ergebnis dieser Selbstbedienung der SPD-Führung den Parteimitgliedern als eine leuchtende Zukunftsperspektive der Sozialdemokratie verkaufen können. Irgendjemand hätte daran denken sollen, Kühnert zu kaufen. Ob das geschehen ist, werden wir erst nach dem 4. März erfahren. Ein Schelm, wer seine heutige Stellungnahme zum Ergebnis der Verhandlungen als Hinweis darauf ansieht.

Die angenommene Besetzung der offiziell noch nicht besetzten Ministerien orientiert sich an der Information des Tagesspiegels.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gunnar Jeschke

Naturwissenschaftler, in der DDR aufgewachsen, gelebt in Schwarzheide, Dresden, Wako-shi (Japan), Bonn, Mainz, Konstanz und Zürich.

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